Ballettkritikerin: "Xenia Wiests Freistellung ist schlechter Stil"
Völlig überraschend hat sich das Mecklenburgische Staatstheater von seiner Ballettchefin getrennt. Die Gründe bleiben nebulös. Für die Tanzkritikerin Dorion Weickmann ist die Art und Weise inakzeptabel.
Sie soll "mehrfach gegen Pflichten ihres Arbeitsvertrages verstoßen haben", heißt es in einer schriftlichen Erklärung des Staatstheaters. Genaueres ist bislang über die Gründe der Trennung von Xenia Wiest nicht bekannt. Erst vor kurzem hatte die Ballettdirektorin und Chef-Choreografin am Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin ihre Pläne für die nächste Saison vorgestellt. Künstlerisch war Xenia Wiest sehr erfolgreich, wie auch die Tanzkritikerin Dorion Weickmann bei NDR Kultur erklärt. Für sie ist die Freistellung unverständlich, auch weil die Vorwürfe völlig unspezifisch sind. Weickmann erwartet nun "Klartext" von der Intendanz.
Frau Weickmann, was haben Sie gedacht, als Sie vom Rauswurf von Xenia Wiest erfahren haben?
Dorion Weickmann: Ich habe das schon gestern im Lauf des Tages erfahren. Ich konnte es ehrlich gesagt, nicht fassen, weil Xenia Wiest in Schwerin eine extrem erfolgreiche Arbeit gemacht hat. So wie ich gehört habe, ist das Ballett die am besten ausgelastete Sparte des Hauses, also auch nach außen hin ein wirkliches Aushängeschild gewesen. Und ich habe Xenia Wiest als eine Person, eine Künstlerin kennengelernt, die - und das kommt sehr selten vor - einen anruft, wenn eine Kritik nicht so gut ausgefallen ist. Die dann wirklich lernen will, was sie anders machen kann. Die sehr sachlich und überhaupt nicht emotional in eine Auseinandersetzung geht. Das finde ich schon sehr erstaunlich. Sie ist sicherlich niemand, der Schnellschüsse macht.
Man kann ja gar nicht anders, als jetzt zu spekulieren. "Pflichten des Arbeitsvertrags verletzt oder dagegen verstoßen", heißt es, seien die Gründe. Man will nicht zu viel spekulieren, aber wonach klingt das für Sie?
Weickmann: Ich kann es wirklich überhaupt nicht beurteilen. Ich finde auch, dass der Ton der Pressemitteilung alle Fragen offen lässt. Da steht ja wirklich nichts drin, dass man sich in irgendeiner Form vorstellen kann, was da passiert ist. Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz, ihr Verhalten innerhalb des Theaterbetriebes untragbar? Also, das ist schon sehr hartes Geschütz. Und ich habe keine Ahnung, was dahinter stecken könnte.
Ich erwarte aber eigentlich auch, dass da Klartext geredet wird. Also wenn man schon mit so harten Vorwürfen an die Öffentlichkeit geht, dann muss man auch deutlicher sagen, was los war. Im Übrigen ist es auch eine sehr asymmetrischen Situation, weil die in diesem Fall Beschuldigte vermutlich nichts dazu sagen wird. So wird sie sicher anwaltlich beraten lassen. Es wird vor Gericht gehen, und die Öffentlichkeit steht da und kann das nicht verstehen.
Also in diesem Fall müsste die Intendanz sagen, was genau passiert ist, um die Öffentlichkeit zu informieren und auch Xenia Wiest vielleicht die Chance zu geben, ihre Sicht darzustellen?
Weickmann: Ja, ich finde schon. Eine Freistellung von jetzt auf gleich ist ein heftiger Schritt, der jetzt wie vom Himmel fällt. Da muss man schon Ross und Reiter benennen. Ich kann mich nur an einen vergleichbaren Fall erinnern. Das war Adolphe Binder in Wuppertal. Sie ist damals an die Öffentlichkeit gegangen, weil sie gesagt hat, ich habe nichts zu verlieren. Sie hat dann vor Gericht auch gewonnen in der letzten Instanz. Aber das sind ganz ungute Verfahren. Und es ist einfach auch kein guter Stil.
Ist es denkbar, dass sich Menschen aus der Compagnie nun öffentlich äußern?
Weickmann: Das ist sehr unwahrscheinlich. Denn man muss bedenken, dass Tänzerinnen und Tänzer oft nur jahresweise engagiert werden. Das bedeutet, dass es immer auch um ihre eigene Existenz und ihre Zukunft geht. Da müsste schon ein sehr, sehr starkes Loyalitätsverhältnis bestehen, dass jemand öffentlich Stellung bezieht. Ich denke, dass Xenia Wiest diese Compagnie sehr gut aufgestellt hat. Ich glaube auch, dass sie Rückhalt hat unter den Tänzern und Tänzerinnen. Aber wie weit das letztlich reicht, ist sehr schwer zu beurteilen.
Heute sind wir noch sehr ratlos. Denken Sie, dass in den nächsten Tagen oder vielleicht heute, was Genaueres bekannt wird?
Weickmann: Ich denke, jetzt wird man erstmal versuchen, in Schwerin eine Interimslösung zustande zu bringen, was wahrscheinlich nicht so schrecklich schwierig ist. Denn es gibt ja genug Leute, die so etwas sehr gerne machen möchten. Wenn sich Xenia Wiest dann entscheidet, es auf einen Prozess ankommen zu lassen, dann wird man erfahren, was Sache war.
Das Interview führte Philipp Schmid.