Kriegsende 1945: Und dann sollten sie noch "Werwolf" werden
15-Jährige sollen am Ende des Zweiten Weltkrieges als "Werwölfe" das Blatt noch wenden. Auch in Hannover. Am 9. und 10. April 1945 entgehen sie im letzten Moment ihrem Schicksal.
Im Frühjahr 1945 rücken alliierte Truppen unaufhaltsam von Westen vor. Die meisten niedersächsischen Orte ergeben sich kampflos. Denn treffen die Panzer auf Gegenwehr, bricht diese bald im Artilleriefeuer der Alliierten zusammen. In Hannover sind viele Menschen besorgt. Wird die Gauhauptstadt von den Nazis in letzter Minute zur Festung erklärt und damit in allergrößte Gefahr gebracht? Oder werden sich die braunen Herren angesichts der feindlichen Übermacht klammheimlich verziehen? Tatsächlich lädt der verhasste Gauleiter Lauterbacher im April sein Auto voll Zigaretten und flieht. Die Hannoveraner bleiben zurück, in banger Erwartung der nahenden Front.
Schuljungen - das letzte Aufgebot
Noch Anfang März 1945 muss sich eine ganze Jungen-Schulklasse auf der Tribüne des Hindenburg-Stadions in Hannover einfinden und den Appell eines Offiziers anhören: "Freiwillige vor zu den Fallschirmjägern, mit eurer Hilfe gewinnen wir den Krieg!" Der damals 15-jährige Horst Bohne ist einer dieser Jungen. Er fragt sich in diesem Moment, welche Flugzeuge sie für den Angriff nutzen sollen. Denn die meisten sind schon zerstört worden. Einer der Jungen meldet sich tatsächlich freiwillig. Der Offizier geht daraufhin durch die Reihen und setzt die anderen Jungs unter Druck, sich ebenfalls freiwillig zu melden. Die Antwort, die er oftmals bekommt: "Ich muss erst meine Eltern fragen!" Das folgende Strafexerzieren endet schon nach wenigen Minuten mit einem Fliegeralarm. Absurde Kampf-Appelle und traurige Wirklichkeit - in diesem Moment treffen sie überdeutlich aufeinander.
"Aktion Werwolf" soll Zweiten Weltkrieg entscheiden
Anfang April soll sich Horst Bohne mit zwei Dutzend anderer Jugendlicher bewaffnet am Lindener Berg treffen, um Anweisungen für die sogenannte Aktion Werwolf entgegenzunehmen. Die Schuljungen sollen von dort oder vom Benther Berg aus hinter die feindlichen Linien gelangen, um die Front von hinten aufzurollen. Die Alliierten sollen so aufgehalten werden. Bohne steckt ein Fahrtenmesser der Hitlerjugend ein und als Wegzehrung eine Tüte Bonbons. Die Jungs nicken zwar gehorsam, schütteln innerlich jedoch den Kopf. In der Nacht vom 9. auf den 10. April soll es losgehen. Die amerikanischen Panzer nähern sich Hannover. Der 15-Jährige denkt aber nicht an den Widerstand als "Werwolf". Er schnappt sich sein Köfferchen und rettet sich mit seiner Mutter in den nahegelegenen Bunker. Dort verbringen sie eine Nacht voller Ungewissheit und Angst. "Im Bunker haben wir dann gewartet bis am Morgen offiziell aufgemacht wurde. Der 10. April war ein sonniger Tag. Es dauerte nicht lange, da kamen schon die erste Leute, die sagten: 'In der Nieschlagstraße verteilen farbige Soldaten Schokolade an die Kinder'.
Bohnes Jugendfreund Mante Vondran, der Sohn des Ortsgruppenleiters, sitzt derweil eingesperrt im Keller des Hauses. Ein Nachbar möchte verhindern, dass der Knabe mit seiner kleinen Pistole noch ein Unheil anrichtet. Denn auf der Limmerstraße rollen bereits die Panzer der Alliierten. Nach der Befeiung beginnt die Zeit der Ausgangssperren, des Schlangestehens nach Trinkwasser, aber auch die Zeit der Rache der befreiten Zwangsarbeiter. Trotzdem, sagt Horst Bohne heute, hat die Stadt viel Glück gehabt. Denn der Schluss ging unblutig aus: "Dafür bin ich dankbar."