Abitur in Hamburg: Künstliche Intelligenz zum Schummeln genutzt
Hamburger Schüler und Schülerinnen haben offenbar Künstliche Intelligenz (KI) zum Schummeln im Abitur genutzt. Nach Informationen von NDR 90,3 wurden einzelne Abiturienten und Abiturientinnen dabei erwischt, als sie während der schriftlichen Klausuren eine Chatsoftware verwendeten. Die Schulbehörde bestätigte, dass es außerdem mehrere Verdachtsfälle gibt.
Eigentlich müssen Schülerinnen und Schüler ihr Smartphone vor der Abitur-Klausur abgeben. Einigen war es aber offenbar gelungen, ein Zweitgerät einzuschmuggeln. In mindestens einem Fall entdeckte eine Lehrkraft das Handy, auf dem ein Programm wie ChatGPT geöffnet war. Ein solches Programm kann komplett eigenständig Texte zu jeder beliebigen Fragestellung produzieren. Daraufhin räumte der Schüler den Betrugsversuch wohl ein.
Schulen überprüften weitere Verdachtsfälle mit Software
In anderen Fällen waren Lehrkräfte beim Lesen misstrauisch geworden - weil Teile der Klausur schwach, andere hingegen fehlerfrei waren. Die Schulen setzten daraufhin eine Software ein, die überprüft, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Text von einer KI erstellt wurde. Das Ergebnis: Wahrscheinlich wurde geschummelt. Trotzdem sieht die Rechtsabteilung der Schulbehörde keine Möglichkeit, das sicher nachzuweisen. Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde, sagte: "Letztlich wird es schwer sein, zweifelsfrei ein Plagiat nachzuweisen, falls der Schüler nicht in flagranti erwischt wurde." Werkzeuge zur Überprüfung von KI-generierten Texten würden eben nur angeben, wie wahrscheinlich es sei, dass ein Text mit einer Software erstellt wurde - mehr aber auch nicht.
Die Fälle mussten nicht gemeldet werden, wurden daher auch nicht formal erfasst und gezählt. Die Schulbehörde hat NDR 90,3 aber bestätigt, dass die Rechtsabteilung einige Verdachtsfälle prüft - zusätzlich zu dem einen Schüler, der direkt erwischt wurde. Die Schulen können im Einzelfall entscheiden, wie die Schummel-Versuche geahndet werden.
Schulleitungen fordern klarere Regelungen von Behörde
Genau das kritisiert der Vorsitzende der Vereinigung der Hamburger Gymnasialschulleitungen, Christian Gefert. Er forderte, dass die Behörde klarer regeln sollte, wie die Schulen mit dem Thema KI rechtssicher umgehen können. Die Behörde wies den Vorwurf zurück. Man habe die Schulen ausführlich schriftlich informiert. Gefert forderte außerdem, dass ganz grundsätzlich überlegt wird, wie sich Schulen den Entwicklungen anpassen können, statt nur zu versuchen, neue Techniken ins alte System zu quetschen.
Er sieht eine Möglichkeit darin, dass Schülerinnen und Schüler ihre Lerninhalte mündlich vortragen. Damit könne man gut herauszufinden, "ob eine Kompetenz da ist oder ob sie nicht da ist", sagte Gefert im NDR Hamburg Journal. Er sehe diverse Möglichkeiten, zum Beispiel könnten Schülerinnen und Schüler Experimente durchführen, um darüber ins Gespräch zu kommen.
Schüler:innenkammer: Schummeln gab es schon immer
Ein Sprecher der Schüler:innenkammer Hamburg sagte, es sei richtig, dass ChatGPT eine neue Art des Schummelns ermögliche, Schummeln an sich sei aber nicht neu an der Schule. "Deshalb ist das hier auch keine problematische Entwicklung, es ist nur eine Entwicklung, an die wir uns anpassen müssen - wie an jede andere auch", so der Sprecher weiter. Die Schüler:innenkammer fordert, dass weniger über Betrugsfälle, sondern mehr über die Chancen diskutiert werden sollte, die der Einsatz von KI an Schulen biete.
Schulsenator verweist auf bundesweite Arbeitsgruppe
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) sagte im Gespräch mit dem NDR zu den Auswirkungen von ChatGPT: "Wir haben in der Kultusministerkonferenz eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Konsequenzen dieses neuen Programms erörtern und Vorschläge machen soll." Er rief zu einem gelasseneren Umgang mit Künstlicher Intelligenz an Schulen auf. So lange man eine Schummelei nicht nachweisen könne, werde das nicht geahndet werden können. "Wir müssen Schülerinnen und Schüler auf frischer Tat ertappen. Ansonsten ist das leider die Grauzone, die es immer geben wird."
Forderung nach Reform des Notensystems aus Bayern
Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hingegen fordert eine Reform des klassischen Notensystems. "Ich glaube, dass die schnelle Entwicklung der KI uns kein langsames Weiterentwickeln der Leistungsbewertung erlaubt. Wir müssen einsehen, dass unser Leistungssystem oldschool ist", sagte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann der Deutschen Presse-Agentur in München. Man müsse endlich aufhören, "nur die Note als allein glückselig machend zu sehen".
VDR: Ministerien und Lehrkräfte müssen Vorkehrungen treffen
Anders bewertet der Verband Deutscher Realschullehrer (VDR) die Situation. "Noten und KI schließen sich aus? Welche Logik hinter dieser vermeintlichen Feststellung steckt, erschließt sich einem nicht", so der VDR-Bundesvorsitzende Jürgen Böhm. Spätestens seit dem grafikfähigen Taschenrechner liege es in der Verantwortung von Ministerien und letztlich Lehrkräften, bei Prüfungen besondere Vorkehrungen zu treffen.