Gentrifizierung auf St. Pauli: Wie steht es um das Paloma-Viertel?
Viele Menschen, die auf St. Pauli aufgewachsen sind, können sich eine Wohnung dort nicht mehr leisten. Nach Jahren des Stillstands ist nun bekannt geworden, dass das Paloma-Viertel dem Wohnungsbau-Unternehmen Saga zum Kauf angeboten wurde.
Eine hohe Holzwand umrandet das Paloma-Viertel in Hamburg, das ungefähr so groß wie ein Fußballfeld ist. Wer hier von der S-Bahn Reeperbahn zum Musical-Theater am Spielbudenplatz läuft, kann nicht sehen, was auf dem Grundstück passiert. Die Wände sind mit Graffiti bemalt und Pflanzen wuchern über den Zaun hinweg. Gemeinsam mit dem Sozialarbeiter Steffen Jörg versuche ich, durch ein Loch einen Blick hineinzuwerfen.
Esso-Häuser auf St. Pauli: Klassisches Gentrifizierungsbeispiel
Steffen Jörg kennt das Areal: Schon als der Gebäudekomplex mit der dazugehörigen Tankstelle noch existierte und an den Investor "Bayerische Hausbau" verkauft wurde, stand er den damaligen Bewohnerinnen und Bewohnern zur Seite. Denn schnell wurde klar: Die Esso-Häuser sollen abgerissen werden. Jahrelang hatten Investor und Vorbesitzer nichts mehr an den Gebäuden gemacht und so sind sie immer weiter verfallen.
"In den Esso-Häusern gab es circa 110 Wohnungen in unterschiedlichen Größen", erzählt Steffen Jörg. "Man kann schon sagen, dass in den Esso-Häusern überdurchschnittlich viele Menschen gewohnt haben, die zu den Geringverdienern gehört haben. Natürlich gab es da auch teurere Wohnungen drin, aber der Großteil waren sehr günstige Mieten mit langjährigen Mietverträgen und mit Menschen, die sonst nichts in dem Stadtteil finden werden, wenn sie aus den Esso-Häusern raus mussten. Insofern ist das das klassische Beispiel für Gentrifizierungsprojekte, die in St. Pauli, aber auch hamburgweit oder in anderen Metropolen stattfinden."
Evakuierung mitten in der Nacht
Gemeinsam gründet er mit Bewohnerinnen und dem Verein "Mieter helfen Mietern" die "Initiative Esso-Häuser", die sich gegen den geplanten Abriss wehrt. Doch nachdem in einer Dezembernacht 2013 ein Bewohner die Feuerwehr gerufen hat, weil die Wände wackelten, konnte niemand mehr in seine Wohnung zurückkehren: Das Gebäude wurde noch in der gleichen Nacht wegen Einsturzgefahr evakuiert.
"Ich habe schon geschlafen. So halb Elf war das. Dann knallte die Polizei gegen meine Tür. Ich habe mich erschrocken, weil man das nicht kennt. Wir haben ja auch Klingeln. 'Hier die Polizei, machen Sie mal auf.' Aber in einem Ton - ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher. Ich stand da mit T-Shirt und Unterhose und die Frau sagt: 'Sie müssen raus.' Dann habe ich die Tür wieder zugemacht. Da ballert die wieder gegen. 'Sie müssen raus, hab ich gesagt. Sofort!' Da habe ich gesagt: 'Soll ich in Unterhose rausgehen oder darf ich mir noch eine Jeans anziehen?'", erinnert sich Monika Secka. Sie hat 33 Jahre in den Esso-Häusern gelebt.
Versprochenes Rückkehrrecht - auch für das Molotow
Seit der Evakuierung wohnt sie einige Straßen weiter, nicht weit vom Paloma-Viertel entfernt. Aber sie würde sofort wiederkommen, wenn dort ein neues Haus gebaut wird, sagt sie: "Man darf nicht vergessen, dass die Menschen, die dort gelebt haben - nicht nur die Bewohner, auch die Geschäftsleute -, ein Rückkehrrecht versprochen bekommen haben. Da haben wir uns alle drauf verlassen. Ich wurde zwischenzeitlich mal angerufen, ob ich da noch Interesse dran habe. Ich sagte: 'Ja natürlich.' Ich bin ja schon älter. Hier ist Staffelmiete, obwohl das Sozialwohnungen sind. Irgendwann können wir das nicht mehr tragen. Wir kriegen so wenig Rente. Du hast ja gar nichts mehr zum Leben. Strom ist auch schon wieder teurer geworden."
Auch Andi Schmidt wartet darauf, mit seinem Kult-Club Molotow wieder zurück an den Spielbudenplatz zu ziehen: "Erstmal läuft hier auch die Uhr. Ewig wird dieses Gebäude auch nicht stehen - also schon aus den Gründen, das Molotow weiter betreiben zu können. Außerdem sind wir sehr daran interessiert, an den alten Standort zurückzukehren - zu alten Preisen. Das war alles mal ausgehandelt, und es würde mich freuen, wenn das auch tatsächlich so klappen würde."
"Initiative Esso-Häuser" durch Verkauf des Grundstücks gescheitert?
Doch obwohl die "Initiative Esso-Häuser" nach dem Abriss erkämpft hat, dass ehemalige Bewohner und Gewerbetreibende ein Rückkehrrecht zu ähnlichen Mietkonditionen wie früher bekommen, rückt der Traum nun wieder ein weiteres Stück in die Ferne: Nach Jahren des Planens mit einer nahezu einzigartigen Anwohnerbeteiligung, will der Investor wegen "der veränderten Rahmenbedingungen in der Immobilienwirtschaft" das Grundstück wieder verkaufen.
Im Sommerinterview mit dem NDR sagte der Hamburger SPD-Fraktionschef Kienscherf erst kürzlich, dass mit einem Kauf des Areals durch die Saga das Projekt gescheitert sei und es einen Neustart geben müsse. Was genau das heißt, dazu gibt es von der Behörde für Stadtentwicklung bislang keine Informationen. Auch die Saga selbst und die Bayerische Hausbau wollen sich mit Verweis auf laufende Verhandlungen nicht näher äußern.
Der alte Charme von St. Pauli
Einige ehemalige Esso-Haus-Bewohner sind inzwischen gestorben. Andere haben sich in ihren neuen Wohnungen nach neun Jahren eingelebt und wollen nicht zurück - andere aber schon. In einem sind sich ehemalige Bewohner, Sozialarbeiter und auch andere St. Pauli-Bewohner einig: Das erarbeitete Konzept soll - egal von wem - beibehalten werden und die ehemaligen Plattenbauten an der Reeperbahn nicht durch teure Eigentumswohnungen und Hotelzimmer ersetzt werden. St. Pauli sollte ein bisschen was von seinem alten Charme behalten.
"Ich bin gerne hier auf der Ecke, weil das noch der Kiez ist, wie ich den als ältere Person von früher kenne - in der Hinsicht, dass es hier noch normales Gewerbe gibt: Läden, die alles Mögliche verkaufen und nicht nur Souvenirs oder Getränke", erzählt Andi Schmidt. "Gleichzeitig gibt es hier Clubs und Live-Musik. Das ist das, was St. Pauli mal ausgemacht hat und weiterhin ausmachen sollte - nicht nur ein Touristen-Kneipenviertel. So etwas gibt es in jeder Stadt, die mehr als 100.000 Einwohner hat."