1.000 Euro pro Tag - Schriftsteller Thomas Brussig im Gespräch
Im November sprach ein Gericht Brussig im Streit mit der Stage Entertainment eine Millionensumme zu. Im Interview redet er darüber, wie das Musicalunternehmen trickst, um Urheber nicht angemessen bezahlen zu müssen.
Das Udo-Lindenberg-Musical "Hinterm Horizont" war Berlins größter Bühnenerfolg aller Zeiten. Im Auftrag des Hamburger Musicalunternehmens Stage Entertainment hatte der Schriftsteller Thomas Brussig ("Helden wie wir", "Das kürzere Ende der Sonnenallee", "Das gibt's in keinem Russenfilm") das Libretto dazu geschrieben und dafür 100.000 Euro erhalten. Wegen des riesigen Erfolgs des Musicals fand Brussig das zu wenig und verklagte Stage Entertainment auf Basis des "Bestsellerparagrafen" im Urheberrecht.
Das Landgericht Hamburg gab ihm nach zehn Jahren Prozessdauer nun in erster Instanz Recht und sprach ihm fünf Millionen Euro zu - plus Zinsen. Das Urteil könnte als Präzedenzfall in Urheberrechtsfragen in die Geschichte eingehen. Das Musicalunternehmen Stage Entertainment hat Berufung dagegen eingelegt.
Im Gespräch berichtet Thomas Brussig nun ausführlich davon, wie ihn seinerzeit Udo Lindenberg persönlich anrief und um das Libretto für das Musical bat, es dann aber "zum Glück" zu keiner weiteren Zusammenarbeit kam. Wie das Musicalunternehmen Stage Entertainment trickst, um sich künstlich arm zu rechnen und Urheber nicht angemessen bezahlen zu müssen. Und wie ihn jeder weitere Tag des Verfahrens um 1.000 Euro reicher macht.
Herr Brussig, Sie haben 2014, drei Jahre nach der Premiere von "Hinterm Horizont", Klage gegen Stage Entertainment eingelegt. Worum ging es Ihnen da?
Thomas Brussig: Ich habe das Libretto für das Udo-Lindenberg-Musical geschrieben - das ist die erfolgreichste Bühnenproduktion der Berliner Theatergeschichte. Das wusste ich zu dem Zeitpunkt, als ich die Klage eingelegt habe, noch nicht. Ich hatte damals einen Vertrag, der vorsieht, dass ich als Urheber für meine Leistung bezahlt worden wäre ab dem Punkt, ab dem das Musical einen Gewinn erzielt. Ich habe bei Vertragsschluss gefragt, wann damit zu rechnen sei, und da wurde gesagt: Acht Monate, vielleicht ein bisschen früher, vielleicht ein bisschen später. Nach acht Monaten ist aber nichts passiert, auch nicht nach 16. Nach 18 Monaten habe ich gefragt, wann die Gewinnschwelle nun erreicht werde, und da haben sie mir gesagt, die sei noch nicht erreicht worden, und möglicherweise werde sie nie erreicht.
Da habe ich gesagt, dass wir vielleicht mal nachverhandeln sollten, denn bei den Verhandlungen war die Rede von acht Monaten. Da hat mir die Gegenseitige gesagt, dass da nicht nachverhandelt werde, das sei nun mal so. Daraufhin hat mir mein Anwalt Dr. Urs Verweyen, der auf solche Fälle spezialisiert ist, erklärt, dass der deutsche Gesetzgeber will, dass die Urheber von ihren Werken leben können sollen und dass es überhaupt nicht im Sinne des Gesetzgebers ist, dass sich Produktionen arm rechnen oder dass Produktionen einfach verschwinden, dass die Werke der Urheber genutzt werden, ohne dass die Urheberrechts davon was haben. Es gibt den Paragraphen 32a des Urhebergesetzes, der den Urhebern zusichert, dass sie das Recht auf eine angemessene Vergütung haben, und angemessen ist das, was in der Branche üblich ist.
Das hat sich alles über zehn Jahre hingezogen. Inwiefern hat Sie das belastet oder womöglich gelähmt?
Brussig: Es war schwierig, und es hat natürlich eine Rolle in meinem Leben gespielt, weil da auch über den eigenen Wert verhandelt wird. Es war eine schwierige Zeit und jetzt wird es dadurch leichter, weil jetzt klar ist, in welche Richtung es geht. Natürlich habe ich in den letzten zehn Jahren auch gearbeitet, habe es hin und wieder vergessen können, aber tatsächlich war das schon eine große Sache. Mir war irgendwann auch klar, dass es da um zu viel Geld geht, dass ich das nicht einfach als eine Erfahrung abhaken konnte. Das war eine Sache, die ich machen musste.
War das in erster Linie für Sie ein persönlicher Rechtsstreit nach dem Motto: Mir steht dieses Geld zu; ich erkämpfe mir das Geld? Oder waren Sie auch ein bisschen in der Pflicht, der Zunft der Urheber gegenüber?
Brussig: Mir war auch klar, dass das auch eine Signalwirkung hat. Dass ein Gericht es wagt, einen so hohen Betrag auszuurteilen, das war nicht klar. Natürlich weiß ich, dass es eine Gemeinschaft von Urhebern gibt. Dass es dieses Problem der ausbleibenden Vergütung oder dass man als Urheber geschubst und beklaut wird - das ist mir zuvor nicht passiert. Ich habe es auch nicht für möglich gehalten. Da es aber nun passiert ist, habe ich es dann auch gemacht, weil die Rechtslage so war. Ich habe auch andere Kläger verfolgt, die auf Basis dieses Paragrafen 32a des Urhebergesetzes geklagt haben, habe auch Kontakt zu denen aufgenommen. Aber wichtig ist jetzt, dass die wissen, dass hier was schiefgelaufen ist bei der Bezahlung, dass die beklaut werden, dass die wissen, dass es geht.
Das Gespräch führte Jürgen Deppe. Das komplette Interview hören Sie oben auf dieser Seite - und in der ARD Audiothek.