"Da war ein unwahrscheinlicher Nachholbedarf"
Nach der Wende hat das ehemalige agrochemische Zentrum in Samtens auf Rügen ausgedient. Wo gerade noch Getreide und Dünger lagerten, läuft im März 1991 der Verkauf von Schränken und Sofas auf Hochtouren. Ein Möbel-Händler aus Niedersachsen hat sich auf der Insel niedergelassen. Und die Kunden wollen seine Ware: Sie richteten sich neu ein, erzählen sie einem Reporter. Schließlich seien die Produkte jetzt auch "erschwinglicher" und ein Kunde erklärt dem Kamerateam: "Irgendwie sehen sie besser aus - nicht mehr so TGL-mäßig". Die Zeiten der "Technischen Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen" - kurz TGL - als Standards der DDR sind vorbei. Die neue Maxime: Individualität statt Möbel-Einheitsbrei.
Monteure und Verkäufer ohne Erfahrung
Heute werden in Samtens am gleichen Standort noch immer Möbel verkauft. Das Geschäft führt mittlerweile ein Ur-Rüganer: Thomas Frisch, der von sich selbst sagt: "Ich bin Inselaffe." Frisch kommt 1994 ins Möbel-Geschäft, lernt sein Fach damals in Stralsund. Er erinnert sich an "sehr, sehr, sehr gute Geschäfte": "Es war ein unwahrscheinlicher Nachholbedarf da und für viele DDR-Bürger auch Lust auf Neues“, erzählt er. Die Zeit sei natürlich arbeitsreich gewesen, täglich 12 bis 14 Stunden waren keine Seltenheit. Und: "Es waren alle neu auf diesem Gebiet: viele Möbel-Monteure, die noch nie Möbel aufgebaut hatten und Verkäufer, die noch nie verkauft hatten". Trotzdem brummt das Geschäft. Nicht einmal feste Gebäude braucht der Händler in Samtens dafür: Die Möbel werden teils in Zelten präsentiert.
"Komplett neue Gesellschaftsordnung übergestülpt"
Neuland, das sei für ihn 1990 einfach alles gewesen, sagt Thomas Frisch im Rückblick: "Wir haben eine komplett neue Gesellschaftsordnung übergestülpt bekommen", erklärt er. "Da gab's viele Enttäuschungen, viele Vorurteile, die bestätigt wurden, viele Dinge, die man sich anders vorgestellt hätte." Trotzdem: In seinem Bekannten- und Freundeskreis hätten viele damals Spaß gehabt und sich etwas aufgebaut. Verloren gegangen sei dagegen etwas zwischen den Menschen: "Wir haben in Berlin die Mauer abgerissen und hier wurden Zäune errichtet, die sind mitunter höher als die Mauer.“
Westdeutsche Investoren statt Wohnraum
Auch einige andere Entwicklungen auf seiner Heimatinsel sieht Frisch kritisch: Alte Rüganer hätten mittlerweile Probleme, bezahlbare Wohnungen zu finden, weil die Preise explodiert seien. Stattdessen werde immer mehr gebaut - von Investoren aus München, Düsseldorf und Hamburg. Gewonnen habe die Insel aber auch: Die Infrastruktur sei nach 1990 gut ausgebaut worden, findet der Geschäftsmann, besonders die vielen kleinen Häfen: "Das ist schon eine ganz tolle Geschichte."
Mittelklasse statt Billig-Möbel
Einiges hat sich auch in seinem neuen "Hoco" verändert. Seit 2010 führt Frisch das Geschäft. Die Zeiten von Massen billiger Möbel auf wenig Fläche seien vorbei. Sie hätten hier viel in Dekoration investiert, erzählt der Chef. Service und Beratung seien für die Kunden heute wichtiger. Die kämen mittlerweile viel besser informiert ins Möbelhaus und ließen sich individuelle Lösungen planen. Aus dem Billig-Geschäft dagegen ist Frisch raus: "Eine Kommode für 29 Euro zu verkaufen macht keinen Sinn aus meiner Sicht". Aber auch Designer-Möbel sind an seinem Standort nicht die Lösung. Er setzt auf Mittelklasse-Modelle, Produkte "für die Inselbewohner", wie der Chef sagt, und robuste Möbel, um Ferienwohnungen einzurichten. Trotzdem: Die Konkurrenz und ihre Rabatt-Schlachten sind hart für den Mittelständler. Gerade, sagt er, werde darüber spekuliert, dass auf Rügen ein starker Mitbewerber ins Geschäft einsteigt.