Günter Grass war bei der Waffen-SS
Hellmuth Karasek, Literaturkritiker
Günter Grass, unser Literaturnobelpreisträger - aus vielen seiner Bücher werden noch viele Generationen lesen können, wie es war in Deutschland des 20. Jahrhunderts. Auch aus seinem neuesten. Eine überraschende Geschichte erzählt er darin, die er sich lange aufgehoben hat. Wir erfahren wie beiläufig ein autobiographisches Detail. Als wäre Grass auf dem Dachboden auf eine vergilbte Notiz gestoßen, erzählt er uns: "Ich war bei der Waffen-SS." NDR Info sprach darüber mit dem Literaturkritiker Hellmuth Karasek.
NDR Info: Herr Karasek, bevor wir zu der Frage kommen, ob uns Grass das alles hätte früher erzählen können: Gefällt Ihnen, wie das jetzt passiert? Unter dem Flankenschutz der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird die Nachricht in die Öffentlichkeit überführt, eingemantelt in Hinweise von Frank Schirrmacher, wie man das zu verstehen hat.
Hellmuth Karasek: Na ja, das Interview wirkt ein bisschen so, dass ich zunächst einmal zynisch dachte, der Grass hat uns in seinen Büchern, in der "Blechtrommel" vor allem, "Katz und Maus" aber auch "Hundejahre" seine Jugend so toll, so phantasievoll und so authentisch geschildert, dass er jetzt fürchtete, wir würden uns für ein neues Erinnerungsbuch nicht mehr interessieren, und hat vielleicht deshalb Kohlen ins Feuer werfen wollen, mit dieser Waffen-SS-Geschichte. Dies ist eigentlich, je länger ich das bei mir sacken lasse, eine um so furchtbarere Geschichte, aber nicht wegen der Tatsache. Die Tatsache ist eine Lappalie. Ein Siebzehnjähriger. Gott, das ist alles verständlich. Wenn nicht Grass später immer wieder derjenige gewesen wäre, der die Moralkeule am häufigsten geschwungen hat.
NDR Info: Entwertet dieser Vorgang die moralische Wirkmächtigkeit dieses Autors rückwirkend?
Karasek: Also, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit den Neonazis, mit den Republikanern, mit der FPÖ Heiders, die ging immer im Kern um die Waffen-SS. Die Waffen-SS wurde da wieder hoffähig gemacht und Grass war da immer der heftigste Gegensprecher. Aber hätte er nicht einmal sagen können, ich war da ja auch mal, wenn auch kurz, es ist nur, ich war siebzehn. Wenn er das nicht sagt, entwertet er sein tun doch schon sehr stark. Denken Sie an Bitburg, wo Kohl mit Reagen an Kriegsgräbern amerikanischer und deutscher Soldaten stand, und da waren junge Waffen-SS-Soldaten begraben. Da wurde gesagt, das sei eine Schändung dieser Veranstaltung, und die dürfte nicht statt finden. Jetzt sagt Grass, ich war zwar auch bei der Waffen-SS, ich habe aber keinen Schuss abgegeben. Vielleicht haben die armen Leute, die da in Bitburg begraben sind, auch keinen Schuss abgegeben.
NDR Info: Es melden sich Denkmalpfleger in der literarischen Szene. Da heißt es so ungefähr, was hat der Mann sich zugemutet, so lange alles für sich behalten zu müssen. Das ist ihre Lesart also nicht. Die Zumutung liegt woanders?
Karasek: Ich sage mal so, wenn ich ganz zynisch an seiner Stelle denke: Er hätte den Nobelpreis riskiert, wenn er es früher gesagt hätte. Denn ich glaube, die Akademie, die ein sehr feines Sensorium hat, weil sie weltweit so viel Wirkung hat, dafür was sie machen kann oder nicht, hätte den Nobelpreis nicht an jemanden verliehen, von dem bekannt war, dass er in seiner Jugend in der Waffen-SS war, und das lange verschwiegen hat. Verstehen Sie mich nicht falsch. Er hat den Nobelpreis wie kein anderer deutscher Autor verdient. Aber auf einmal kommt alles in ein neues Licht.
NDR Info: Diejenigen, die ihre Rolle im Dritten Reich und im Zweiten Weltkrieg nach dem Krieg ihren Kindern und Enkeln gegenüber verschwiegen haben, die haben jetzt einen Schutzpatron. Ist das das bizarre Schlusskapitel einer Karriere?
Karasek: Also, sie haben keinen Schutzpatron, insofern da man auch Grass vorwerfen muss, er hätte seine Biographie nicht verschweigen, und was noch schlimmer ist, korrigieren dürfen. Was denkt man über einen Menschen, der auf einmal über ein paar Monate seines Lebens sagt, ich war Flakhelfer, und er war in Wahrheit bei der Waffen-SS. Er hätte ja gar nicht sagen müssen, er hat es ja nicht einmal verschwiegen, sondern er hat gesagt, ich war damals Flakhelfer. Das legt doch denn Verdacht nahe, dass er fürchterliche Angst hatte, über diese Monate die Wahrheit zu sagen. Soviel kann man zumindest sagen.