Bauernproteste: Konfliktforscher befürchtet "eine Verschiebung nach rechts"
Die Bauernproteste verursachen massive Verkehrsbehinderungen im Norden Deutschlands. Sie haben eine neue Debatte entfacht über Proteste, Protestkultur und Spaltung der Gesellschaft.
Felix Anderl, Professor für Konfliktforschung an der Uni Marburg, hat die Sorge, "dass es innerhalb der Gesellschaft und dementsprechend auch innerhalb der Bauern- und Bäuerinnenschaft eine Verschiebung nach rechts gibt".
Herr Anderl, haben Sie die Proteste so massiv und so flächendeckend erwartet?
Felix Anderl: Man konnte schon ablesen, dass es große Unzufriedenheit gibt und auch Wut - aber wann das nach außen tritt, kann man immer nicht vorhersagen. Die Auslöser sind jetzt die Rücknahme von der Kfz-Steuerbefreiung und vom Agrardiesel. Dass es genau das ist, konnte man nicht vorhersehen. Aber dass es innerhalb der Bauern- und Bäuerinnenschaft Unzufriedenheit gibt, ist schon lange deutlich.
Die Bauern haben zum Protest aufgerufen, aber auch andere Gruppen und Branchen haben sich angeschlossen. Wer ist da gerade alles auf der Straße?
Anderl: Das ist bisher ein bisschen schwer zu überblicken, aber wir sehen, das sehr viele Bauern mit ihren Traktoren unterwegs sind. Wir sehen auch, dass angrenzende Gewerbe zum Protest aufgerufen haben, beispielsweise aus der Jägerschaft und aus dem Transportbereich. Ich bin mir nicht sicher, wie weit das greifen wird. Mein Eindruck bisher ist, dass es eher Einzelne sind, die zur Unterstützung der Bauern auf die Straße kommen.
Manche warnen schon - unter anderem das Bundesinnenministerium - dass extreme Kräfte die Bauern und ihre Anliegen instrumentalisieren könnten. Ist diese Warnung berechtigt?
Anderl: Ja, die ist schon berechtigt. Es gibt rechte und rechtsextreme Gruppen, die versuchen, diese Proteste für sich zu nutzen. Meine Sorge ist nicht so sehr, dass es irgendwelche kleinen Gruppen gibt, die diese Proteste instrumentalisieren, sondern eher, dass es innerhalb der Gesellschaft und dementsprechend auch innerhalb der Bauern- und Bäuerinnenschaft eine Verschiebung nach rechts gibt. Das heißt nicht, dass das alles Rechtsextreme sind - dagegen wehren sich die Bauern auch zurecht. Das sollte man wirklich differenzieren. Was ich eher sorgenvoll betrachte, ist, was für eine Form von Diskurs da geführt wird. Der ist sehr polarisierend, es wird teilweise persönlich attackiert, es geht immer ums Ganze, also so eine Unzufriedenheit mit allem: Die Ampel muss weg, die Regierung, die Politiker. Das ist schon ein sehr frustrierter und polarisierender Diskurs. Das macht mir ein bisschen Sorge, weil sich da über die letzten Jahre etwas verschoben hat. Da gibt es auch Kontinuitäten zu den Corona-Protesten. Das müssen wir ziemlich genau beobachten, in welche Richtung das geht.
Was sollten die Landwirte tun, um nicht instrumentalisiert zu werden?
Anderl: Das tun sie ja schon, sie grenzen sich ganz klar ab. Das ist erstmal richtig und gut. Es wäre zusätzlich auch gut, wenn klar aufgezeigt würde: Was sind eigentlich unsere Punkte, wo wollen wir hin? Mein Eindruck ist, dass da eine viel breitere Frustration dahinter steht. Es wurde auch gesagt, es solle ein Zeichen für die Landwirtschaft sein, und das finde ich prinzipiell auch gut und legitim. Interessant wäre es zu hören, was die genauen Pläne oder die Zukunftsvisionen sind, die der Bauernverband hat. Weil dann könnte man in eine ganz andere Form von Diskussion einsteigen, die für die Demokratie produktiver wäre und die ich persönlich auch interessanter fände. Der nächste Schritt wäre, eine Vision zu formulieren, mit der die Regierung und andere politische Akteure besser umgehen können.
Was sagt das aktuell über den Zustand unserer Gesellschaft aus?
Anderl: Mit breiten Gesellschaftsanalysen sollte man sich immer zurückhalten. Mein Eindruck ist aber schon, dass sich etwas verschoben hat über die letzten Jahre. Ich persönlich sehe das in Verbindung mit den Corona-Protesten und dem Stimmungsumschwung, den es gegeben hat. Ein Indikator für mich sind Aussagen, die das Ganze ablehnen: Sie sind demokratiefeindlich in dem Sinne, dass sie gar keine Vorschläge machen oder dass sie gar keine konstruktive Dimension mehr haben, sondern sie sind gegen alles. Darauf aufbauend ist es ganz schwierig, eine konstruktive Debatte zu führen. Das unterscheidet diese Proteste von früheren Blockaden, wo es um konkrete Reformen oder Zukunftsvisionen ging. Die hier ist erst mal eine Machtdemonstration. Das ist legitim, aber ich habe das Gefühl, dass destruktive Debatte derzeit in unserer Gesellschaft relativ weit verbreitet ist - und da sind die Bauern keine Ausnahme.
Das Interview führte Philipp Schmid.