Schauspieler und Regisseur Eberhard Fechner © NDR

Eberhard Fechner: Chronist von Abgründen und Alltäglichem

Stand: 05.09.2022 16:22 Uhr

Eberhard Fechner gilt als einer bedeutendsten deutschen Dokumentarfilmer des 20. Jahrhunderts, seine Doku "Der Prozess" über das Verfahren zum KZ Majdanek als Meisterwerk. Am 7. August 1992 starb Fechner in Hamburg.

Als junger Schauspieler debütiert Eberhard Fechner - am 21. Oktober 1926 im schlesischen Liegnitz (heute Legnica) geboren - 1947 in Berlin und spielt danach innerhalb von zehn Jahren mehr als 200 Rollen auf deutschen Theaterbühnen. Neben seiner Theaterarbeit als Schauspieler und Regisseur kommt Fechner auch zunehmend beim Fernsehen zum Einsatz. 1965 wird er zunächst Redaktionsassistent beim NDR. Im selben Jahr engagiert ihn der damalige NDR Fernsehchef Egon Monk als Darsteller für den Film "Ein Tag - Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager".

"Nachrede auf Klara Heydebreck": Preisgekröntes Debüt

Klara Heydebreck 1965 im Alter von 59 Jahren, aus: "Nachrede auf Klara Heydebreck". Regie: Eberhard Fechner, NDR 1970 © NDR
Mit "Nachrede auf Klara Heydebreck" versucht Fechner, die Persönlichkeit einer Toten zu rekonstruieren.

1969 erlebt Fechner mit seiner ersten TV-Dokumentation "Nachrede auf Klara Heydebreck" im NDR einen frühen Höhepunkt seiner Karriere als Fernseh-Regisseur. Der Selbstmord einer 72-jährigen Berlinerin war für Fechner Anlass, nach Spuren ihres Lebens zu suchen. Es ist der Versuch, die Persönlichkeit eines Menschen, der sich das Leben genommen hat, aus nachgelassenen Schriftstücken, amtlichen Eintragungen und Aussagen von Nachbarn und Verwandten zu rekonstruieren. Sein neugieriger Blick und das offene Ohr für Details des scheinbar einfachen Lebens führen zu einem erschütternden Porträt eines als vergeblich erlebten Lebens. "So wie ihr Schicksal einzigartig ist, so ist das Schicksal jedes einzelnen Menschen unverwechselbar und einzigartig", so Fechner über die Bedeutung seines Doku-Erstlings, für den er mit dem Grimme-Preis, ausgezeichnet wird.

NS-Verbrechen in Majdanek: Alternde Täter vor Gericht

Proteste vor dem Urteil im Majdanek-Prozess in Düsseldorf 1981: Ein 72-jähriger ehemaliger KZ-Häftling (in gestreifter KZ-Kleidung) und ein Bundeswehrsoldat führten den Schweigemarsch an. © picture alliance / Hartmut Reeh Foto: Hartmut Reeh
Proteste vor dem Urteil im Majdanek-Prozess in Düsseldorf 1981: Ein 72-jähriger ehemaliger KZ-Häftling (in gestreifter KZ-Kleidung) und ein Bundeswehrsoldat führten den Schweigemarsch an.

Später widmet sich Fechner den grausamen Verbrechen der NS-Zeit: Von 1941 bis 1944 befand sich in Lublin-Majdanek im von Deutschland besetzten Polen ein Konzentrations- und Vernichtungslager, in dem Forschungen zufolge Zigtausende Menschen ermordet wurden. Nach zwei Prozessen gegen ehemalige SS-Angehörige und Lagerpersonal in Lublin wird 1975 der dritte Prozess in Düsseldorf eröffnet - und endet erst sechs Jahre später mit einmal lebenslänglich, dreieinhalb- bis zwölfjährigen Haftstrafen und etlichen Freisprüchen für die Angeklagten.

Das Urteil empfinden viele Beobachter als ernüchternd. "Mehr als acht Schuldige für eine Viertelmillion Ermordete hat unsere Justiz nicht finden können", zieht der sozialkritische Publizist und Literaturkritiker Walter Boehlich eine bittere Bilanz des Verfahrens. Heiner Lichtenstein, Prozessbeobachter und -kommentator für den WDR, sieht ein weiteres Problem - das heute, rund acht Jahrzehnte nach dem Holocaust, aktueller ist denn je: Solche Prozesse zu führen, werde wegen des Alters von Beschuldigten und Zeugen immer schwieriger. Als 1975 der Prozess beginnt, wird bereits seit 15 Jahren ermittelt. Die Taten liegen da schon mehr als 30 Jahre zurück.

Jahrelange Recherchen für "Der Prozess"

Eine Reihe Wachtürme des Konzentrationslagers Lublin/Majdanek. © NDR/Filmproduktion E. Fechner
Für seine Doku "Der Prozess" über das Düsseldorfer Verfahren um das KZ Lublin-Majdanek recherchiert Fechner mehrere Jahre.

Während des Düsseldorfer Majdanek-Prozesses befragt und filmt Fechner jahrelang Zeugen, Beschuldigte, Prozessbeobachter, Staatsanwälte, Richter und Verteidiger. Aus dem Material - fast 260 Stunden Film - montiert er schließlich in dreijähriger Arbeit einen virtuellen Dialog, der über Argumente hinaus durch alle Perspektiven auch eine unerhört menschliche Dimension des Geschehenen sichtbar macht. Der erste Teil des dreiteiligen Dokumentarfilms "Der Prozess - Eine Darstellung des Majdanek-Verfahrens in Düsseldorf", "Anklage", wird erstmals 1984 im NDR ausgestrahlt.

Fechners Film: Menschliches Plädoyer gegen das Vergessen

Selbst wenn die Geschichte der Prozesse um NS-Verbrechen auf ihr Ende zusteuert: In den Erzählungen der Holocaust-Überlebenden bleibt das Grauen gegenwärtig. Etwa wenn über die riesigen Kohlköpfe berichtet wird, die bis 1944 - gedüngt mit Menschenasche - auf den Gemüsefeldern rund ums Lager Majdanek gedeihen und so schwer sind, dass die ausgemergelten Häftlinge sie nicht tragen können. Dass sich die Aufarbeitung der Verbrechen von Majdanek nicht mit den vergleichsweise milden Strafmaßen erledigt hat, ist auch Eberhard Fechner zu verdanken. "Der Prozess" ist ein zutiefst menschliches Plädoyer gegen das Vergessen und zugleich ein Garant der Erinnerung.

Dokus von "Comedian Haramonists" bis "Klassenphoto"

Die Comedian Harmonists am Flügel sitzend: Fritz Kramer. Davor  von links: Hans Rexeis, Roman Cycowski, Rudolf Mayreder, Erich Abraham Collin, Harry Frommermann-Frohmann. Aus: "Comedian Harmonists - sechs Lebensläufe", Regie: Eberhard Fechner, NDR 1976 © NDR
Das Berliner Vokalensemble "Comedian Harmonists" - bekannt für Titel wie "Wochenend und Sonnenschein ..." und "Veronika - der Lenz ist da!".

Der als Höhepunkt von Fechners Werk geltende Dreiteiler reiht sich ein in mehr als 40 Spielfilme und Mehrteiler, für die er Regie führt oder aber selbst vor der Kamera steht - und eben Dokumentationen. Mit "Comedian Harmonists - sechs Lebensläufe" etwa liefert der Dokumentarfilmer schon 1976 einen einmaligen Blick hinter die Kulissen des international bekannten Sextetts aus Deutschland, dessen Geschichte 21 Jahre später auch fürs Kino verfilmt wird. Ab 1933 konnten die Comedian Harmonists kaum noch in Deutschland auftreten, da die Mitglieder Harry Frommermann, Erich A. Collin und Roman Cycowski Juden waren: Zunächst wurden ihnen die Auftritte, dann die Ausübung ihres Berufs von den Nazis verboten. Die Gruppe trennte sich 1935 und die jüdischen Mitglieder gingen ins Exil. Ihr weiteres Schicksal und das der drei nach Nazi-Ideologie "arischen" Sänger kann stellvertretend für die Erlebnisse vieler Künstlerinnen und Künstler in diesen Jahrzehnten stehen.

Für "Klassenphoto - Erinnerungen deutscher Bürger" - ebenfalls mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet - sucht Fechner 40 Jahre nach 1933 zwölf ehemalige Schüler einer Gymnasial-Klasse auf und zeichnet ihre Lebenswege nach. Vom früheren SA-Mitglied bis zum jüdischen Emigranten. Eindrücklich zeigen deren Schilderungen, wie sich die breite Bevölkerung individuell mit dem Nationalsozialismus arrangiert hat. Viele verharmlosen die NS-Zeit, verdrängen die Gräuel der Nazi-Diktatur und stehen so wie ein facettenreiches Kollektiv-Gedächtnis für andere ihrer Generation.

"Sichtbar machen, was die Menschen empfinden"

Bei seinen Arbeiten geht es dem Dokumentarfilmer vor allem um Menschen und ihr persönliches Schicksal - und um die Geschichte aus dem Blickwinkel unbekannter Menschen. Ihnen begegnet er mit großem Interesse, Respekt und Geduld und lässt ihnen den nötigen Raum, ihre eigene Geschichte vor laufender Kamera zu erzählen. Auch Unangenehmes, bisher Verdrängtes. So zeigen Fechners Filme, wie die deutsche Gesellschaft in der NS- und in der Nachkriegszeit gedacht und gelebt hat.

Im "Tagesspiegel" schreibt Walter Kempowski, dessen Werke "Tadellöser & Wolff" und "Deutsche Chronik" Fechner verfilmt hat, seinerzeit: "Hier hat seine Kunst, aus den Gesprächspartnern die letzten geheimsten Informationen herauszuholen, ohne je indiskret zu sein, ihren Höhepunkt erreicht." Und Knut Hickethier bewundert in der "taz" Fechners "Methode, Leute vor der Kamera mit geduldiger Zuwendung zum Sprechen zu bringen."

Einzigartiger Schnitt-Stil: Der dokumentarische Interviewfilm

Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Eberhard Fechner 1976 © NDR/Annemarie Aldag
Von 1965 bis 1968 ist Fechner Regisseur und Drehbuchautor in der NDR Hauptabteilung Fernsehspiel festangestellt. Gemeinsam mit Cutterin Brigitte Kirsche entwickelte er einen wegweisenden Schnitt-Stil.

"Man hört mich nicht, man sieht mich nicht, ich bin der Schnitt", sagt Fechner einmal über seine Rolle als Regisseur - unsichtbar, aber die bestimmende Ordnungsinstanz. Mit seiner Cutterin Brigitte Kirsche (1923 - 2017) begründet er zudem einen einzigartigen künstlerischen Montagestil, "eine neue Form des dokumentarischen Interviewfilms", wie der Regisseur ihn selbst nennt. Dabei versammelt Fechner seine Interviewpartner durch die Montage wie um einen "imaginären runden Tisch", wie er selbst sagt - und lässt sie so quasi in einen Dialog treten. Auf diese Weise prallen ihre verschiedene Lebenserfahrungen aufeinander und es wird deutlich, wie wie viele unterschiedliche Perspektiven eine Geschichte haben kann. Fechners Montage-Stil ist bis heute ein wichtiges Stilmittel bei der Produktion von Dokumentarfilmen.

Erzählfilm: Fechner will nicht nur zeigen, sondern vermitteln

Fechner will aber nicht nur dokumentieren, er will vermitteln. So nennt er seine Werke nicht Dokumentarfilme, sondern spricht von Erzählfilmen. Als letzter dieser Erzählfilme entsteht 1990 die Fernseh-Dokumentation "Wolfskinder". Es ist Geschichte einer ostpreußischen Flüchtlingsfamilie, die sich unterwegs verliert und auf wundersame Weise wieder zusammenfindet - und eine Würdigung der litauischen Bauern, die das mit ihrer Hilfsbereitschaft ermöglicht haben. Damit schafft Fechner ein filmisches Denkmal für seine Heimatregion.

Fernsehspiele mit Blick für die "kleinen Leute"

Helga Feddersen im Fernsehfilm "Vier Stunden von Elbe I" von 1968 unter der Regie von Eberhard Fechner. © picture alliance/United Archives Foto: Schweigmann
In "Vier Stunden von Elbe I" spielt Helga Feddersen 1968 erstmals in einem Fernsehspiel.

Aber auch das Unterhaltungsgenre bedient Fechner gekonnt und tiefgründig. Der Fernsehfilm "Vier Stunden von Elbe 1" mit Helga Feddersen und Evelyn Hamann blickt bei der Suche eines Seemanns nach der richtigen Frau auf den Alltag "kleiner Leute". Mit "Gezeiten" von 1970, quasi einer Fortsetzung mit Klaus Höhne und Vadim Glowna, bleibt Fechner in der Welt der Seeleute. Ein weiterer Klassiker des Fernsehspiels unter seiner Regie ist "Damenquartett" von 1969 - die Geschichte vier ältlicher Schwestern, die sich mit Betrügereien durchs Leben hangeln, erzählt nach einer wahren Geschichte. Für den Tatort "Frankfurter Gold" von 1971 zum Beispiel schreibt er das auch das Drehbuch.

Fechner gewinnt fast alle wichtigen Fernsehpreise

Im Laufe seines rund 40-jährigen Schaffens als Regissuer und Schauspieler gewinnt Fechner, der neben Klaus Wildenhahn und Georg Stefan Troller als einer bedeutendsten Dokumentarfilmer des 20. Jahrhunderts gilt, vom Deutschen Kritikerpreis über die Goldene Kamera bis zum Grimme-Preis so gut wie alle wichtigen Fernsehpreise gewinnt. Im NDR hatte Eberhard Fechner fast 20 Jahre lang ein Zuhause für sein berufliches und künstlerisches Schaffen.

Fechner stirbt am 7. August 1992 in Hamburg und findet seine letzte Ruhe auf dem Riensberger Friedhof in Bremen-Schwachhausen.

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Dieses Thema im Programm:

Doku & Reportage | 08.08.2022 | 04:05 Uhr

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