Berlinale-Chefin Rissenbeek: "AfD hat eine Grenze überschritten"
Nach tagelanger Diskussion hat die Festivalleitung am Donnerstag fünf AfD-Politiker wieder von der Eröffnungsgala der Berlinale ausgeladen. NDR Kultur hat darüber mit Berlinale-Chefin Mariette Rissenbeek gesprochen.
Warum haben Sie sich nun doch dazu entschieden, die Einladung zurückzunehmen?
Mariette Rissenbeek: Wir haben in den letzten Tagen gespürt, wie sehr alle, die hier bei der Berlinale arbeiten, aber auch das Publikum, das zu uns kommt, damit hadern: Dass wir als Berlinale, die so demokratisch, international, antirassistisch und gegen Diskriminierung aufgestellt ist, Leute aktiv einladen und willkommen heißen, die für eine Partei stehen, die genau das Gegenteil unserer Werte vertritt.
Hat vor allem der öffentliche Druck - unter anderem gab es ja einen Brief von rund 200 Filmschaffenden - dazu geführt, dass Sie so entschieden haben?
Rissenbeek: Der offene Brief war auf jeden Fall ein Anlass dazu, dass wir uns noch einmal sehr viel mehr und sehr viel intensiver damit auseinandergesetzt haben. Der offene Brief hat im Haus noch mal zu vielen Gesprächen und sehr vielen Überlegungen geführt.
Hat die Diskussion Sie überrascht?
Rissenbeek: Ich glaube, die Entwicklung der AfD oder zumindest, wie sie in den letzten Wochen kommunizierte, hat noch mal dazu geführt, dass viele Menschen sehr viel sensibler geworden sind für das, wofür die AfD steht. Für die Ideen, die sie entwickelt, die sie auch immer weiter und extremer entwickelt. Das hat natürlich auch bei uns noch mal ein anderes Empfinden dafür geschaffen.
Die "Süddeutsche Zeitung" hat Ihre Entscheidung kritisiert und schreibt, dass "die Sache das Potenzial hat, sich als Eigentor zu erweisen". Denn AfD-Politiker sitzen nun mal als gewählte Vertreter in politischen Institutionen, die traditionell zur Berlinale eingeladen werden. Die Fraktionsvorsitzende der AfD in Berlin hat schon von einem "kulturpolitischen Fanal" gesprochen. Was sagen Sie dazu?
Rissenbeek: Wir sind selbstverständlich auch daran interessiert, für alle offen zu stehen. Aber die AfD ist nicht demokratisch. Die ist sehr dafür, Menschen, die bei uns arbeiten, die als Publikum hier sind und die hier in der dritten Generation in Deutschland wohnen, diese Menschen will die AfD aus dem Land weisen. Das ist für mich einfach ein Grenzübertritt.
Welche Reaktionen aus der Berliner Kultur und Politik haben Sie erreicht?
Rissenbeek: Die haben mich eher bestärkt in dieser Entscheidung. Und natürlich hatte ich auch mit der Politik schon gesprochen, die zumindest unsere Entscheidung akzeptiert. Die Kulturinstitutionen in Berlin, die selbst auch in die Enge getrieben werden, müssten sich natürlich auch gemeinsam mit uns positionieren.
Sie mussten in ihrer Zeit als Leiterin der Berlinale - gemeinsam mit Carlo Chatrian - schon viele Krisen managen, nun diese. Freuen Sie sich trotzdem auf diese - Ihre letzte - Berlinale?
Rissenbeek: Ich freue mich tatsächlich darauf, aber jetzt kann das bei uns im Haus niemand mehr hören. Ich habe ein Projekt im Bereich Fußball umsetzen können: Elf Kurzfilme über elf Jugendvereine, die deutschlandweit im Fußball tätig sind. Mädchen, Jungs, Menschen mit diversen Hintergründen, mit Einschränkungen. Und da werden 130 Jugendliche zur Berlinale anreisen, um am 21. Februar diese Premiere zu feiern. Und das ist für mich auch das, wofür die Berlinale steht: Ein gemeinsames Kinoerlebnis. Das ist ein toller Ausblick für mich.
Das Gespräch führte Anna Novak.