Toto Niedersachsen: Tippspiel im staatlichen Auftrag seit 1949
Am 9. Januar 1949 fällt der Startschuss für die erste Toto-Ausspielung in Niedersachsen. Während viele Menschen vom großen Gewinn träumen, erhofft sich der Niedersächsische Fußballverband Gelder zur Förderung des Sports.
Concordia Bamberg gegen den FC St. Pauli, Arminia Hannover gegen Eimsbüttel sind zwei von zehn Partien auf dem ersten amtlichen Tippschein des Niedersächsischen Fußball-Toto vom 9. Januar 1949. Spieleinsatz: zehn Pfennig. Viele Menschen besitzen nach dem Zweiten Weltkrieg nur sehr wenig Geld, aber ein paar Pfennige für eine Fußballwette können etliche zusammenkratzen. "Und die Menschen sind dankbar für jede Ablenkung, für Spannung - und den Traum vom großen Gewinn", heißt es in der Broschüre "50 Jahre Lotto Niedersachsen".
In England sind Fußballwetten seit 1921 Nationalsport
Doch ohne Zustimmung der Politik geht es nicht, das Niedersächsische Landesparlament sperrt sich im Herbst 1948 noch gegen das Wetten. Der Grund: moralische Bedenken gegen Glücksspiel. Andere Länder sind da längst weiter. In England wetten Menschen schon seit 1921, in Schweden seit 1934 und seit 1937 in der Schweiz auf den Ausgang von Fußballspielen nach dem Totalisator-Prinzip. Bei diesem Wettverfahren, das erstmals im Pferdesport Anwendung fand, ermittelt der Totalisator die Gewinnquoten beim Pferderennen. Die Spieler wetten gegeneinander und nicht gegen einen Buchmacher. Deshalb gilt das Verfahren als fairste Art zu wetten. Ein Anteil geht an den Rennverein oder Veranstalter, der Rest an die Gewinner mit richtiger Vorhersage. Hohe Gewinnquoten gibt es nur dann, wenn Außenseiter gewinnen. Die Idee dahinter: eine institutionelle Förderung des Sports. Denn der Staat hatte kein Geld für den Breitensport.
Niedersachsen ist Schlusslicht beim Toto in Deutschland
Niedersächsische Sportler und Sportfunktionäre werben deshalb nachdrücklich für eine Toto-Wette nach den genannten Vorreitern. In der Bevölkerung ist das neue Spiel längst bekannt und beliebt, die Wettscheine der niedersächsischen Tipper aber wandern nach Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein. Dort wird bereits wie in Bayern und anderen süddeutschen Ländern im Fußball-Toto gespielt und gewettet. Außerdem wächst die Zahl der illegalen Hamburger und Bremer Annahmestellen in Niedersachsen ständig. Dem Land Niedersachsen gehen auf diese Weise dringend benötigte Gelder für den Wiederaufbau verloren.
Fußballverband initiiert Toto im staatlichen Auftrag
Karl Laue, der Vorsitzende des Niedersächsischen Fußballverbandes und ehemaliger Torhüter beim SV Limmer 1910, setzt sich für ein organisiertes Wettspiel zur Förderung des Fußballs ein. Seine Beharrlichkeit zahlt sich aus - im zweiten Anlauf billigt das Parlament am 15. Dezember 1948 den Antrag zur Formulierung eines Sportwettengesetzes. Der Niedersächsische Fußball-Verband, kurz NFV, übernimmt die Rolle des Veranstalters und baut die entsprechende Infrastruktur auf. Das Pferd wird allerdings von hinten aufgezäumt: Der Niedersächsischen Landtag verabschiedet das zugehörige Gesetz kurioserweise erst am 29. Februar 1949, das im Gesetzblatt am 2. März veröffentlicht wird.
Toto-Wettbewerb startet Anfang 1949 noch mit Pannen
Das Wettbüro des Niedersächsischen Fußball-Toto (NFT) von Laue und seinen sechs Mitstreitern, allesamt Sportler, befindet sich in einem Raum unter der Tribüne des Hindenburg- und heutigen Eilenriede-Stadions in Hannover. Ihre Arbeitstage dauern oft 16 Stunden, ohne "richtige" Wochenenden oder Feiertage. Unter hohem Zeitdruck bauen sie das Toto-Annahmestellennetz auf, drucken und verteilen Wettscheine. Zudem regeln sie deren Auswertung. Mit 242 Verkaufsstellen startet der NFT 1949 in den Vertrieb. Am ersten Wettsonntag werden 47.532 Deutsche Mark (DM) umgesetzt. Allerdings 100.000 DM weniger als erwartet. Grund sind Pannen: Viele Tippscheine kommen zu spät in den noch im Aufbau befindlichen Annahmestellen an. Dementsprechend niedrig fallen auch die Gewinnquoten aus. Der Hauptgewinn beträgt gerade mal 98,20 DM.
Doch am fünften Wettsonntag sind es schon 205.027 DM. Im Mai desselben Jahres muss die Zentrale des Niedersächsischen Fußball-Totos umziehen, weil die britischen Besatzer den Raum für Sportzwecke beanspruchen. Zunächst geht es ins Edelstahlwerk, dann ins Haus des Sports und 1950 schließlich in das Toto-Haus in der Maschstraße 18.
Verlosung von Eigenheimen spült mehr Geld in die Toto-Kasse
Ab Juni 1949 beginnt neben Geldgewinnen die Verlosung von Eigenheimen. Das spült mehr Geld in die Kassen der Toto-Gesellschaft: Am 4. Dezember 1949 wird erstmalig die Millionengrenze beim Wochenumsatz überschritten. Mit einem Startkapital von 15.000 DM kann man damals bei tatkräftiger Eigenleistung ein Siedlerhäuschen bauen. Der Einsatz hierfür auf dem Toto-Spielschein beträgt gerade mal zehn Pfennig. Viele Familien, Heimatvertriebene und Ausgebombte können sich im Laufe der Jahre auf diese Weise den Traum vom eigenen Heim erfüllen. 50 sind es schon im ersten Veranstaltungsjahr. Für eine merkliche Erhöhung der Gewinnquoten sorgt außerdem die Umstellung der Wette von zehn auf zwölf zu tippende Fußballspiele.
Der "Toto-Fritze" wird in den 1950ern zur Werbefigur
Zur Jahreswende 1949/1950 verkaufen rund 1.200 Annahmestellen die Wettscheine des Niedersächsischen Fußball-Toto. Die Veranstalter rühren kräftig die Werbetrommel für mehr Mitspielende - der "Toto-Fritze" mit seinen gedrungenen Beinen, im Trikot mit obligatorischer Schirmmütze und dem Lederball unter dem Arm wird über die Landesgrenzen hinaus zu einer bekannten Werbefigur in den 1950er-Jahren. Mit Erfolg: Das Toto-Spiel fasziniert immer mehr Menschen. Am 13. November 1949 bildet sich der erste Zusammenschluss im Bundesgebiet - Niedersachsen und Schleswig-Holstein legen ihre Umsätze zur gemeinsamen Gewinnausschüttung zusammen. Eine neue Blockbildung zwischen Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Berlin führt am 2. April 1950 zum sogenannten Nordblock. Am 23. September 1951 schließt sich auch Bayern dem Nordblock an, der sich nun "Toto-Nord-Süd" nennt.
Die Aufwärtsentwicklung geht stetig weiter. Die Umsätze des Niedersächsischen Fußball-Toto betragen mittlerweile knapp 1,2 Millionen DM je Wettbewerb und übertreffen damit die größten Hoffnungen der Initiatoren. 1953 setzt der NFT 50 Millionen DM um. Das Wirtschaftswunder ist auch im Fußball-Toto angekommen. Mit den Geldern aus der Toto-Wette kann der NFV in Barsinghausen ein Verbandsheim bauen, das noch heute als Leistungszentrum und DFB-Stützpunkt dient.
1955: Toto-Skandal erschüttert das Land Niedersachsen
Doch im Jahr 1955 bekommt die Erfolgsgeschichte des niedersächsischen Fußball-Toto Risse. Mit der Neufassung des niedersächsischen Sportwettengesetzes vom 31. März übernimmt das Innenministerium die Kontrolle des Toto-Betriebs vom Kulturministerium und bekommt einen tieferen Einblick in dessen Strukturen. Mitte des Jahres nehmen Steuerfahndung und Landesrechnungshof den Geschäftsführer des NFT, Heinz Göing, genauer unter die Lupe. Der Vorwurf: Schiebungen mit den Gewinnen von Eigenheimen. Viele Teilnehmende wollten statt eines Hauses lieber Geld. Und so kauft Göing ihnen privat ihre Eigenheime unter dem Nennwert von 15.000 DM ab. In kürzester Zeit wird Göing zum mehrfachen Hausbesitzer, was stutzig macht. Die niedersächsischen Behörden schalten die Staatsanwaltschaft ein. "Obgleich sich Göing durch seine privaten Geschäfte nicht strafbar gemacht hatte, bestellte ihn Fußballverbands-Präsident und Holzwolle-Kaufmann Karl Laue im Oktober ein", schreibt der "Spiegel" im Januar 1956.
Ein paar Tage später erhält Göing seine Kündigung. Der offizielle Grund dafür: Göing hatte im Juni 1955 ohne Erlaubnis des Aufsichtsrats Schritte unternommen, das niedersächsische Toto-Geschäft auf Belgien auszudehnen und dafür Werbemittel ausgezahlt. Eine Bagatelle im Vergleich zu den dubiosen Eigenheimpraktiken. Ende 1955 beantragt die niedersächsische Landesregierung ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Göing.
Ab 1956 ist Fußball-Toto "kleiner Bruder" von 6aus49
Im Juli 1955 wird der Fußball-Toto in den Landessportbund Niedersachsen e.V. übergeleitet, er erhält die Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Gesellschafter sind zu je einem Drittel das Land, der Niedersächsische Fußballverband e.V. und der Landessportbund. Im Juni 1956 bekommt der Fußball-Toto Konkurrenz: das Zahlen-Lotto 6aus49. Der Toto-Betrieb muss Umsatzeinbußen hinnehmen, weil sich mehr Spielerinnen und Spieler für die Lotto-Millionen begeistern. Daraufhin einigen sich die Gesellschafter der Toto GmbH mit dem Gesetzgeber auf eine Zusammenfassung und gemeinsame Verteilung der Konzessionsabgabe. Der Gewinnrückgang beim Toto und damit verbundenen Einbußen bei den Sportfördermitteln werden dadurch ausgeglichen. 1975 läuft schließlich die Eigenheimverlosung aus, sie hatte deutlich an Attraktivität verloren.
Von Toto und Lotto profitiert vor allem der Staat
Trotz des großen Angebots privater Wettanbieter, auch im Internet, hat das klassische Fußball-Toto nach wie vor seine Anhänger. 2017 betragen die Spieleinsätze für die Toto-13er-Ergebniswette rund zwei Millionen Euro. Neben den Gewinnern profitiert vor allem der Staat vom Glücksspiel. Allein von Januar bis August 2023 führen die Länder rund 17,3 Millionen Euro Steuern an das Bundesfinanzministerium ab. Der Traum vom Hauptgewinn bleibt - auch wenn die Gewinnsummen beim Toto weitaus kleiner als beim Lotto sind. Und so tippen viele Woche für Woche wieder auf den Ausgang von Fußballspielen.