"Das lauteste Würstchen schmeckt am besten": Food-Designer-Duo im Gespräch
Die Food-Designer Martin Hablesreiter und Sonja Stummerer beschäftigen sich intensiv mit der Art, wie wir essen, was wir essen und wo wir das tun. Im Gespräch erläutern sie, wie wir unsere Nahrung mit allen fünf Sinnen wahrnehmen.
Kann es sein, dass die Art, wie wir schmecken, durch Klänge beeinflusst werden kann?
Sonja Stummerer: Auf jeden Fall. Beim Essen geht es ja um die Sinnlichkeit an sich, und wir nehmen das Essen mit allen fünf Sinnen wahr. Das kennt man auch von sensorischen Forschungen, mit denen wir uns auch teilweise beschäftigt haben, dass der Klang beim Essen sehr wichtig ist. Das fängt schon beim Kaugeräusch an: Wir schmecken auch über das, was wir hören. Das ist einerseits außerhalb vom Körper, wenn wir zum Beispiel etwas zerschneiden: Reife Tomaten klingen unter Umständen anders, als weniger reife. Wir können auch unterscheiden, ob ein Wasser klar ist, oder ob es trüb ist: an der Art und Weise, welchen Klang es macht, wenn es ins Glas einfließt. Das ist auf jeden Fall ein Teil der sinnlichen Wahrnehmung, und da spielt die Musik natürlich auch eine ganz wichtige Rolle. Die Musik ist etwas Atmosphärisches, was oft eher mit der Raumatmosphäre zusammen wirkt, und das hat einen ganz großen Einfluss darauf, wie entspannt wir sind und wie sehr wir eigentlich uns darauf einstellen können, dass wir etwas Sinnliches auch sinnlich wahrnehmen.
Martin Hablesreiter: Es gibt auch das negative Beispiel der alpinen Skihütte: Das ist das absolut unatmosphärischste zum Thema Essen, was es auf diesem Planeten gibt. Das wird durch diese grässliche Musik, die dort gespielt wird, extrem verstärkt. Man kann da eigentlich nicht wirklich essen, aber vielleicht hilft es auch, um das Essen nicht wirklich wahrnehmen zu müssen. Aber die Idee selber ist uralt: Bei den Königen, Fürsten, Päpsten gab es immer Musik zum Essen.
Wenn wir kauen, wenn wir etwas zerbeißen, nehmen wir das auch über die Knochen wahr. Sie sagen, dass es zum Beispiel bei Würsten auch auf das Geräusch ankäme. Warum?
Hablesreiter: Wir haben vor ziemlich langer Zeit einen großartigen Menschen in Sachsen interviewt, Friedrich Blutner, der die Kaugeräusche wissenschaftlich betrachtet hat. Er hat damals herausgefunden, dass das lauteste Würstchen am besten schmeckt. Ein Würstchen soll knacken, um gut zu schmecken. Das trifft auch auf ganz viele andere Lebensmittel zu, bei denen wir zum Beispiel den Nährwert über das Geräusch, dass es im Mund erzeugt, wahrnehmen.
Was gibt es noch für Beispiele?
Stummerer: Es ist ganz interessant, dass wir Lebensmittel haben, wo die Frische wichtiger ist als der eigentliche Geschmack. Ein Beispiel wären Kräcker, Cornflakes oder Chips. Da ist es tatsächlich so, dass bei Produktinnovationen auch das Geräusch vorher getestet wird, weil dieses frische Gefühl zu einem großen Teil über das Geräusch kommt. Das sind diese hellen Töne, die vor allem, wenn man das erste oder zweite Mal reinbeißt, wahrgenommen werden, und die sich zum Beispiel von einer Schokolade deutlich unterscheiden. Die Schokolade klingt eher dumpf und dunkel, und das ist etwas, was wir von Sachen erwarten, die einen hohen Nährwert haben sollen, die nach etwas schmecken sollen. Dieses leichte, helle Geräusch wird bei den knackigen Sachen bevorzugt. Wenn das Geräusch allerdings zu hell ist, zum Beispiel bei einem Puffreis-Kräcker, dann haben wir das Gefühl, dass es nach nichts schmeckt.
Hablesreiter: Wo wir ganz deutlich Frische erkennen, ist bei Obst und Gemüse. Bei einem Apfel hören wir ganz genau, ob er frisch oder alt ist.
Und wenn man Menschen mit falschen Geräuschen manipulieren würde, nähmen wir dann auch den Geschmack anders wahr? Ist das Hören und das Schmecken oder Riechen gekoppelt?
Stummerer: Ja, auf jeden Fall. Der Geschmack ist eigentlich immer ein Zusammenspiel der Wahrnehmung aller fünf Sinne. Was wir riechen, schmecken, tasten, hören und sehen, gehört alles zusammen, und das können wir gar nicht voneinander trennen. Wenn wir sagen, dass etwas gut schmeckt, dann meinen wir meistens, dass es gut riecht, aber es hört sich auch gut an. Das kann man sicher beeinflussen.
Hablesreiter: Das wird auch gemacht. Es gibt Akustikdesign in der Lebensmittelindustrie, es wird schon manipuliert. Die emotionale Wahrnehmung von Nährwert zum Beispiel kann man durch die Beigabe von Zucker akustisch erhöhen; Zucker ist extrem fies, weil er sich auch wahnsinnig gut anhört.
Man könnte diesen Effekt auch künstlerisch nutzen. Ein Parallelbeispiel wären Filmszenen, die mit unterschiedlicher Musik unterlegt werden und dann völlig anders wirken. Gibt es Experimente oder Kunstprojekte in diese Richtung?
Stummerer: Auf jeden Fall gibt es dazu künstlerische Experimente, wo man zum Beispiel unterschiedliche Dinge sieht, über Kopfhörer unterschiedliche Dinge hört und dann Kostproben kriegt und da genau diesen Effekt hat, dass die Dinge unterschiedlich schmecken, je nachdem, was man hört.
Hablesreiter: Es gibt Performances, wo live gekocht wird, und die Kochgeräusche werden aufgezeichnet und von einem DJ direkt live verarbeitet. Wenn man es dann isst, dann isst man die Kochgeräusche wieder mit, aber als Musik. Das ist schon eine ziemlich geile Erfahrung.
Diese drei Aspekte, von denen Sie beschrieben haben, dass sie miteinander verbunden sind - riechen, schmecken und hören - das sind auch die Aspekte, die uns emotional am direktesten packen. Wenn man ein bestimmtes Himbeerbonbon isst, ist man plötzlich wieder in seiner Kindheit. Woran liegt das?
Hablesreiter: Gerüche, Geräusche, teilweise auch optische und geschmackliche Eindrücke werden im Unterbewusstsein fest gespeichert mit sehr schrecklichen oder sehr guten Erinnerungen. Bei einem Geräusch, das einen an ein sehr schönes Erlebnis erinnert, kommt das ganze Erlebnis wieder. Bei Gerüchen ist das ganz extrem: Man erinnert sich an das Parfum der Partnerinnen oder des Partners beim ersten Kuss. Bei Geräuschen ist das auch so: Das Knirschen oder das Quietschen des Schranks bei der geliebten Großmutter wird man nie vergessen. Wenn man ein ähnliches Geräusch hört, dann kommt automatisch diese Erinnerung zurück. Beim Essen funktioniert das ganz extrem. Wenn man irgendwo reinbeißt und ein spezielles Geräusch kommt, dann erinnert man sich, und die Erinnerung sorgt schon für einen sehr genussvollen Moment.
Gibt es Food-Designer oder Spitzenköchinnen, bei denen Sie sagen würden, die gehen auch musikalisch vor?
Hablesreiter: Das berühmteste Beispiel ist Heston Blumenthal in The Fat Duck in London, der Muscheln serviert hat, und in einer Muschel war ein iPod versteckt. Man hat die Kopfhörer in die Ohren gesteckt, und dazu gab es Meeresrauschen. Das wurde dann an verschiedenen Orten - von Barcelona bis Shanghai - wiederholt, dass man akustische Signale eingespielt hat, während man etwas gegessen hat. Man wird da aber eher atmosphärisch mit der Herkunft dieser Lebensmittel in Verbindung gebracht.
Das komplette Gespräch, geführt von Mischa Kreiskott, können Sie oben auf dieser Seite nachhören.
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