Der Hamburger Ölfass-Mord von 1984: Bis heute ungeklärt
Am 9. November 1984 wird im Hamburger Osterbekkanal ein Fass entdeckt. Darin ist die Leiche eines Gastronoms, der im Lotto gewonnen hatte. Die Mörder sind trotz großer Öffentlichkeitsfahndung bis heute nicht gefasst worden.
Der 9. November 1984 ist ein Freitag. Der Himmel ist bedeckt, die Temperatur liegt bei etwa 7 Grad Celsius. Das Wasser im Osterbekkanal im Stadtteil Barmbek ist trübe. So weit nichts Ungewöhnliches für einen solchen Herbsttag in der Hansestadt. Ungewöhnlich ist aber das Fass, das mitten im Kanal treibt.
Fleetschiffer versuchen, es zu bergen. Aber: "Sie kriegten es nicht aus dem Wasser raus, weil es ganz einfach zu schwer war", erinnert sich der frühere Kriminalhauptkommissar Dieter Rohwedder im Hamburg Journal 2014. "Es ist dann ein Kran beziehungsweise ein Bagger bestellt worden, der dann das Fass aus dem Wasser rausgenommen hat. Deshalb ist es auch so leicht geknickt", sagt Rohwedder mit Blick auf den im Hamburger Polizeimuseum ausgestellten Metallbehälter.
Toter Gastwirt in Fass gesteckt
Die Neugierde ist groß. Was könnte in dem Fass sein? Es wird geöffnet. Darin: ein männlicher Leichnam. Schnell steht fest, dass es sich um Karl-Hinrich L. handelt, einen 44 Jahre alten Gastwirt und Diskothekenbetreiber aus Pinneberg (Schleswig-Holstein). Der Mord liegt ein oder zwei Tage zurück. Gerichtsmediziner rekonstruieren die Todesursache. Demnach ist L. mit zwei (in anderen Berichten heißt es auch drei) Schüssen in Kopf und Rücken getötet worden. Anschließend wollten die Täter die Leiche offenbar in dem mit Beton gefüllten Fass im Osterbekkanal versenken, in der Hoffnung, dass es auf den Grund sinkt.
Einen Toten in ein Ölfass zu stecken und dieses zu versenken, "ist natürlich keine Standardbeseitigungsmaßnahme, sondern es ist außergewöhnlich gewesen", erklärt Hauptkommisssar Rohwedder. Vieles habe dafür gesprochen, dass möglicherweise ein Milieubezug besteht.
Eine Million D-Mark im Lotto gewonnen
"Charly", wie der Gastwirt häufig genannt wird, ist damals ein bis dahin eher von Pleiten geplagter und wenig erfolgreicher Geschäftsmann. Doch dann gewinnt er eine Million D-Mark im Lotto, quasi ein nachträgliches Geschenk zu seinem 42. Geburtstag kurz zuvor.
Der Journalist Matthias Rebaschus, 1984 als Reporter am Kanal, hat sich näher mit dem Opfer befasst und dessen Vergangenheit recherchiert. Demnach ist L. 1939 in Vorbruch im Kreis Friedeberg geboren worden. "Er wuchs ohne Vater mit fünf Schwestern und vier Brüdern auf, machte eine Lehre zum Raumausstatter, zog Anfang der Sechzigerjahre nach Pinneberg, ging zur Bundeswehr, heiratete eine zwei Jahre jüngere Frau, eine gute Partie", schreibt Rebaschus in der "Zeit" 2015.
Beteiligung an Disco in Pinneberg
Im Urlaub habe L. drei Männer aus dem Frankfurter und Würzburger Raum kennengelernt. Sie sind Wirtschafter in Bordellen, Pächter oder betreiben welche. Gegen sie laufen diverse Strafverfahren. L.s Ehefrau weiß davon nichts. Sie sagt später, sie habe ein ungutes Gefühl gehabt. L. beteiligt sich laut Rebaschus mit 200.000 D-Mark an der Disco "Jingle" in Pinneberg, die nach einem Brand vor der Wiedereröffnung steht. "Es gibt Champagner", schreibt der Journalist über die Feier, der damals selbst vor Ort ist. Ob in dem Haus dann ein Bordell betrieben wird, ist ungewiss. Über Karl-Hinrich L. heißt es jedenfalls damals, dass er offenbar einen neuen Nachtclub eröffnen wollte, in dem auch Prostituierte anschaffen sollten. Es sei viel Geld im Spiel gewesen.
Ermittler suchen nach den Hintergründen der Tat
Kommt L. mit seinen Plänen Rotlichtgrößen von der Hamburger Reeperbahn in die Quere? Das Hamburger Milieu hat in den 1980er-Jahren einen extrem gewalttätigen Ruf. Oft kommt es zu Schießereien. "Wir haben damals im Jahr acht bis zehn Tote auf dem Kiez gehabt", berichtet Rohwedder.
Tatsächlich gibt es Indizien, dass Geschäftspartner von L. den Mord in Auftrag gegeben haben könnten. Handfeste Beweise existieren aber nicht. Der Besitzer der Firma, aus der das Fass aus dem Kanal stammt, erinnert sich an zwei Männer, die das Fass gekauft haben. Der eine sei etwa 35 Jahre alt, 1,85 Meter groß und kräftig gewesen, er habe mittelblondes Haar gehabt. Der andere sei ungefähr 30 Jahre alt und etwa 1,75 Meter groß gewesen, er habe dunkles Haar und einen Vollbart gehabt. Von beiden werden Phantombilder angefertigt.
Unzählige Spuren und Hinweise verfolgt
Der Mord an Karl-Hinrich L. ist knapp ein Jahr nach der Tat, am 25. Oktober 1985, auch Thema der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst". 10.000 D-Mark werden als Belohnung ausgesetzt, wenn Zeugen entscheidende Hinweise geben. Doch die bleiben aus. Etliche Jahre suchen die Fahnder nach einem Täter und verfolgen unzählige Spuren und Hinweise. Alles ohne Erfolg. Seit dem Mord ist ein Koffer mit Dokumenten von L. verschwunden. "Wer ihn oder die Originalunterlagen hat, gilt als dringend tatverdächtig", so Rebaschus.
Geringe Wahrscheinlichkeit, dass der Mord aufgeklärt wird
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser ungewöhnliche Kriminalfall jemals aufgeklärt wird, hält Ex-Ermittler Rohwedder im Jahr 2014 für gering. "Ausgeschlossen ist aber gar nichts." So könne sich zum Beispiel doch noch ein Zeuge nach all der Zeit melden oder es könnten neue Ermittlungsmethoden entdeckt werden. "Das ist hier auch nicht auszuschließen." Der bis heute nicht aufgeklärte Ölfass-Mord von Barmbek gilt als einer der spektakulärsten Fälle der Hamburger Kriminalgeschichte.