"Feed the Planet": Bildband über globalen Lebensmittelanbau
Der Bildband "Feed the Planet" zeigt in Fotografien die Prozesse der Lebensmittelwirtschaft aus ungewöhnlicher Perspektive. Die Bilder von George Steinmetz sind erhaben schön - und gleichzeitig bitter in ihrer Symbolik.
Schon praktisch, so ein Griff in den Kühlschrank. Was in den Salat kommt? Die Qual der Wahl. Ich vergesse im Alltag glatt: Meine Lebensmittel wachsen nicht im Gemüsefach, ja nicht mal in Deutschland, sondern - im Winter - in Spanien.
"Die heutige Landwirtschaft ist ein globaler Moloch"
Die blaue Stunde in Andalusien: Im letzten Tageslicht leuchtet das Mosaik aus Rechtecken fliederfarben. Dieses Foto sieht aus wie Piet Mondrians Kubismus, fast hypnotisch schön. Wäre es nicht ein Plastikmeer aus Treibhäusern, 330 Quadratkilometer groß. Die Berge der Sierra de Gádor ragen wie Inseln daraus hervor. Der "Gemüsegarten Europas" beliefert den ganzen Kontinent mit Winterfrüchten und Wintergemüse, vor allem Tomaten und Paprika. Früher war die Gegend staubtrocken, heute machen Pumpsysteme und Gewächshäuser die Felder fruchtbar. Der Preis: Unmengen an Plastikmüll fallen an - pro Jahr knapp 30.000 Tonnen.
"Die heutige Landwirtschaft ist ein globaler Moloch, der über die Hälfte des bewohnten Terrains herrscht, 70 Prozent des verfügbaren Frischwassers aufsaugt und rund ein Drittel der weltweiten, zumeist aus fossilen Brennstoffen gewonnenen Energie verschlingt", schreibt der Journalist Joel K. Bourne Jr. im Bildband "Feed the Planet". "Für unsere Getreideproduktion haben wir so viel Grundwasser an die Oberfläche gepumpt, dass sich die Erdachse um 80 Zentimeter nach Osten verschoben hat."
Luftaufnahmen zeigen unwirkliche Landschaften
Wie wir essen, verändert unsere Erde. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch sichtbar. Das beweisen die Bilder des kalifornischen Naturfotografen George Steinmetz. Er macht mit einer Drohne oder von einem Paraglider aus Luftaufnahmen. Der Fotograf und Geophysiker hat ein Auge sowohl für die praktische als auch die ästhetische Seite der Landwirtschaft.
Wir sehen: unwirkliche Landschaften aus Mustern, Farben, Strukturen - abstrakt-künstlerisch. Dank der ungewöhnlichen Perspektive sind sie teilweise kaum zuzuordnen. Was wird hier angebaut?
In rosafarbenen, grünen und gelben Teichen an der Atlantikküste des Senegal sammelt sich Salz - die Kuhlen ähneln der bunten Farbpalette eines Malers. Lilafarbene Maschen aus Mandelblüten legen sich wie samtener Stoff über ein Mandel-Anbaugebiet in Kalifornien. Tausende senkrechte Linien machen aus der französischen Bucht des Mont-Saint-Michel eine Art Strichcode. Pfähle zur Muschelernte.
Abstrakte Bilder voller Ambivalenz
Menschen sind einfallsreich. Als einzige Lebewesen stellen sie ihre Nahrung selbst her: Kaffee, Früchte, Gewürze, Weizen. Ganze Regionen ordnen sich dem Appetit auf ein Lebensmittel unter. Kriegen wir nicht genug? Und wer entscheidet, wer satt werden darf?
Ein Fischernetz, darauf rund 100 ungewöhnliche Körper. Sie erinnern an kleine Geister-Kostüme. Weiße Laken, in die man ein Gesicht geschnitten hat. Diese hier gucken alle traurig. Es sind Rochen. Fischfänger haben sie am Strand von Nouadhibou in Mauretanien ausgebreitet. Viele Rochenarten sind inzwischen vom Aussterben bedroht.
Der Blick, der sich durch den Bildband zieht, von oben, erschöpft sich nicht. Die Varianz entsteht in den Landschaften, den völlig unterschiedlichen Anbauarten. Steinmetz ergänzt außerdem Fotos aus Käsereien, Kantinen, Hühnermasten und Fabriken.
Die nahezu abstrakten Bilder sind erhaben schön - und gleichzeitig bitter in ihrer Symbolik: Ausbeutung, Zerstörung, Gier. Diese Ambivalenz hält der Band aus.
George Steinmetz will sensibilisieren
Klar ist, schon bald wird unsere Lebensmittelproduktion nicht mehr reichen, um die Menschheit zu ernähren. Und ungleich verteilt ist die Nahrung jetzt schon. Solche Erkenntnisse liefert das Buch nicht mit dem Holzhammer, sondern es zeigt, was ist. Der Fotograf will sensibilisieren: "Ich selbst ernähre mich nicht vegetarisch und verfolge mit meiner Arbeit auch keine politischen Ziele. Als Journalist sehe ich meine Aufgabe darin, Informationen und Einblicke zu liefern, nicht irgendwelche Lösungen. Aber: Wir alle stimmen täglich mit Messer und Gabel über die Zukunft unseres Planeten ab."
Ich jedenfalls schaue meine Paprika nochmal ganz genau an.
Feed the Planet. Wie unser Appetit die Erde formt
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Aus dem amerikanischen Englisch von Alexander Bick
- Verlag:
- Knesebeck
- Bestellnummer:
- 978-3-95728-875-2
- Preis:
- 48 €
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