Rückansicht der Kirche St. Nicolaus in Hamburg-Alsterdorf mit Gedenkort und herausgelöstem alten Altarbild. © NDR Foto: Antonia Reiff
Rückansicht der Kirche St. Nicolaus in Hamburg-Alsterdorf mit Gedenkort und herausgelöstem alten Altarbild. © NDR Foto: Antonia Reiff
Rückansicht der Kirche St. Nicolaus in Hamburg-Alsterdorf mit Gedenkort und herausgelöstem alten Altarbild. © NDR Foto: Antonia Reiff
AUDIO: "Ausgeschlossen - Eingeschlossen": Geschichte der Alsterdorfer Anstalten (3 Min)

Neues Buch erzählt Geschichte der Alsterdorfer Anstalten

Stand: 24.03.2023 11:00 Uhr

Hamburgs Alsterdorfer Markt gilt als Vorbild für gelebte Inklusion. Das war nicht immer so: In der NS-Zeit waren die Alsterdorfer Anstalten eine abgeriegelte psychiatrische Einrichtung. Das Buch "Ausgeschlossen - Eingeschlossen" beleuchtet die Geschichte der heutigen Evangelischen Stiftung Alsterdorf.

von Antonia Reiff

Vorgestellt wurde dieses neue Erinnerungsbuch nun in der St. Nicolaus Kirche im Hamburger Norden. Seit einem Jahr ist das Gotteshaus renoviert - hell und freundlich gestaltet mit großem Fenster und Blick nach draußen auf einen neuen Lern- und Gedenkort. Dort steht das alte, aus der Kirche herausgehobene Altarbild. Es stammt aus der Zeit des Nationalsozialismus. Diffamierend zeigt es alle abgebildeten Menschen mit Heiligenschein, nur die Menschen mit Behinderung tragen keinen. Die Historikerin und Mitautorin des neuen Buches Ulrike Winkler hat sich mit diesem historischen Erbe beschäftigt: "Es ist gut, dass es rausgehoben ist. Ich weiß, dass es ein Kraftakt war - auch finanziell -, und ich denke, dass der Vorbildcharakter hat."

160 Jahre Evangelische Stiftung Alsterdorf

Historiker Hans-Walter Schmuhl und Historikerin Ulrike Winkler, Autoren des Buches "Ausgeschlossen - Eingeschlossen", in der Hamburger Kirche St. Nicolaus in Alsterdorf. © NDR Foto: Antonia Reiff
Hans-Walter Schmuhl und Ulrike Winkler haben sich mit der Geschichte der Alsterdorfer Anstalten befasst und das Erinnerungsbuch "Ausgeschlossen - Eingeschlossen" geschrieben.

Das neue Buch nimmt erstmals die gesamte Geschichte, also 160 Jahre Evangelische Stiftung Alsterdorf in den Blick. Von der Gründungsphase der ehemaligen Alsterdorfer Anstalten im 19. Jahrhundert vor den Toren Hamburgs bis heute zum inklusiven Quartier mitten in der Stadt. Autor und Historiker Hans-Walter Schmuhl und Historikerin Winkler sind Experten für diakonische Einrichtungen und sollten von außen einen kritischen und fundierten Blick auf diese Geschichte werfen: "Also gerade diese Abgrenzung - auf der einen Seite Schutz und Schonraum und auf der anderen Seite wollte man die Gesellschaft mit den sogenannten Irren auch nicht konfrontieren - da sehen wir in vielen Einrichtungen, die wir untersucht haben, Parallelen", so Winkler.

Aus Alsterdorf in Tötungsanstalten deportiert

Mehrere Exemplare des Buches "Eingeschlossen - Ausgeschlossen" von Hans-Walter Schmuhl und Ulrike Winkler stehen auf einem Tisch. © NDR Foto: Antonia Reiff
Das Buch gibt eine ausführliche Gesamtübersicht über die Höhen und Tiefen der Evangelischen Stiftung Alsterdorf.

Durch einen Zaun und Mauern abgeriegelt waren die einstigen Alsterdorfer Anstalten vor allem während des Nationalsozialismus ein Ort des Schreckens. Der Autor und die Autorin beschreiben die Entwicklung der Anstalten zum nationalsozialistischen Musterbetrieb. 630 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen wurden aus den Alsterdorfer Anstalten in Tötungsanstalten deportiert. Die meisten von ihnen wurden nachweislich ermordet.

Menschenunwürdige Zustände bis weit in die 70er-Jahre

In dem Buch geht es aber auch um die menschenunwürdigen Zustände in der Hamburger Einrichtung weit nach 1945. Erst Ende der 1970er-Jahre löste ein kritischer Artikel in der "Zeit" einen öffentlichen Skandal aus, erzählt Historiker Schmuhl. Erst sehr spät und dann aber mit Macht sei ein Reformprozess eingeleitet worden, der "dazu geführt hat, dass Alsterdorf von einer Einrichtung, wo lange Zeit Stillstand geherrscht hat, zu einer geworden ist, die auf dem Weg der Öffnung sehr weit vorne liegt."

VIDEO: Ein Gang durch die Alsterdorfer Anstalten in Hamburg (1965) (29 Min)

"Straße der Inklusion" soll historisches Erbe vermitteln

Zu dieser Öffnung der ehemaligen Anstaltsstrukturen gehört auch das geplante Projekt einer "Straße der Inklusion". Das heutige Wissen über die Geschichte der Evangelischen Stiftung Alsterdorf und das schwere historische Erbe, soll anhand von noch stehenden Gebäuden mit Installationen und Informationen vermittelt werden. Finanziert wird dieses Erinnerungsprojekt vom Bund und der Stadt Hamburg. "Denn es geht auch darum, die Geschichte dieser Einrichtung nachzuzeichnen, die auch dunkle Kapitel hat", sagt Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). "Wo wir natürlich gemeinsam daran arbeiten müssen, ist, die Geschichte und die Erinnerungen wach zu halten für die nächste Generationen."

Das Buch "Ausgeschlossen - Eingeschlossen" gibt eine ausführliche Gesamtübersicht über die Höhen und Tiefen der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Es ist damit ein Stück Hamburger Stadtgeschichte, die erzählt, wie über die Jahrhunderte mit Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung umgegangen wurde. Für den Vorstandsvorsitzenden Uwe Mletzko ist das Buch damit auch ein Teil der Erinnerungskultur und Mahnung für die heutige Arbeit in Alsterdorf: "Dieses Buch gibt uns eine Weisung nach vorne, nämlich in bestimmten Situationen nicht so zu handeln wie früher."

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Ausgeschlossen - Eingeschlossen. Die Evangelische Stiftung Alsterdorf von der Anstalt ins Quartier

von Hans Walter Schmuhl und Ulrike Winkler
Seitenzahl:
370 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Kohlhammer
Veröffentlichungsdatum:
31.12.2022
Bestellnummer:
978-3-17-039636-4
Preis:
24,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 23.03.2023 | 19:00 Uhr

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NS-Zeit

Hamburger Geschichte

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