1934: Konsolidierung zum Führerstaat
Das zweite Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft stand unter dem Zeichen einer autokratischen Konsolidierung. In einem Mordkomplott, dem vermeintlichen "Röhm-Putsch", wurde die in den Augen Hitlers gefährlich gewordene Spitze der Massenorganisation SA ausgeschaltet. Beteiligt an der Aktion waren Himmler und die SS - die Reichswehr war informiert. Nach dem Tod Hindenburgs im August vereinte Hitler beide Ämter: Er wurde Reichskanzler und "Führer". Auf dem Reichsparteitag erklärte Hitler den Abschluss der "nationalsozialistischen Revolution"; neues Ziel der NSDAP sei die Schaffung einer "Führerelite". In einer furiosen Massenveranstaltung wurde die so durch Mord stabilisierte Herrschaft pompös in Nürnberg gefeiert.
Kujaus gefälschtes "Tagebuch" zum Jahr 1934 ist von Auslassungen gekennzeichnet - so wird etwa das am 1. Januar 1934 verabschiedete "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" nicht erwähnt. Das "Tagebuch" preist den Nichtangriffspakt mit Polen und beschwört umfangreich die Notwendigkeit, Ernst Röhm wegen Putsch zu "erledigen".
"Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" am 1. Januar 1934
Am 1. Januar 1934 trat das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" in Kraft; es war am 14. Juli 1933 verabschiedet worden. (Nachama 2021: 43 f.) Das Gesetz erzwang die Sterilisation von rund 400.000 Männern und Frauen mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen. Die im NS entwickelten Kampagnen gegen Menschen von "erblicher Minderwertigkeit" wurden ergänzt durch entsprechende Propaganda - und eskalierten ab Herbst 1939 in der systematischen "Vernichtung lebensunwerten Lebens". Die Täter des nationalsozialistischen Mordprogramms "Euthanasie" wurden ab der zweiten Hälfte des Jahres 1941 mit ihrem furchtbaren Handlungswissen "Experten" in den Todeslagern Belzec, Sobibor und Treblinka.
Am 10. Januar 1934 schrieb der "Völkische Beobachter": "Im neuen Staat steht die Zukunft der Nation höher als das Einzelwesen. Wenn der Einzelne Siechtum und Erbkrankheiten über das kommende Geschlecht zu bringen geeignet ist, muss er staatlichen Maßnahmen zur Verhütung solcher Übel folgen." (Ebd.)
Zu diesem Thema findet sich in den "Tagebüchern" von Kujau nichts; es zeigt die Kontur der Auslassungen. Die Worte "erbkrank/erbgesund" tauchen zu anderen Zeitpunkten bei Kujau, aber insgesamt nur vier Mal auf.
TB 9.7.1935: "Ich begrüße den Erlaß des Reichsinnenministers gegen Sabotage am Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses."
TB 18.10.1935: "Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes."
TB nach 31.12.1935, im angeblich geplanten 3. Band von "Mein Kampf" als 5. Kapitel: "5. Erbgesundheit."
TB 29.4.1945 zur Hochzeit mit Eva Braun im "privaten Testament": "Die Erschienenen zu 1 und 2 erklären, daß sie rein arischer Abstammung und mit keinen die Eheschließung ausschließenden Erbkrankheiten befallen sind. Sie beantragen mit Rücksicht auf die Kriegsereignisse wegen außerordentlicher Umstände die Kriegstrauung und beantragen weiter das Aufgebot mündlich entgegenzunehmen und von sämtlichen Fristen Abstand zu nehmen."
Für Adolf Hitler war die Frage der sogenannten Euthanasie dagegen von zentraler Bedeutung. (Kershaw 2000: 349 - 359, auch im Folgenden) Im Oktober 1939 datierte er bewusst eine entsprechende Anweisung auf den 1. September 1939, dem Beginn seines Weltkriegs, zurück und schrieb: "Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann." Das Programm zur Tötung von sogenannten Geisteskranken und anderen als unheilbar Kranken Interpretierten war ein Übergang zu dem kommenden weit umfangreicheren Ausrottungsprogramm des europäischen Judentums.
Zusammen mit dem Krieg war die Erfüllung seiner "weltanschaulichen Mission" für Hitler möglich. Die "Vernichtung unwerten Lebens" hatte er in "Mein Kampf" angekündigt: "Es ist eine Halbheit, unheilbar kranken Menschen die dauernde Möglichkeit einer Verseuchung der übrigen gesunden zu gewähren. Es entspricht dies einer Humanität, die, um dem einen nicht weh zu tun, 100 andere zugrunde gehen lässt. Die Forderung, dass defekten Menschen die Zeugung anderer ebenso defekter Nachkommen unmöglich gemacht wird, ist eine Forderung klarster Vernunft. (…) Denn hier wird man, wenn nötig zur unbarmherzigen Absonderung unheilbar Erkrankter schreiten müssen - eine barbarische Maßnahme für den unglücklich davon Betroffenen, aber ein Segen für die Mit- und Nachwelt." (Hitler: Mein Kampf, 1925: 279 f.)
Auf dem Nürnberger Parteitag 1939 erklärte er: "Würde Deutschland jährlich eine Million Kinder bekommen und 700.000 - 800.000 der schwächsten beseitigen, dann würde am Ende das Ergebnis eine Kräftesteigerung sein." Den "Euthanasie"-Morden sind bis 1945 etwa 300.000 Menschen zum Opfer gefallen. Von alldem findet sich bei Kujau: nichts.
Nichtangriffspakt mit Polen am 26. Januar 1934
Am 27. Januar titelte der "Völkische Beobachter": "Fortschreitende Verständigung zwischen Deutschland und Polen." (Nachama 2021: 45 f.) Auf Initiative Hitlers war am Vortag der deutsch-polnische Nichtangriffspakt unterzeichnet worden. Die scheinbare Annäherung an Polen war ein taktisches Manöver. Denn bereits am 3. Februar 1933, nur wenige Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler, hatte Hitler den Generälen der Reichswehr das Ziel seiner Außenpolitik vorgegeben: "Lebensraum im Osten" zu schaffen und die rücksichtslose "Germanisierung" Osteuropas zu betreiben. Am 28. April 1939 wurde der Vertrag - rechtzeitig vor dem Angriff auf Polen am 1. September 1939 - gekündigt.
Kujau dazu TB 31.1.1934:
"(…) Im Ausland ist man ganz schön schockiert, das Deutsche Reich und Polen einen Pakt über Verständigung! Wenn wir im Reiche Ruhe haben wollen, um unsere Macht zu festigen, müssen wir an unseren östlichen Grenzen erstmal Ruhe haben."
Der sogenannte Röhm-Putsch am 30. Juni 1934
Anfang 1934 hatte die SA mehr als drei Millionen Mitglieder; gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrags war die Reichswehr dagegen auf 100.000 Berufssoldaten beschränkt. (Kershaw 1998: 629–650, auch im Folgenden) Damit bestand ein schwelender Konflikt zwischen Reichswehr und der konkurrierenden SA. Hitler hatte vor Generälen der Reichswehr die Aufgaben der SA als innenpolitisch definiert, während Ernst Röhm, Stabschef der SA, mit seiner Ernennung zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich Ende 1933 die SA als Volksmiliz zum regulären Waffenträger, eine Armee unter seinem Kommando, ausweiten wollte.
Damit war die Bedingung eines Machtkampfes innerhalb des nationalsozialistischen Lagers gegeben. Anlässlich einer Führertagung der SA ließ Adolf Hitler die SA-Führung durch SS-Einheiten mit der de facto Unterstützung der Reichswehr Ende Juni/Anfang Juli 1934 liquidieren. Der SS und mit ihr der Gestapo war für staatliche Willkür nun Tür und Tor geöffnet. Im Nachgang wurde Röhm unterstellt, er habe einen Putschversuch gegen Hitler unternommen. Nach einhelligem Stand der historischen Forschung hat es diesen Putsch nicht gegeben, vielmehr handelte es sich um eine gezielte Mordaktion der SS unter Himmler, mit der Unterstützung von Göring und dem Wissen der Reichswehr. Mit dieser Aktion und zusammen mit den nachfolgenden riesigen Säuberungswellen wurde die SA in ihrer Macht beschnitten.
Kujau-Hitler: "Erledigt". "Erschossen"
Der etwa dreimonatige Machtkampf findet auch in den Texten Konrad Kujaus größtes Interesse; es war der entscheidende Sieg der SS im innerparteilichen Machtkampf. Die Logik der Texte ist, Ernst Röhm nicht nur eine Revolte, sondern eine Verschwörung zu unterstellen, die Adolf Hitler regelrecht zwänge, mit einer tödlichen Aktion die SA-Spitze auszuschalten:
TB 31.3.1934: "(…) Verhandlungen zwischen Röhm, Goebbels und Göring. Persönliches. Habe ich Fehler gemacht, oder ließ ich die SA. zu mächtig werden. Im Jahre 1932 sagte mir mein Röhm: 'Adolf, die SA. steht wie ein Mann hinter dir, aber die SA. ist keine moralische Erziehungsanstalt für junge Mädchen, sondern eine Vereinigung von rauhen Männern. Und meine Führer dieser rauhen Männer hören auf mich wie ein Hund seinem Herren.' Damals hatte Röhm etwas über 250.000 Mann im Braunhemd, heute aber hat er über 2,5 Millionen unter seinem Befehl. Hatte nicht Göring schon im letzten Jahr recht, als er mit Diels Berichten zu mir kam und seine Meinung sagte, die SA. müsse etwas beschnitten werden. Aber war es auch nicht Pg. Göring der im Februar letzten Jahres noch 25.000 SA Männer zu Hilfspolizisten machte, mit meiner Genehmigung! Nur konnten wir damals nicht sehen welchen Verlauf die Sache nahm. Aus einer Eingebung heraus habe ich schon im Spätsommer letzten Jahres gesagt, es muß mit der SA.-Hilfspolizei Schluß sein. Wenn die letzten Berichte stimmen, hat die SA. im Raume Berlin, allein 50 Räume, Garagen, Keller usw. wo sie Waffen lagern. Auf meine letzten Vorhaltungen, sagte mir Röhm: 'Die braunen Bataillone waren die Schule des Nationalsozialismus, wir haben den Weg für dich freigemacht an die Macht. Es ist auch zu verstehen, daß nun meine Männer ihren Lohn haben wollen.' Nun ich werde diese Leute scharf im Auge behalten, und muß es sein, hart zuschlagen."
TB 2.5.1934: "Ich eröffne den Kampf gegen die Gegner unserer Sache mit einem Geheimschreiben an meine engeren Mitkämpfer. Ab sofort wird hart durchgegriffen. Röhm schwört er wisse von nichts, nicht einmal von den schon ausgehobenen Waffenlagern."
TB 3.5.1934: "Grundsteinlegung zum Erweiterungsbau der Reichsbank. Obergruppenführer, SA.-Führer des Gaues Hannover Lutze übergibt Göring einen Geheimbericht über Pläne der SA-Führung. Daraus geht hervor, daß Röhm etwas gegen Einrichtungen des Kriegsministeriums plant."
TB 31.5.1934: "(…) Pg. Himmler legt mir eine Namensliste der Leute vor, die er beobachten läßt. Ich muß sagen, bin erstaunt, wer alles auf dieser Liste steht. Sollte Himmler Beweise erbringen, wird hart abgerechnet. Persönliches - Werde schon die nächsten Tage Röhm die von Himmler mir vorgelegte Liste zeigen, sollte er wieder sagen, er wisse nichts, werde ich Röhm aus der Partei ausstoßen. Es kann nicht sein, daß er als Stabschef der SA keine Ahnung von den Vorgängen hat. Schon die Beobachtungen Himmlers haben gezeigt mit welchen Halunken sich Röhm trifft."
TB Juli 1934: "Der Nachtrag der nun niederzuschreibenden Ereignisse fällt mir besonders schwer, weil sie ein ganz dunkles Kapitel unseres Kampfes, einen Verrat besonderer Schäbigkeit darstellen. Der Chef der SA, mein persönlicher Freund, Ernst Röhm hat sich von einem kleinen Klüngel von falschen Ehrgeizlern, schäbigen und abgetagelten Verrätern anwerben lassen, um mich zu beseitigen und den Sieg des Nationalsozialismus durch eine Revolte zu beenden. Ich habe diesen Lumpen ihre Falschheit und ihre Verlogenheit heimgezahlt und habe diese Verräter mit der Waffe niedermachen lassen. Die Rädelsführer waren Schleicher und Strasser, die Röhm nur benutzen wollten, ihn aber dann hätten genau so weggeschafft hätten, wie diese sich das mit mir dachten. Schleicher wollte wieder das Kanzleramt und Strasser die Partei. Auf der Liste standen noch Göring, v. Blomberg, Heß und einige aus meinem Kabinett. Nur durch die Treue einiger Mitkämpfer und die Unbestechlichkeit eines Himmler und Lutze konnte es mir gelingen diese Bande unschädlich zu machen und großen Schaden vom deutschen Volk und vom Reich zu wenden. Schon bei der Feier bei Terboven kamen die ersten Meldungen vom kurz bevorstehenden Losschlagen der SA. Göring hielt zu mir immer Verbindung, so war ich immer über alles unterrichtet. Meine Zentrale hatte ich im Rheinhotel Dreesen in Godesberg aufgeschlagen. Als die Meldungen noch von Lutze mir bestätigt wurden, flog ich sofort in der Nacht von Bonn-Hangelar nach München. Dort nahm ich persönlich an den ersten Verhören von SA-Führern im bayrischen Innenministerium teil. Nachdem diese Lumpen gestanden haben, lasse ich sie sofort verhaften. Am frühen Morgen fahre ich persönlich nach Bad Wiessee, wo sich der Kopf der Verschwörer, außer Schleicher und Strasser, sich verkrochen hatten. Nehme diese abscheuliche Brut persönlich fest. Als ich diesen Verräter Röhm vor mir sah, hätte ich diesen Kerl sofort mit der Waffe niedermachen können. Ich hatte für diesen Wurm nur noch Haß, Abscheu und Ekel übrig. Dieser abscheuliche Hund, dem ich so oft, und noch bis zuletzt vertraute, hatte mit meinen Gegnern packtiert, und sollte ihr Handlanger sein. Ich habe Röhm selbst verhaftet. Röhm wird sofort seines Postens als Stabschef der SA enthoben, aus der Partei und SA ausgestoßen. Nun begann ich die Pestbeule selbst auszustechen. Ich hatte erst vor, diese ganze Clique vor ein Sondergericht zu stellen, aber warum solchen Lumpen noch Gelegenheit geben sich aufzuspielen. Deshalb laß ich eine Liste mit den Namen aller Hauptbeteiligten aufstellen. Gebe den Befehl, wie ich es mir geschworen habe, diese Verräter sofort zu erledigen. Wegen der Erschießung von Schleicher telephoniere ich mit Blomberg. Auf Grund seiner Verdienste hätte ich Röhm nicht so hart bestraft, da aber bei den Verhören herauskam, wie er mich belogen und hintergangen hat, habe ich ihm die Gelegenheit gegeben selbst die Konsequenzen zu ziehen, aber selbst dazu war er zu feige. Er wurde danach auf meinen Befehl hin erschossen. v. Blomberg und der Reichspräsident haben mir in Telegrammen für das mutige Handeln gedankt."
August 1934 - Tod Hindenburgs, Hitler wird "Führer und Reichskanzler"
Mit dem Segen der Reichswehrverantwortlichen von Blomberg und Reichenau kam es wenig später - ein Tag vor dem Tod Hindenburgs - zu der gesetzlichen Entscheidung, das Amt des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten zusammenzulegen. Mit diesem kalten Staatsstreich wurde die Wehrmacht per Eid an den "Führer" Adolf Hitler gebunden. (Höhne 1984: 316 - 318). Paul von Hindenburgs Leichnam wurde in das von den Nationalsozialisten monumental erweiterte Tannenberg-Denkmal in einer großen staatlichen Inszenierung überführt.
TB 3.–7.8.1934: "3. Die Entscheidung ist gefallen. Herr Feldmarschall v. Hindenburg wird seiner geschichtlichen Größe entsprechend im Tannenberg-Denkmal beigesetzt, da auch dieser Ort mit seinen Namen unlösbar verbunden ist. Die Wehrmacht wird ab sofort auf den Führer des Deutschen Reiches und Volkes, auf mich direkt vereidigt. In Würdigung der großen Persönlichkeit des alten Herrn Feldmarschalls verzichte ich auf den Titel eines Reichspräsidenten und werde nur noch Führer und Reichskanzler des Deutschen Reiches betitelt. Das Reichskabinett hat die Herbeiführung einer Volksabstimmung auf den 19.8. beschlossen. (…) 4. Entwerfe selbst die Pläne für die Kruft in Tannenberg für alten Feldmarschall v. Hindenburg mit. 5. Gebe Ward Price ein Interview. Vorbereitung für die morgige Trauersitzung des Reichstages. 6. Trauersitzung des Reichstages Gedenkrede für den Feldmarschall. Abendlicher Appell der Wehrmacht und Formationen unserer Organisationen für den Feldmarschall. Nächtliche Trauerparade in Neudeck. Überführung nach Tannenberg. 7. Beisetzung des Reichspräsidenten und Feldmarschall im Tannenberg-Denkmal."
Nach der gewalttätigen Zerschlagung der bisherigen SA-Spitze und der Usurpation der Rolle des Reichspräsidenten ist Hitlers Herrschaft ohne institutionelle und interne Gegengewichte: Sie ist total und wird auf dem Reichsparteitag im September als "Triumph des Willens" zelebriert.
Reichsparteitag vom September 1934
Unmittelbar mit der Übernahme der Macht 1933 entwickelte das NS-Regime eine dichte Kette an Inszenierungen und Angeboten zur sozialen Integration sowie zur gleichzeitigen projektiven Aggression. (Funke 2019: 94–98, auch im Folgenden) Exemplarisch dafür steht der Reichsparteitag vom September 1934 in Nürnberg. Die Mordserie an SA-Führern und anderen im Juni 1934 wurde auch als Anlass für die Beschwörung einer neuen "Volksgemeinschaft" genutzt. Es wurde deutlich, was mit vermeintlichen Verrätern geschieht. Eine totale Selbstunterordnung war eine der zentralen erzieherischen Botschaften der Masseninszenierung Reichsparteitag.
Adolf Hitler präsentierte sich durch Kranzniederlegungen vor "Gefallenen" des Putschversuchs vom 9. November 1923 in der Münchner Feldherrnhalle als spirituelle Autorität und untermauerte den Heldenmythos: Danach waren die "Gefallenen" unsterblich und nachahmenswert; ihr Opfertod habe den Sieg des Nationalsozialismus bewirkt. Im Rahmen des Reichsparteitages fand in Berlin auch die "Blutfahnenweihe" von neuen SA- und SS-Einheiten durch Adolf Hitler statt. Die vermeintliche "Blutfahne" aus dem fehlgeschlagenen Putsch im November 1923 wurde quasi zur Reliquie erhoben. Es folgten ein Treuegelöbnis und eine Ansprache des neuen SA-Stabschefs Viktor Lotze, nach der "unsere Kameraden ihre Treue zur Idee und ihren Glauben an den Führer mit ihrem Blut" besiegelten.
Entscheidend ist: Dies geschah zwei Monate nach den Morden an Röhm und der Führung der SA, die sozusagen gleich mitgefeiert wurden. In allem sind die Besucher Zeugen und Zuschauer, Adressaten und Teilnehmer. Der Parteitag 1934 war tatsächlich eine grandiose Überblendung des Mords an der SA-Spitze und Beweis der unumschränkten Herrschaft der NSDAP unter Hitler. Das "Gesamtkunstwerk" diente der Selbstversicherung und in politischer Hinsicht der Disziplinierung vor allem der Elite, der Parteigenossen und der SA. Hitler präsentierte sich als Anführer und Retter und forderte gleichsam die Bereitschaft zur Selbstunterordnung bis zur Selbstaufopferung (und letztlich der Bereitschaft zum Tod im Krieg).
Es fällt auf, dass der Fälscher Kujau im gesamten "Tagebuch"-Werk das Wort "Tötung" ganz und auch das Wort "Mord" so gut es geht vermeidet. Wenn von Mord berichtet wird, dann nur, wenn er im Ausland etwa am jugoslawischen König stattfindet oder von einem Juden betrieben wird, wie im Fall des Attentats auf den Botschaftssekretär vom Rath in Paris im November 1938 - oder wenn von jüdischem Selbstmord die Rede ist.
Kujau formuliert, TB 4.–10.9.1934:
"4. Beginn des Reichsparteitages in Nürnberg. Empfang im Rathaus von Nürnberg. Saardenkschrift der französischen Regierung. 5. Pg. Heß eröffnet den Kongreß des Reichsparteitages. Pg. Gauleiter Wagner verliest meine Proklamation. Ich spreche auf der Kulturtagung. 6. Appell des Arbeitsdienstes auf der Zeppelinwiese. Mussolini hetzt in Bari gegen Deutschland. Was bildet dieser ital. Gernegroß sich nur ein, gegen uns so wie jetzt in Bari zu hetzen. Diesen Mussolini paßt es nicht, daß ich nun doch der Oberbefehlshaber der Wehrmacht bin, diesen Kerl werde ich noch zeigen was der Deutsche-Mensch noch unter meiner Führung leisten kann. 7. Appell der Politischen Leiter auf der Zeppelinwiese. 8. Appell der HJ. Rede vor der Abordnung der Frauenschaft 9. Appell der SA. und SS 10. Tag des Waffenträgers der Nation mit Vorführungen der Wehrmacht. Schlußkonkreß, Schlußansprache"