Mission auf dem Mars: "Curiosity" rollt und rollt und rollt
Am 6. August 2012 setzt der NASA-Rover "Curiosity" auf dem Marsboden auf. Das rollende Minilabor soll den Roten Planeten erforschen - mithilfe von Technik und Know-how aus Kiel und Süd-Niedersachsen.
Es ist Montag und gerade einmal 7.32 Uhr - doch ein Hörsaal an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel ist bereits voll besetzt. Rund 500 Studierende und Mitarbeitende schauen gebannt auf eine Großleinwand, auf der sich NASA-Mitarbeiter jubelnd in die Arme fallen. Soeben hat das Fahrzeug "Curiosity" auf dem staubigen Boden des Mars aufgesetzt - unbeschadet. Bis zu diesem 6. August 2012 war das Raumfahrtorganisationen nur bei sechs von 14 Versuchen geglückt. "Jetzt haben wir eine Außenstelle auf dem Mars", sagt Dekan Wolfgang J. Duschl. Denn an Bord von "Curiosity" ist ein an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät entwickeltes Strahlenmessgerät, mit dessen Hilfe geklärt werden soll, ob bemannte Mars-Missionen möglich sind.
"Die Freude war gigantisch", schildert später auch Walter Goetz vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) im niedersächsischen Katlenburg-Lindau den entscheidenden Moment. Er erlebt ihn live im NASA-Kontrollzentrum in Pasadena (US-Bundesstaat Kalifornien) - als teilnehmender Wissenschaftler steuert er die Mission in den folgenden Monaten von dort aus mit.
Rollendes Minilabor von der Größe eines VW Käfer
"Curiosity" ist Teil der 2004 offiziell ins Leben gerufenen NASA-Mission "Mars Science Laboratory" (MSL). Der rund 900 Kilogramm schwere und VW-Käfer-große Rover dient dabei als rollendes Minilabor - und ist der bis dahin größte und leistungsfähigste seiner Art. Für die wissenschaftlichen Instrumente ruft die US-Raumfahrtbehörde damals Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in aller Welt dazu auf, ihre Ideen und Konzepte einzureichen. Die NASA wählt letztlich zehn Instrumente, die Gestein, Atmosphäre und Strahlung messen beziehungsweise analysieren sollen. Hinzu kommen unter anderem eine Wetterstation, ein Bohrer und 17 Kameras.
Kieler Forscher bauen Strahlenmesser im Kaffeekannen-Format
Das Strahlenmessgerät haben die Wissenschaftler aus Kiel zusammen mit Kollegen des Southwest Research Institute in Boulder (US-Bundesstaat Colorado) entwickelt. Die Sensoreinheit kommt aus der Fördestadt, die Elektronikeinheit vom Fuß der Rocky Mountains. "Eine besondere Herausforderung war, den Strahlenmesser möglichst klein zu bauen", sagt Projektwissenschaftler Jan Köhler. Sechs Jahre dauert die Entwicklung, die Kosten liegen bei rund 1,3 Millionen Euro. Der sogenannte Radiation Assessment Detector, kurz RAD, ist am Ende so groß wie eine Kaffeekanne und nur 1,5 Kilogramm schwer.
Experten des MPS suchen Beweise für Leben auf dem Mars
Für die Datenanalyse der Mars-Mission engagiert die NASA unter anderem Experten des Max-Planck-Institus. Geologe Goetz ist im NASA-Kontrollzentrum für einen Teil der Kamerabilder zuständig und soll mit den Wissenschaftlern in Pasadena in den ersten Monaten die Route des Rovers bestimmen. Ein Kollege kümmert sich unterdessen von Süd-Niedersachsen aus darum, Bodenanalysen des größten Rover-Instruments "Sample Analysis at Mars" (SAM) auf organische Verbindungen hin zu untersuchen - also Beweise für Leben auf dem Mars. Das 38 Kilogramm schwere Gerät ist ein eigenes Labor mit Sieben, Öfen, Spektrometern und anderen Messgeräten, das Gas- und Bodenproben auf ihre Zusammensetzung hin prüft.
Acht Monate durchs All: RAD sammelt während des Flugs Daten
Am 26. November 2011 startet "Curiosity" an Bord einer Atlas-V-Trägerrakete vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral (US-Bundesstaat Florida) aus ins All. Die Reise von der Erde zum Roten Planeten dauert acht Monate. Das Strahlenmessgerät der Kieler Wissenschaftler ist das einzige, das bereits Daten sammelt. Die Physiker Robert Wimmer-Schweingruber und Jan Köhler werten sie aus. "Wir konnten damit schon einige kosmische Strahlung und Teilchenstürme von der Sonne messen", sagt Köhler seinerzeit. Auf der Marsoberfläche soll das Gerät als Erstes überhaupt Strahlungswerte messen.
Riskantes Manöver: "Curiositys" Landung auf dem Mars
Die Landung ist einer der heikelsten Momente der Mars-Mission. Das Manöver dauert etwa sieben Minuten: "Curiosity" wird in dieser Zeit von einer Geschwindigkeit von 20.920 Kilometern pro Stunde auf Null abgebremst. Anders als die NASA-Rover "Spirit" und "Opportunity" kann "Curiosity" wegen seines Gewichts von fast einer Tonne nicht mithilfe einer Airbag-Hülle landen. Stattdessen wird das Fahrzeug bei Eintritt in die Marsatmosphäre in 125 Kilometern Höhe erst aerodynamisch abgebremst und dann durch Fallschirme unterstützt. In etwa einem Kilometer Höhe wird eine Abstiegsplattform mit Raketentriebwerken aktiviert. In 20 Metern Höhe geht diese in den Schwebeflug über und lässt den und den Rover an drei dünnen Nylonseilen auf den Boden ab - ein Verfahren, das die NASA als "Skycrane" ("Himmelskran") bezeichnet. Das Manöver gelingt und bereits wenige Minuten später sendet "Curiosity" die ersten grobkörnigen Aufnahmen seines eigenen Schattens auf die Erde.
Mars bot wohl einst lebensfreundliche Bedingungen
Mit minimalem Tempo rollt der Rover fortan durch eine ausgewählte Region im rund 150 Kilometer großen Gale-Krater und nimmt etwa Proben aus einem dort liegenden ausgetrockneten Urzeit-See. Die Daten der Analysekammer SAM zeigen den Forschenden: Es gab dort Süßwasser und sogenannte Grundbausteine des Lebens wie Kohlendioxid, Schwefeldioxid und Sauerstoff. "Das lokale Vorkommen von Tonmineralen lässt auf pH-neutrale, wässrige Verwitterung und damit auf lebensfreundliche Bedingungen auf dem jungen Mars schließen“, ordnet Physiker Goetz, der an der Studie selbst nicht beteiligt ist, die Ergebnisse seinerzeit für deutsche Journalisten ein. Eine mit der Erde vergleichbare Biosphäre habe es jedoch nicht gegeben, sagt der Marsforscher.
Daten zeigen: Strahlung ungesund, aber Raucher leben riskanter
Eine weitere Erkenntnis der von "Curiosity" gesendeten Informationen lautet: Eine bemannte Mars-Mission ist möglich. Die Daten des RAD zeigen, dass die Strahlungsbelastung bei 180 Tagen Hinflug, 500 Tagen Aufenthalt und 180 Tagen Rückflug bei knapp einem Sievert liegt. Unter dem Strich steigt das Krebsrisiko laut Uni Kiel dadurch um etwa fünf Prozent. "Dieses Risiko ist aber immer noch unvergleichlich kleiner, als das, welches Raucherinnen und Raucher eingehen", stellt RAD-Arbeitsgruppenleiter Wimmer-Schweingruber fest. "Die gewonnenen Daten sind ein wichtiger Schritt für die Realisierung einer bemannten Mars-Mission." Sie könnten helfen, Astronautinnen und Astronauten etwa durch eine bessere Abschirmung des Raumschiffs oder durch eine sichere Behausung auf dem Mars zu schützen.
Menschheitstraum Mars: Elon Musk will 2029 mit SpaceX starten
Wann die erste bemannte Mars-Mission folgen könnte, ist derweil offen. Die NASA rechnet frühestens in den 2040er-Jahren damit. Andere Weltraumagenturen wollen sich ebenfalls nicht festlegen. Wesentlich zuversichtlicher ist Tesla-Gründer Elon Musk, der mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX bereits im Jahr 2029 die ersten Menschen auf den Roten Planeten schicken will. Dann könnte "Curiosity" tatsächlich noch Leben auf dem Mars entdecken - denn der Rover rollt trotz Sandstürmen, Kurzschlüssen und zerschlissenen Rädern scheinbar unaufhörlich durch den Gale-Krater und auf den darin liegenden Mount Sharp. Statt der ursprünglich für die Mission angesetzten zwei Jahre, ist er inzwischen zehn unterwegs. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Atombatterie noch Jahre durchhalten könnte.