NachGedacht: Ruhe jetzt - von Hoddis zu Kermit
Hilft ein Nachrichten-Aus gegen Schmerzen? Welche Weisheiten verkünden die Muppets? An wem sollte man sich in wirren Zeiten orientieren, fragt sich Lena Bodewein - und findet eine erstaunliche Antwort.
Eben stieß ich auf eine aktuelle Zustandsbeschreibung aus der Vergangenheit.
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
in allen Lüften hallt es wie Geschrei
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.
Auszug aus "Weltende" von Jakob van Hoddis
Soweit ein Teil des Gedichts "Weltende" des Expressionisten Jakob van Hoddis. 1911 entstanden, aber fühlt sich für mich sehr heutig an, denn die Zeiten sind wie Hoddis, oder das, was ich mir darunter vorstelle. Trubel, Chaos, Beschimpfungen, Lügen, Niedertracht, Krieg, Unterstellungen, Naturkatastrophen - wem bei all dem der Kopf schwirrt, den kann ich gut verstehen. Selbst bei der ersten Sitzung des neuen Bundestags, sonst mit der freundlich-routinierten Aufregung einer erneuten Einschulung bedacht, geriet einiges durcheinander, eine rüpelige Rechtspartei drängte sich mit dem für sie typischen Gejammer vor die Eröffnung, erst dann durfte der neue Alterspräsident zu Wort kommen - und sogar dessen Rede war eher Kraut und Rüben. Währenddessen landen hochgeheime Angriffspläne der USA in eine Chatgruppe mit Journalistenbeteiligung. Und anstatt zu sagen: "Hoppla, das war nicht gut!" zeihen die schuldigen Politiker den Journalisten der Lüge, überziehen ihn mit Schmutz, es ist allüberall ein Chaos und voll Hoddis.
Im Tollhaus sind die Muppets die Weisen
In solchen Zeiten verblüfft es eigentlich nicht, dass die Universität von Maryland einen besonderen Redner angeheuert hat, um die Abschlussrede für die Studierenden zu halten, ihnen Rat und Wegweisung zu geben, Orientierung in turbulenter Weltlage und unsicherer Zukunft: Es ist Kermit der Frosch. Er hat wahrscheinlich Vernünftigeres zu verkünden als die Granden. Denn in einem Tollhaus sind die Muppets die Weisen.
Was hilft gegen das Hoddis-Gefühl: Ruhe. Medien aus. Kopf ruhig bekommen, auf dass er aufhöre zu schwirren. Auf Bali zum Beispiel wird am Wochenende der hinduistische Feiertag Nyepi begangen, der Tag der Ruhe, mit dem ein neues Jahr beginnt. Kein Radio sendet, keine Fernsehstation, die Menschen dürfen die Häuser nicht verlassen, nicht feiern, nicht telefonieren, auch keine Videos betrachten.
Nachrichten-Aus gegen Weltschmerz
Das hilft bestimmt beim Abschalten. Viele Experten empfehlen ja ab und zu ein Nachrichten-Aus, das hilft gegen Weltschmerz. Aber dass beim Tag der Ruhe keine Videos geschaut werden dürfen, ist insofern schade, als ich sonst unbedingt Naturvideos empfehlen würde! Denn einer neuen Studie zufolge brauchen Menschen, die solche Bilder sehen, weniger Schmerzmittel. Das gilt selbstverständlich erst recht für die echte Natur - weniger Schmerzmittel dank Baum, Busch und Wiese. Weniger Weltschmerz auch, weniger Hoddis-Gefühl! Also gilt generell: Mobiltelefon, Fernsehen, Radio, Internet aus, raus ins Grün.
Denn wie sagt der weise Kermit, der Frosch hoher Gelehrtheit: "It’s not easy being green", "es ist nicht leicht, grün zu sein". Grün nicht nur als Klima- und Umweltschützer, sondern grün auch als positive Lebenseinstellung. Aber: Wenn es nicht leicht ist, grün zu sein, dann kann man zumindest grün sehen. Also, lassen wir dem Kermit in uns freien Lauf! Auf wen sollen wir sonst hören?
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie diese Kolumne geben die persönliche Sicht der Autorin wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sie sich bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.
