AfD-Politiker auf Kulturveranstaltungen: Einladen oder nicht?
Nachdem Gäste der AfD zur Berlinale-Eröffnung zunächst ein- und dann wieder ausgeladen wurden, ist eine Debatte um den Umgang mit den Rechtspopulisten entbrannt. Wie verhalten sich norddeutsche Kulturbetriebe? Ein Zustandsbericht.
"Ich halte das, was in Berlin passiert ist, für eine handwerkliche Katastrophe, denn es lässt die AfD als Opfer dastehen und das ist das Schlimmste, was hätte passieren können", sagt Christian Kuhnt, der Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Auch Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda ist von der Entscheidung der Berlinale nicht begeistert, fünf AfD-Politiker erst ein- und sie dann wieder auszuladen. Er formuliert aber im diplomatischen Politik-Jargon: "Das sah von außen recht ungelenk aus, um das mal so zu sagen."
Er weist auf einen entscheidenden Umstand hin: "Wäre es der Staat gewesen, kann der Staat gar nicht anders, als Mitglieder von Verfassungsorganen einzuladen. In diesem Fall aber hat nicht der Staat eingeladen, sondern es hat eine Einrichtung eingeladen, die aus meiner Sicht die Hoheit über ihr Einladungsmanagement hat und gegebenenfalls auch damit umgehen muss, wenn das kritisiert werden muss".
Der AfD nicht die Opfer-Rolle lassen
Was also hätten Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian von der Berlinale-Spitze tun können? Vielleicht hätte ein Blick zurück gut getan. Der frühere Festival-Chef Dieter Kosslick reagierte auf die Zumutung der AfD schon 2019 auf seine ganz eigene Weise: Er bot Vertretern der Partei Freikarten für den Dokumentarfilm "Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto'", gewissermaßen als Akt der politischen Bildung. Eine geniale Geste, findet Christian Kuhnt: "Einen Demagogen zu beeinflussen, ist außerordentlich schwierig. Aber die Menschen, die sich verführen lassen, die können wir erreichen. Und das hat Dieter Kosslick mit seiner provokanten Art vor fünf Jahren vorbildlich gezeigt."
Auch Albert Wiederspiel, der das Filmfest Hamburg 21 Jahre lang geleitet hat, hatte seinen eigenen Umgang mit der AfD. Als Leiter eines öffentlich geförderten Festivals war für ihn klar, die Repräsentanten des Staates einzuladen, also gewählte Politiker. Er wollte aber immer vermeiden, dass die AfD sich als Opfer inszenieren konnte: "Ich hab' die beim Filmfest Hamburg immer eingeladen, die sind aber nie gekommen und wir waren alle froh - die waren nicht da, es war wunderbar. Aber den Gefallen, sie nicht einzuladen, möchte ich ihnen nicht tun, damit sie keinen Punkt scoren können in ihrer Opferrolle. Das darf man nicht."
Literaturhaus Hannover: Informieren ja - einladen nein
Das Literaturhaus Hannover muss sich vermehrt mit den Rechtspopulisten auseinandersetzen, denn die Vorsitzende des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur im niedersächsischen Landtag Jessica Miriam Schülke ist von der AfD. Damit sind Literaturhaus-Chefin Kathrin Dittmer und ihr Team mit einer Partei konfrontiert, "die ja auch das, wofür wir stehen - so fassen wir es zumindest auf - absolut ablehnt. Und zwar auch erklärtermaßen solche Kultureinrichtungen wie Literaturhäuser, die Orte offener Debatten sind, pauschal verurteilt".
Deshalb gilt die Maxime: Informieren: ja, einladen: nein. "Ich halte die AfD für nicht demokratisch, auch wenn sie gewählt ist und da müssen wir mit denen nicht noch gemeinsam feiern", findet Kathrin Dittmer, "aber natürlich werden sie informiert und so sie kommen und mit uns diskutieren wollen und sich zu Wort melden, gehen wir darauf ein."
Gesellschaftliche Rolle der Kultur bewusst machen
Neben dem pragmatischen Handeln von Kosslick, Wiederspiel und Dittmer müsse man aber jetzt ganz Grundsätzliches diskutieren, regt Karin Prien an, die Bildungsministerin Schleswig-Holsteins: "Ich habe großes Verständnis für Aversion und Antipathie. Ich glaube aber nicht, dass das der richtige Weg ist. Man muss die Auseinandersetzung suchen und gerade im Kulturbereich kann man sie auch selbstbewusst führen. Gerade der Kulturbereich ist der lebende Beweis dafür, dass eine pluralistische, lebendige Gesellschaft einen solchen Mehrwert darstellt für jeden einzelnen Bürger. Deshalb sollte sich auch die Kultur der Auseinandersetzung stellen."
Genauso sieht das auch Christian Kuhnt vom SHMF. Diese ganze Debatte, findet er, sei völlig überflüssig und lenke nur vom Wesentlichen ab. Es gehe um die gesellschaftliche Rolle der Kultur: "Statt offene Briefe zu formulieren, sollte sich jeder fragen: Was tut er eigentlich gerade, um die Anti-Demokraten zu stoppen? Und da kann Kultur sehr viel mehr, als Einladungsmanagement zu verwalten. Wir müssen jeden Tag daran arbeiten, Menschen zu erreichen, die vielleicht auf der Kippe stehen, die verführbar sind von Demagogen - das kommt mir viel zu wenig vor in der Debatte."
Fehlende Einladungen allein bekämpfen keine Antidemokraten
Oder um es mit den Worten von Kulturstaatsministerin Claudia Roth zu sagen: Eine antidemokratische Partei in den Parlamenten werde nicht allein dadurch bekämpft, dass deren Abgeordnete nicht mehr eingeladen werden, sondern, so Roth: "Wir müssen mehr tun, damit Demokratiefeinde nicht mehr in die Parlamente kommen."