1988: "Werner"-Rennen hebt Hartenholm aus den Angeln
Comic-Zeichner "Brösel" alias Rötger Feldmann ist mit seinen "Werner"-Comics berühmt geworden - und die haben nicht nur auf dem Papier Geschichte geschrieben. Mit seiner aufgemotzten Horex und dem Porsche 911 seines Kumpels "Holgi" startet 1988 in Hartenholm das erste "Werner"-Rennen, das zur Legende werden soll.
Es ist der 4. September 1988, als der beschauliche schleswig-holsteinische Ort Hartenholm zur Pilgerstätte der Motorrad-Fans wird. Die Bilanz der "goilen Paadie" auf dem Flugplatz im Kreis Segeberg damals: jede Menge Musik, Stunts, Unmengen von "Bölkstoff" (Bier), verdreckte und verwüstete Vorgärten sowie geschätzte 1.500 Kubikmeter Müll. 200.000 Besucher feiern eine verrückte "Werner"-Party mit dem legendären Rennen zwischen dem aufgemotzten Horex-Motorrad des Comic-Zeichners und "Werner"-Erfinders Rötger "Brösel" Feldmann und dem roten 911er-Porsche aus dem Jahr 1967 von Kumpel Holger "Holgi" Henze.
"Werner"-Spektakel hinterlässt Spuren
Auch bei der am Flugplatz angrenzenden Gemeinde Hasenmoor hinterlässt das Spektakel Spuren und Erinnerungen, die auch heute noch auf der Homepage der Gemeinde nachzulesen sind. Die Begeisterung ist allerdings deutlich geringer als damals. "Es war ein Überfall der Menschenmassen auf unser Dorf", heißt es auf der Internetseite.
Nicht einmal das weltweit größte Heavy-Metal-Festival im nicht weit entfernten Wacken hat jemals so viele Besucher angezogen. Bisher liegt der größte Fan-Andrang dort bei rund 85.000 - also nicht mal halb so viele wie in Hartenholm.
Hartenholm vom Andrang überrollt
Das Rennen lockt die Menschenmassen an - zur Überraschung der Veranstalter. Sie sind trotz wochenlanger Vorbereitungen schlicht überfordert. Knapp 100.000 Karten zum Preis von 55 D-Mark gehen im Vorverkauf über den Tresen. Dass aber noch einmal so viele partywütige Fans auf das Festival-Gelände wollen, damit hat keiner gerechnet. Die Massen sorgen für ein Verkehrschaos - nicht nur rund um Hartenholm, sondern auch auf der Autobahn 7 und der Bundesstraße 206. "Auf den Straßen des Kreises Segeberg hat es derartiges Chaos noch nie gegeben", beschreibt der Redakteur der "Norderstedter Zeitung" (NZ), Frank Knittermeier, das Spektakel vor Ort.
Chaos und Notlösung
Der Besucherstrom reißt nicht ab. Die Veranstalter kapitulieren, öffnen die Tore und lassen alle an die Rennstrecke - egal, ob sie ein Ticket haben oder nicht. Die Zelte werden dort aufgebaut, wo sich ein Platz findet. Der Flugplatz und die eiligst angemieteten Flächen drumherum gleichen einem riesigen Campingplatz. Die meisten Fans verteilen sich laut "NZ"-Redakteur Knittermeier erst einmal rund um den Flugplatz. Erst als die Top Acts wie "BAP" und Roger Chapman auf den Bühnen stehen, füllt sich das Festival-Gelände.
"Werner": Vom Comic zum Rennen
Feldmanns erste "Werner"-Zeichnungen erscheinen 1978 im Satiremagazin "Pardon" sowie in einer Kieler Stadtzeitung. Schwerpunkt sind andauernde Streitigkeiten mit dem TÜV und der Polizei wegen seiner Horex-Umbauten. Die Comics erlangen schnell eine überregionale Bekanntheit. Das erste Buch "Werner - Oder was?" erscheint 1981.
Anstoß für die Party in Hartenholm 1988 ist "Brösels" vierter Band der "Werner"-Comicreihe, der 1985 erscheint. Der Titelheld wettet darin, dass er mit einem umgebauten und mit vier Motoren ausgestatteten Horex-Motorrad "Holgis" Porsche 911 im Rennen schlagen kann. Der Comic-Erfinder und sein real existierender Kumpel "Holgi" entscheiden sich irgendwann, das Ganze in die Tat umzusetzen.
Horex gegen Porsche 911
Am ersten September-Wochenende 1988 ist es dann so weit: "Brösel" holt die Horex Marke Eigenbau aus dem Schuppen, den sogenannten Red Porsche Killer. "Holgi" bringt seinen roten Porsche 911 an den Start der 600 Meter langen Strecke. Die Spannung, die sich über Wochen bei den beiden Fahrern und den vielen Fans aufgebaut hat, ist beim Rennen allerdings nur von kurzer Dauer: Die ersten Meter liegt der "Red Porsche Killer" noch vorne, aber der 911er von "Holgi" kommt deutlich vor dem Motorrad ins Ziel. Warum das? "Brösel" hat sich schlicht verschaltet. "Ich hatte einen Blackout", gibt er später im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zu Protokoll.
Müll - so weit das Auge reicht
Als mit dem Rennen auch das Festival vorbei ist, atmen viele Anwohner auf. Doch das Chaos bleibt: 600.000 Würstchen und 450.000 Liter "Bölkstoff" hätten die Fans innerhalb von drei Tagen konsumiert, berichtete der "Spiegel". Und danach ihren ganzen Müll zurückgelassen. Als "ein dichter Teppich aus Plastikbechern, Autoreifen, Blechdosen und blauen Müllsäcken" wird die Hinterlassenschaft der Feierwütigen beschrieben. Zwei Wochen dauern die Aufräumarbeiten. Hartenholms damaliger Bürgermeister Kurt Böge (CDU) findet im Gespräch mit der "NZ" deutliche Worte: "Die Veranstalter ziehen ab - und unser Dorf bleibt beschissen zurück." Was wortwörtlich zu verstehen ist, denn die 600 aufgestellten mobilen Toiletten sind schnell übergelaufen, weil die Entsorgungsdienste nicht mehr herankamen. Die Folge: Jeder hat sich dort erleichtert, wo er gerade wollte.
Es türmen sich nicht nur überall Müllberge, es zieht sich auch eine Schneise der Verwüstung durch den kleinen Ort. Es gibt abgebrannte Autos und abgebaute Holzzäune. Die Latten werden nachts verfeuert, weil den Festival-Besuchern kalt ist. Auch Strohballen gehen in Flammen auf. Immerhin: "Brösel" und sein Veranstalter-Team kommen weitgehend für die Schäden auf.
1988 erscheint das Buch "Werner - Das Rennen". Auf 140 Seiten wird ausführlich über die Veranstaltung und die Hintergründe berichtet.
Revival nach 30 Jahren
2018 erfährt das "Werner"-Rennen in Hartenholm eine Neuauflage. Wie 30 Jahre zuvor tritt der "Red Porsche Killer" gegen "Holgis" Porsche 911 an. Die Horex ist nun aber technisch weiterentwickelt worden. Der vierte Motor hat "Umbiegungssnüffelstücke" erhalten, was im "Werner-Deutsch" so viel bedeutet wie nach hinten gerichtete Ansaugrohre. Dieses Mal gewinnt Feldmann das Rennen auf der 200 Meter langen Strecke - mit ein paar Metern Vorsprung.
Musikalisch sind unter anderem BAP und natürlich Torfrock ("Beinhart") am Start. Etwa 100 Imbiss- und Getränkewagen stehen für die zahlreichen Besucher bereit. Dieses Mal bleibt das große Chaos aus. Rund 35.000 Fans zieht es zum Festivalgelände.
2019 findet das Festival erneut statt, allerdings ohne Rennen. 45.000 Menschen kommen nach Hartenholm.