Festnahme von Boualem Sansal: "Situation ist sehr besorgniserregend"
Der algerisch-französische Schriftsteller und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Boualem Sansal ist am Flughafen von Algier festgenommen geworden. In seiner Heimat droht ihm nun wohl eine Anklage wegen Hochverrats. Ein Interview mit seiner deutschen Verlegerin Katharina Eleonore Meyer.
Auf Deutsch erscheinen Sansals Werke im Merlin Verlag mit Sitz in Gifkendorf nahe Lüneburg. Dessen Verlegerin Katharina Eleonore Meyer ist mit Sansal gut bekannt. Ebenso wie zahlreiche Literatur-Nobelpreisträger und PEN-Vereinigungen ist sie in großer Sorge um den "Spracherneuerer" und "aufgeklärten Geist", der sich jüngst zum Marokko-Algerien-Konflikt äußerte. Seiner deutschen Verlegerin sagte er schon vor Monaten, dass man in Algerien "nicht mehr atmen" könne, wie Katharina Eleonore Meyer im Interview mit NDR Kultur erzählt.
Frau Meyer, was wissen Sie über den Verbleib von Boualem Sansal? Wissen Sie, wie es ihm geht?
Katharina Eleonore Meyer: Nein, wir wissen leider gar nichts. Wir wissen nur die wenig beruhigenden Fakten, dass er bei der Einreise am 16. November in Gewahrsam genommen wurde und in Haft ist. All dies ist uns aber auch erst seit Donnerstagnachmittag bekannt. Das heißt, man hat bis dahin gar keine neuen Nachrichten von ihm bekommen. Man weiß über eine Verlautbarung aus der algerischen Presse, dass er gestern offenbar dem Richter vorgeführt worden ist. Weiteres ist nicht bekannt. Wir haben uns bei der deutschen Botschaft in Algier erkundigt, wo uns diese Inhaftnahme bestätigt wurde. Als wir gestern nochmal nachgefragt haben, konnten wir nichts Weiteres in Erfahrung bringen.
Lassen Sie uns versuchen, gemeinsam ein bisschen die Hintergründe zu verstehen. Wofür steht Boualem Sansal?
Meyer: Boualem Sansal ist von Beruf Ingenieur und Ökonom. Er hat bis 2003 das algerische Industrieministerium als Direktor geleitet, war also hoher Beamter. In den 1990er-Jahren während dieses schrecklichen und sehr blutigen Bürgerkriegs, bei dem wirklich Tausende, Zehntausende Menschen umgebracht wurden, hat er angefangen zu schreiben. Er hat, was damals sehr überraschte, auch in Frankreich großes Aufsehen erregt. Dort ist dann auch sein erster Roman, "Der Schwur der Barbaren", veröffentlicht worden. Da war er noch Beamter und er hat darin sehr unverhohlen Kritik geübt an der Korruption und an den bestehenden politischen Verhältnissen im Land. Das hat er dann auch weiterhin getan: mit der Folge, dass er 2003 aus diesem Amt entlassen wurde. Auch weil er wirklich großartig schreibt und unter anderem in Frankreich als Spracherneuerer gefeiert wurde. Da hat er sehr viel Aufmerksamkeit auch für seine Literatur bekommen.
Wann sind Sie als deutscher Verlag auf ihn aufmerksam geworden?
Meyer: Wir haben auch sehr früh angefangen, mit ihm zusammenzuarbeiten, haben ihn zu Lesungen nach Deutschland geholt. Und er hat eben nicht nur sehr viel über Literatur gesprochen, sondern eben einfach immer auch über die politischen Verhältnisse. Das heißt, er ist ein sehr aufgeklärter, aufgeweckter, kritischer Geist, der von seinem Recht auf Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat. Er hat sich nie vereinnahmen lassen, obwohl diese Versuche immer wieder geschahen. Und er hat selber schon im letzten Jahr geäußert, dass man in Algerien nicht mehr atmen kann. Damals hat er auch schon gesagt, dass er die französische Staatsangehörigkeit annehmen wird. Das ist ja ein längerer Prozess. Das hat sich vor einigen Monaten vollzogen. Und nun ist er in diese Situation geraten, die alles andere als auf die leichte Schulter zu nehmen ist.
Was wird ihm denn konkret vorgeworfen?
Meyer: Also das, was man so hört, ist, dass er in die Diskussion zwischen Algerien und Marokko geraten ist. Dazu hatte sich ja auch Macron, der französischen Präsident, kürzlich geäußert, nämlich zum Thema Westsahara. Es geht um die Frage, ob die Westsahara zu Marokko gehört oder zu Algerien? Algerien beansprucht dieses Gebiet. Macron hat gesagt, dass dieses Gebiet natürlich zu Marokko gehört und in einem Interview hat Sansal sich ähnlich geäußert. Das wirft man ihm offensichtlich vor.
Was droht ihm denn für eine Anklage oder auch was für eine Strafe?
Meyer: Das kann ich überhaupt gar nicht abschätzen. Aber mir scheint relativ klar, dass, wenn man ihm vorwirft, dass er sozusagen die politischen Grenzen des Landes Algerien in Frage stellt, das natürlich so etwas wie Landesverrat oder Hochverrat ist - aus der Sicht der jetzigen Regierung Algeriens. Davon muss man wohl leider ausgehen.
Das PEN-Zentrum Deutschland und das PEN Berlin protestieren vehement gegen diese Festnahme von Boualem Sansal. Das dürfte die algerischen Behörden und Gerichte allerdings wenig beeindrucken. Was glauben Sie, was muss jetzt geschehen? Wer sollte handeln und vor allem auch, wie?
Meyer: Naja, also erst einmal ist die Öffentlichkeit sehr wichtig. Weil sich die Nachricht so verschleppt hat, ist schon sehr viel Zeit vergangen. Es ist wichtig, dass überall dort, wo Herr Sansal als Autor bekannt ist, dass man da mobilisiert. Das geschieht ja auch: Die Nobelpreisträger haben sich schon artikuliert und der PEN hat sich artikuliert. Jetzt hat der Börsenverein mit uns zusammen ein Statement herausgegeben. Wir müssen da unsere Kräfte bündeln. Überlegen: Wer kann hilfreich sein? Deutschland ist ein Land mit sehr vielen wirtschaftlichen Verbindungen zu Algerien - das wissen nur wenige. Sogar mehr als Frankreich, obwohl man sich das so kaum vorstellen kann. Das bedeutet, dass man auch von politischer Seite versuchen muss, Druck auszuüben. Allerdings herrscht derzeit insgesamt geopolitisch eine sehr angespannte Lage. Das ist alles im Moment überhaupt nicht einfach. Und das macht es eben umso besorgniserregender.
Das Interview führte Anna Novák.