3D-Modell von U-Boot-Wrack: Die letzte Reise von "UC71"
Es ist das letzte U-Boot aus dem Ersten Weltkrieg in deutschen Gewässern: Das Wrack von "UC71" kurz vor Helgoland. Über zehn Jahre wurde in 23 Metern Tiefe seine außergewöhnliche Geschichte erforscht.
Verrostet, bewachsen - aber trotzdem in Form. Genau so liegt das U-Boot am Meeresgrund südlich von der Insel Helgoland. Ein detailliertes 3D-Modell ermöglicht jetzt den Besuchern im Helgoländer Museum einen ganz neuen Blick auf das Wrack.
Es ist das Herzstück der neuen Ausstellung "Die letzte Fahrt von UC 71", die sich mit der gesamten Geschichte des U-Boots beschäftigt. Von der Fertigstellung, seinen Einsatzfahrten im Ersten Weltkrieg, dem Leben an Bord bis zum mysteriösen Untergang vor der Insel. "Seit 105 Jahren liegt es dort, man fährt jedes Mal mit dem Schiff direkt rüber. Das Wrack ist also quasi mit der Inselgeschichte verbunden", sagt Museumsdirekor Dr. Jürgen Fitschen.
Das Ergebnis langer Forschung
Unterwasserarchäologe und Forschungstaucher Florian Huber ist vor über zehn Jahren bei seiner Arbeit an der Uni zufällig auf das Wrack aufmerksam geworden. "Die Studenten sollten Vorträge über die Unterwasserarchäologie vor Helgoland halten. Und da bin ich das erste Mal über das U-Boot gestolpert und fand es ziemlich spannend."
Kurz darauf ging er mit den Forschungstauchern von Submaris das erste Mal zum Wrack hinunte, um es zu vermessen. Sie stellten einen Antrag auf Denkmalschutz, "weil es eben einzigartig in Schleswig-Holstein ist und einen militärischen und geschichtlichen Wert hat", erklärt Huber. Der Antrag wurde 2014 angenommen. Damals war dem Unterwasserarchäologen aber noch nicht bewusst, wie lange "UC71" ihn in den kommenden Jahren noch begleiten würde.
Im Krieg erfolgreich: Die Geschichte des U-Boots
Die "UC71" war ein minenlegendes U-Boot vom Typ UC II. Nachdem es am 12. August 1916 in Hamburg bei Blohm & Voss vom Stapel lief und am 28. November 1916 in Dienst gestellt wurde, wurde es von der Kaiserlichen Marine in der Nordsee rund um Großbritannien eingesetzt - um Sprengsätze direkt vor die Häfen der Briten zu legen. Dabei war es eines der erfolgreichsten U-Boote im Krieg - versenkte insgesamt 61 Schiffe. Fast alles zivile Versorgungsschiffe, die größtenteils Munition geladen hatten.
Der mysteriöse Untergang vor Helgoland
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges soll "UC71" als Kriegsbeute an die Engländer übergeben werden. Zuerst liegt es in Wilhemshaven, dann wegen Platzmangels auf Helgoland. Doch während der Überführungsfahrt sinkt es am 20. Februar 1919 südlich der Einfahrt vom Helgoländer Hafen. Florian Huber liegt der Bericht des Kommandanten vor. Dieser schreibt:
"Ich schloss alle Luken und ließ die Leute auf den Schlepper übersteigen. Boot fing plötzlich, aus nicht erkennbarer Ursache, an zu sinken, sodass ich genötigt war, Boot zu verlassen. Innerhalb einer Stunde sank Boot ganz weg. Bericht folgt.“ Kommandant von UC71
Doch das kann so gar nicht sein. Als Huber und sein Team zum Wrack tauchen, stehen alle Luken und Schotten weit offen. "Auch als wir im U-Boot waren, konnten wir uns quasi durch die einzelnen Räume bewegen, weil auch da alle Schotten offenstanden. Und das entspricht ja überhaupt nicht dem Bericht." Er vermutet, dass die Mannschaft von "UC71" ihr U-Boot selbst versenkt hat. Beweisen konnte man das damals aber noch nicht.
Die Bergung der Netzsäge
Im neuen Teil des Helgoländer Museums ist mittlerweile die Netzsäge von "UC71" ausgestellt. Sie war am Bug des U-Boots angebracht und sollte mit ihren scharfen Zacken feindliche U-Boot-Sperrnetze zerschneiden. Dass sie hier noch vorhanden war, ist ein Glücksfall. Oft werden sie von Wrackräubern als Erstes gestohlen.
Florian Huber und das Tauchteam von Submaris haben sie deshalb 2016 im Auftrag des Museums geborgen. Sie war bereits vom Rest des Wracks abgetrennt und lag daneben auf dem Meeresgrund. Nur deshalb durften sie das 100 Kilo schwere Metallteil überhaupt hochtauchen, trotz Denkmalschutz. Über die Bergung drehen NDR und ZDF damals eine Dokumentation.
Tagebücher eines Maschinisten geben entscheidende Einblicke
Nach Ausstrahlung der Dokumentationen bekommt Florian Huber eine Nachricht aus Thüringen. Jemand hat von seinem Großonkel Georg Trinks noch zwei alte Tagebücher auf dem Dachboden gefunden. Für Huber ein wahrer Schatz, denn Trinks war über 18 Monate lang Maschinist auf "UC71". In den Büchern beschreibt er detailliert und ausführlich den Alltag im U-Boot.
"25 Meter tief liegen wir auf Grund. Eine Stille herrscht im Boot wie in einer Kirche. Nur der Kreiselkompass singt sein eintöniges Lied weiter. Sonst horcht alles auf die kommenden Bomben. Da, die Erste. Die Zweite… und so fort. Und jede kommt etwas näher." Georg Trinks, 4. Maschinist
"Einerseits beschreibt er das halbwegs nüchtern… es gibt aber auch Passagen, da merkt man, wie viel Angst sie hatten. Dass sich das U-Boot teilweise Unterwasser auf die Seite geneigt hat, sodass die Mannschaft einmal wirklich umgekippt ist", sagt Huber. Zusammen mit einer Kollegin arbeitet er sich durch die vielen Seiten in Sütterlinschrift. Georg Trinks listet zudem alle Abschüsse von feindlichen Schiffen detailliert auf - beschreibt aber auch immer wieder das angsteinflößende Leben unter See. Dabei war es der Besatzung eigentlich strengstens verboten, Notizen, Texte oder Briefe an Bord zu schreiben. Georg Trinks hat es trotzdem gemacht und sein letzter Absatz in den Büchern soll der alles Entscheidende sein:
"Kein Fuß eines Engländers sollte das Boot je betreten - so war es der Wille der Mannschaft. Und sie haben es erreicht."
Der 4. Maschinist beweist damit, dass die Mannschaft "UC71" tatsächlich selbst versenkt hat, um es nicht an die Engländer aushändigen zu müssen. Die Berichte des Kommandanten waren also eine Lüge. Die Geschichte ist endlich rund.
Über 100 Jahre im Meer: Das Wrack zerfällt
Durch Stürme, Strömung und Salzwasser zerfällt das 50 Meter lange Wrack langsam, aber unaufhaltsam. Eine komplette Bergung ist undenkbar. Um es dennoch möglichst detailliert für die Wissenschaft und die Ausstellung zu erhalten, wurde es von mehreren Experten mithilfe von Fotogrammetrie dokumentiert. Dazu haben sie das Wrack mit vier Kameras in 4K-Auflösung von allen Ecken und Seiten abgefilmt. Aus diesen Videoclips wurden dann rund 30.000 Einzelfotos ausgespielt und mithilfe einer Software zu einem digitalen 3D-Modell zusammengerechnet.
Neue Technik - neue Möglichkeiten
Das Fotogrammetrie-Verfahren ist seit etwa zehn Jahren ein Begriff in der Archäologie. Bis dahin konnte man nur einzelne Fotos oder Skizzen mitbringen. Jetzt ist es möglich, ganze Fundstellen oder Wracks komplett an die Oberfläche zu holen. Trotzdem hatte Florian Huber die Technik für dieses Wrack lange nicht auf dem Zettel, denn die Sicht in der Nordsee ist schlecht - "und man braucht ein Stück weit gute Sicht, um einfach möglichst viel aufs Bild zu bekommen", erklärt Huber.
Doch mit Kollegen aus Finnland und Schottland haben sie es 2023 trotzdem versucht, mit Erfolg. "Wir haben nur zwei Tauchgänge gemacht, vier Kameras jeweils und dann war das Ding innerhalb von zwei Tagen im Kasten", sagt der Forschungstaucher. Die 3D-Modellierung am Rechner dauerte dafür aber mehrere Monate.
Aus Pixeln wird Kunststoff
Mithilfe des digitalen Modells wurde dann ein echtes Exemplar aus Kunststoff im 3D-Drucker gedruckt. Lars Groeger, Spezialist für visuelle Effekte, war für den Feinschliff verantwortlich. "Die größte Herausforderung war, überhaupt erstmal zu verstehen, mit was ich es hier zu tun habe. Was sind das für Objekte, was sind Pflanzen, was vielleicht auch Tiere", erklärt Groeger.
13 Tage lang stellt er in Millimeterarbeit den Bewuchs und den natürlichen Verfall am Wrack nach. Seetang, Krebse, Korallen - alles wird per Hand einzeln angebracht und bemalt. Das Modell soll dadurch lebhafter werden.
"Da liegen ja Hunderte von Wracks vor der Haustür und wenn die Leute jetzt ein Wrack erstmals sehen, können sie sich dann vielleicht halbwegs vorstellen was bei uns in Schleswig-Holstein noch so an Schätzen im Meer liegt", sagt Unterwasserarchäologe Florian Huber.
Das Finale eines langen Abenteuers
Die Ausstellung ist das Ergebnis von mehr als zehn Jahren Forschung, unzähligen Tauchgängen und haufenweise Literatur. Florian Huber erzählt, dass es ihn "sicher noch einige Zeit lang begleiten wird, aber die richtige Wissenschaft ist jetzt eigentlich abgeschlossen".
Die Ausstellung und mit ihr das 3D-Modell von "UC71" kann man im Museum Helgoland bis zum 5. Januar 2025 besuchen. Danach zieht sie weiter nach Wilhelmshaven.