Mit der Schriftstellerin Andrea Paluch in Großenwiehe
Andrea Paluch schreibt Romane und Kinderbücher. Vieles hat sie auch mit ihrem Ehemann, dem Politiker Robert Habeck, verfasst. Zehn Jahre lebten sie in Großenwiehe südwestlich von Flensburg. Ein Besuch vor Ort.
Flensburg, Westliche Höhe, ein gefragtes Wohnviertel. Andrea Paluch spaziert durch Sonnenschein und steigt ins Auto. Sie sei gelegentlich noch in Großenwiehe und besuche dort eine ehemalige Nachbarin. Kurz darauf sind wir da. Wir stehen vor einer weißen Villa an der Dorfstraße, ein ehemaliges Altenteil, das beim Einzug der damals jungen Familie noch recht renovierungsbedürftig war. Hinter dem Fenster stand der Schreibtisch. Tatsächlich kommt auch eine Nachbarin vorbei und grüßt kurz: "Na, hast du dich verlaufen?".
Sie habe einiges von Andrea Paluch gelesen, sagt die Nachbarin. "Ruf der Wölfe" zum Beispiel. In diesem Buch begegnet ein Jugendlicher einem Wolf. Nicht zu verwechseln mit dem "Schrei der Hyänen". Diesen Roman haben Andrea Paluch und Robert Habeck auch in Großenwiehe geschrieben. In knappen, ruhigen Stunden, in denen eine andere Nachbarin auf die Kinder aufpasste. Der Roman thematisiert die deutsche Kolonialgeschichte in Namibia. "Es geht um eine deutsche Auswanderin, die einen deutschen Farmer heiratet, ein Kind bekommt. Zwei Generationen später entsteht aus dieser Vorgeschichte ein Dilemma", fasst Paluch zusammen.
"Zwischen den Jahren" handelt von einem Mann im Rampenlicht
Alleine hat sie in Großenwiehe den Roman "Zwischen den Jahren" geschrieben - mit einem Protagonisten, der Talkshows moderiert, mit der großen Politik auf "Du und Du" ist und abends müde nach Hause kommt. Auch eine Frau spielt eine Rolle, die - wie Andrea Paluch damals - in einer Rockband spielt.
Dieser Roman "Zwischen den Jahren" ist aus heutiger Perspektive schon bemerkenswert. Als sie das Buch schrieb, hatte Robert Habecks Aufstieg in der Landespolitik gerade erst begonnen. "Klar kann man jetzt sagen: Das war irgendwie prophetisch, aber das war es nicht", stellt Paluch klar. "Es ist eine fiktive Figur. Es ist nicht autobiografisch. Das ist nur: Ich teile Wissen."
Dorf-Anekdoten aus Großenwiehe aufgeschrieben
Als sie später dann in Flensburg wohnten, sammelte Andrea Paluch all die Anekdoten über vieles, was sie in Großenwiehe als etwas exotisches "Künstlerehepaar" erlebt hatten. So wurden sie wohl gesehen. Das Buch heißt "Wundervolles Dorfleben". Es erzählt Unbeschwertes - und politisch hoch Brisantes.
"Was ich immer noch ziemlich krass finde, ist die Geschichte mit dem Bürgermeister, der die Wahlplakate abnimmt. Die Grünen-Wahlplakate waren über Nacht weg. Verschwunden", erinnert sich Paluch. "Und es stellt sich heraus: Der Bürgermeister hat die abgenommen und auf den Acker geworfen. Er musste sein Dorf vor diesen neuen Einflüssen bewahren. Robert hat das sozusagen von Mann zu Mann geklärt, was ich echt mutig fand. Man hätte es ja auch sein lassen können. Aber Robert ist zu ihm hin und hat die Dinger zurückgekriegt."
Darauf angesprochen meint der damalige CDU-Bürgermeister, er habe nur Robert Habeck angerufen und ihm mitgeteilt, das Plakatieren sei verboten. Abmontiert habe er aber nichts. Lang ist's her.
Paluch schrieb "Gipfelgespräch" in Erinnerung an Wandertouren
In Flensburg wohnen sie jetzt schon zehn Jahre. Alle vier Kinder sind aus dem Haus. Und sie schreibt wieder ein Buch über eine Frau, die sie selbst sein könnte, aber nicht ist. Die alleine bergwandert und über ihr Leben nachdenkt. Ja, Paluch war auch selbst in den Alpen Bergwandern. Aber mit ihrer Familie: "Das Wandern an sich fanden die, glaube ich, langweilig. Wenn man sich darauf einlässt, dann ist das genau richtig. Das ist auch das, was ich daran genieße. Aber wir hatten ein paar Experten dabei. Die sind halt voll losgestratzt. So schnell konnte man gar nicht gucken und haben Lieder gesungen - meine Kinder." Das war die Entstehungsgeschichte zum Roman "Gipfelgespräch".
Kinderbuch über Dystopien und Utopien
Neu ist zudem ein Kinderbuch, dass die "Die besten Weltuntergänge" im Titel trägt. Es ist kindgerecht, bunt bebildert und erzählt Dystopien einer zerstörten Welt, aber auch Utopien, wie alles besser werden könnte. Das Entwerfen der Dystopien sei leicht gewesen, sagt Paluch, "weil man ja sowieso schon durch die Klimadiskussion die schlechten Bilder vorgeführt bekommt. Was ein bisschen schwieriger war, waren die Utopien, die natürlich möglich sind und die man sich ganz unbedingt vorstellen muss, weil man sonst nicht auf die Idee kommt, dass es auch anders sein könnte."
Buchtipps von Andrea Paluch
Und was liest die Schriftstellerin, die aus Garbsen stammt und unter anderem in Hannover und Hamburg Literatur studiert hat, selbst? Etwa ein Buch, das in Berlin von der Kaiser- bis zur Nazizeit spielt. Die Familienchronik "Effingers" von Gabriele Tergit. "Es beschreibt eine jüdische Familie. Man weiß theoretisch alles aus dieser Zeit. Aber ich habe das erste Mal das Gefühl gehabt: Ich checke die Mentalität der Leute damals. Man kann ein bisschen verstehen, wie die Leute drauf waren, wie die gedacht haben." Ein zweites Buch spielt ebenfalls in dieser Zeit, "Das kunstseidene Mädchen" von Irmgard Keun. "Unheimlich schmissig geschrieben. Die plappert, hat unheimliche Phantasien, was ihre Zukunft angeht. Sie erlebt krasse Sachen, hat aber eine tiefe Einsicht."
Nach Berlin zu ihrem Mann wird Andrea Paluch jetzt auch wieder fahren. Bevor sich die Familie dann wieder zu Weihnachten in Flensburg komplett versammelt.