ChatGPT: Spicker 3.0
Schummeln in der Schule - das gab es wohl schon immer. Der Spickzettel von heute heißt ChatGPT und kann noch viel mehr. Wie Künstliche Intelligenz den Veränderungsprozess der Gesellschaft aufzeigt.
Schummeln in der Schule - das gab es wohl schon immer: Früher war das der berühmte Spickzettel, versteckt im Ärmel. Seit ein paar Jahren gibt es das Smartphone, mit dem vielleicht heimlich auf der Toilette gegoogelt wird. Jetzt aber hat das Ganze noch mal eine neue Qualität bekommen: Mit Künstlicher Intelligenz und Programmen wie ChatGPT, die einem komplette Antworten zu den jeweiligen Aufgaben aufs Handy liefern können. Bei den Abiturprüfungen in Hamburg sind jetzt offenbar solche Schummeleien aufgeflogen. Und sie haben eine Debatte ausgelöst.
Einige der Prüfungsfragen - auffallend gut beantwortet - bei anderen komplett versagt. Ein Indiz, dass zwischendurch die KI geholfen hat?
Von mehreren Verdachtsfällen dieser Art spricht die Hamburger Schulbehörde. In mindestens einem Fall wurde nach Informationen von NDR 90,3 ein Schüler mit dem Smartphone in der Prüfung er wischt. "Also ich gehe mal davon aus, dass es sich hier nur um Einzefälle handelt", sagt Christian Gefert von der "Vereinigung der Gymnasialschulleitungen" im Hamburg Journal. Das sehen aber nicht alle so.
Einzelfälle oder ein Hinweis auf eine gesellschaftliche Entwicklung?
Seit November ist das Programm ChatGPT frei zugänglich. Und dass in den ersten Abi-Prüfungen danach davon Gebrauch gemacht wird, "das liegt aus meiner Sicht auf der Hand und das war auch zu erwarten", sagt Doris Weßels. Sie ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel und forscht zu Künstlicher Intelligenz im Bildungssektor. "Von daher verwundert es mich eher, dass dieser eine Schüler in Hamburg dort so als Einzelfall oder als Sonderfall bewertet wird. Vermutlich - und das ist zu befürchten - hat es das in ganz Deutschland in der gesamten Fläche gegeben." Wie also mit dieser Entwicklung umgehen? Eine Möglichkeit: Strengere Kontrollen, schon während der Prüfungen. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe: "So lange wir es nicht nachweisen können, so lange wird das in Wahrheit nicht geahndet werden können. Wir müssen Schülerinnen und Schüler auf frischer Tat ertappen. Dann funktioniert es."
Mit der KI gegen die KI vorgehen?
Eine andere Möglichkeit: Die Texte bei der Korrektur zu durchleuchten - und selbst digitale Helfer nutzen: "Das sind die so genannten Detektoren, die immer wieder und heiß diskutiert werden. Diese Detektoren, und das ist der aktuelle Stand, arbeiten nicht zuverlässig, sind nicht zu empfehlen und sind natürlich prüfungsrechtlich überhaupt nicht belastbar", warnt KI-Expertin Doris Weßels - und geht noch weiter: "Aus meiner Sicht führt das in die falsche Richtung, denn es geht ja nicht darum, dass wir ständig nur mit Täuschung arbeiten, Täuschung unterstellen, Täuschung nachweisen wollen. Sondern es geht ja darum, dass wir Technologie, die uns hilfreich erscheint, einsetzen. Und zwar ist das eine Technologie, die ja sowohl auf der Seite der Lernenden wunderbar eingesetzt werden kann. Denn ich kann mir damit meinen individuellen Lerntutor bauen. Und bei den Lehrenden in ähnlicher Form, denn die können sich natürlich auch ganz wunderbar Entwürfe für ihre Stunden generieren lassen."
Hilfe durch Technologie ist eine Frage der Perspektive
Richtig angewendet können also beide Seiten von Künstlicher Intelligenz profitieren. Wie aber kann dann am Ende eine Prüfung aussehen? Weg vom reinen Wissen-Abfragen oder noch mehr Prüfungen in Gesprächsform - darüber diskutieren Schüler*innenkammer, Hamburgs Schulsendator Ties Rabe und quasi die ganze Schulwelt in einer Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz.
Veränderungsprozesse im Bildungssystem mit Verweis auf eine größere Entwicklung
Das würde Expertin Doris Weßels so wohl nicht unterschrieben. Sie spricht von einer exponentiellen Veränderung - allein in den vergangenen Monaten - ist aber auch optimistisch, dass sich bald was tut: "Der Veränderungsdruck erhöht sich kontinuierlich und bringt auch ein träges System wir das Bildungssystem in einen aus meiner Sicht an vielen Stellen sehr positiven Veränderungsprozess."