Andrea Paluch: "Wir erzählen die offenen Enden des Schimmelreiters weiter"
Der Film "Die Flut - Tod am Deich" basiert auf dem Romandebüt von Andrea Paluch und Robert Habeck, der damals noch nicht Vizekanzler war. Ein Gespräch mit der Autorin.
Viele Jahre übersetzte das Paar englische Lyrik ins Deutsche. Heute ist Robert Habeck Bundeswirtschaftsminister, Andrea Paluch arbeitet weiter als Autorin, meist in ihrem Haus an der dänischen Grenze. Sie erzählt, wie es zu dem Romandebüt kam, warum der Stoff noch heute so aktuell ist und wie es nervt, als "Frau von" bezeichnet zu werden.
Wie kamen Sie damals darauf, Theodor Storms "Schimmelreiter" neu zu erzählen?
Andrea Paluch: Als die Idee aufkam, dass wir einen eigenen Roman schreiben, wollten wir etwas Intertextuelles machen. Wir wollten uns also auf einen Klassiker beziehen. Wir kannten das aus der angelsächsischen Literatur. In Deutschland gab es damals nicht so viele intertextuelle Romane. Uns hat das gereizt,
Wie kamen Sie da auf den "Schimmelreiter"?
Paluch: Wir haben uns viele Klassiker nochmal vorgenommen und uns bei Storm festgelesen. Der "Schimmelreiter" hat sich uns dann geradezu aufgedrängt, weil er so viele offene Enden hat, die aus unserer Sicht unbedingt weitererzählt werden mussten.
Welche offenen Enden?
Paluch: Der Auslöser war für uns, dass sich Hauke Haiens Frau Elke mit ihm in die Fluten stürzt und sich opfert. Das gemeinsame Kind nimmt sie mit in den Tod. Uns erschien das völlig unplausibel. Vielleicht lag es auch daran, dass wir gerade selbst junge Eltern waren. Also haben wir uns entschieden, dass das Kind bei uns überlebt. Es ist der Anfang für unsere Geschichte. Weil dieses Kind dann als erwachsene Frau versucht herauszufinden, wo es herkommt.
Schon vor 20 Jahren war der Roman ein Erfolg. Im vergangenen Jahr hat Kiepenheuer & Witsch "Hauke Haiens Tod" neu aufgelegt. Womit erklären Sie sich das Interesse an dem Stoff?
Paluch: Ich glaube einfach, dass es ein gut gealtertes Buch ist.
Vielleicht liegt es auch daran, dass Ihr Mann, mit dem Sie den Roman damals geschrieben hat, heute Vizekanzler ist? Nervt das nicht auch ein bisschen?
Paluch: Ach, ich versuche diese Kritiken und Bezüge gar nicht zu lesen und gehe auch nicht zu Veranstaltungen, zu denen ich ausschließlich als die "Frau von" eingeladen werde. Aber wir haben die Romane ja zusammen geschrieben, bevor Robert in die Politik ging. Es war ein Teil meines Lebens, der schön war und den ich jetzt auch nicht verleugnen will.
Nun hat die ARD den Stoff verfilmt. Inwieweit waren Sie in das Drehbuch und die Verfilmung einbezogen?
Paluch: Nicht so sehr. Das Produzententeam Wilfried Hauke und Kerstin Ramcke hatten schon bei Erscheinen des Romans die Idee zur Verfilmung. Aber irgendwie hat sich das immer wieder zerschlagen. Trotzdem sind sie drangeblieben und haben jetzt mit Daniela Baumgärtl und Constantin Lieb als Drehbuchteam die Neubearbeitung gemacht. Wir durften das immer mitverfolgen und die Sachen anschauen und durchlesen. Wir sollten es zumindest nicht doof finden.
Und finden Sie es doof?
Paluch: Nein, der Film ist einfach nur total toll. Wir sind mega begeistert. Er ist so bildgewaltig und dazu die Musik. Man muss von seinem Buch etwas Abstand nehmen, weil ein Film natürlich anders funktioniert als ein Roman.
Der Spielfilm lässt sich nicht so recht fassen, er ist ein Krimi, ein bisschen Mystery, eine Coming-of-Age-Geschichte, ein Sozialdrama. Hatten Sie bei Ihrem Roman ein Genre im Kopf?
Paluch: Als das Buch herauskam, wurde es in vielen Buchläden in die Krimiregale gestellt. Das hat uns überrascht. Wir hatten die Intertextualität im Kopf, wollten aber auch, dass man es versteht, ohne den "Schimmelreiter" zu kennen. Es passt schon ins Genre Krimi rein. Den Lesenden, die noch ein bisschen weiter gehen wollen, denen sage ich: Lest nochmal den "Schimmelreiter". Dann macht es nochmal richtig Spaß.
Was ist denn in dem Film anders als im Roman?
Paluch: Verändert haben sich nicht unsere beiden Helden, also Iven und Wienke, die auf die Suche gehen. Und natürlich dieses Sturmflut-Thema. Das ist wahrscheinlich auch der zeitlose Faktor, oder der Faktor, der heute wegen des Klimawandels noch moderner ist als vielleicht vor 20 Jahren. In dem Film ist das Motiv für die Geschehnisse ein anderes als in unserm Buch. Das kann ich jetzt nicht verraten.
Sie haben zusammen mit Ihrem Mann erst englische Lyrik ins Deutsche übersetzt, dann gemeinsam Romane geschrieben. Nun arbeiten Sie allein. Eine Umstellung?
Paluch: Es ist total anders. Früher habe ich im Gespräch gearbeitet und jetzt im Stillen.
Wie hat das konkret funktioniert?
Paluch: Wir haben alles im Gespräch entwickelt. Da ging es um das Diskutieren über Wörter und Sprache. Die Arbeitsweise haben wir dann auf unsere eigene Prosa übertragen, also auch über den Plot geredet, das Genre, die Figuren, die Storyline. Auch den Fließtext haben wir uns gegenseitig so oft vorgelesen und umgeschrieben, bis wir beide mit jedem Wort einverstanden waren.
Wie ist es denn jetzt, mit einer so lange zurückliegenden Arbeit eine derartige Aufmerksamkeit zu bekommen?
Paluch: Dieses Buch wird gerade zu einem zweiten Leben erweckt, das ist unglaublich. Es kommt jetzt ja auch im Deutschen Theater Berlin auf die Bühne, am folgenden Abend ins Fernsehen, außerdem ist es gerade auf Dänisch erschienen. Es ist einfach überwältigend und sehr schön.
Das Gespräch führte Britta Schmeis. "Die Flut - Tod am Deich" steht ab Donnerstagabend (25. April) in der ARD-Mediathek.