15-Jährige werden als Flakhelfer eingezogen
Mit großer Akribie planen die Nationalsozialisten den Einsatz von 15- bis 16-jährigen Jungen bei der sogenannten Heimatflak. Schüler sind seit dem 15. Februar 1942 Hitlers jüngste Soldaten - ohne rechtlich diesen Status zu haben - und leisten "Kriegshilfseinsatz" in den Stellungen der Flugabwehrkanonen (Flak) der Luftwaffe und bei der Marine (als Marinehelfer). Als Rechtsgrundlage gilt die Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938, nach der jeder Deutsche nach Vollendung des 15. Lebensjahres zu militärischen Dienstleistungen herangezogen werden konnte.
Einsatz als Hilfspersonal in Geschützstellungen
Im September 1942 verfügt Hitler den Abzug von 120.000 Soldaten aus den Kaderdiensten der Luftwaffe, damit sie an der Ostfront eingesetzt werden können. Der ständig wachsende Bedarf an Soldaten führt im Oktober 1942 zu ersten Überlegungen des Reichsluftfahrtministers Hermann Göring, Jugendliche als Hilfspersonal in der Luftwaffe einzusetzen. Die Militärführung hält einen Ausbau der Flugabwehr für notwendig, da sie eine Steigerung der Bombenangriffe durch die Alliierten erwartet, nachdem die Deutschen die Luftschlacht über England verloren haben und die USA in den Krieg eingetreten sind.
Nach einem Plan des Reichsluftfahrtministers werden die Jungen der Jahrgänge 1926 und 1927 kaserniert und für verschiedene Dienste bei der Luftwaffe eingeteilt. Göring löst mit diesem Vorschlag eine über zweieinhalb Monate andauernde Auseinandersetzung zwischen den Ministerien des Reiches über die Ausgestaltung dieses Hilfsdienstes und die Zuständigkeiten dafür aus. Hitler verfügt schließlich am 7. Januar 1943, dass zunächst nur ein Teil der Mittel- und Oberschüler der betreffenden Jahrgänge eingezogen werden sollen. Die künftigen Luftwaffenhelfer werden ausschließlich in Flakbatterien eingesetzt und erhalten weiterhin Schulunterricht.
Drei Wochen nur bleiben den Schülern nach dem Erlass vom 22. Januar 1943 über den "Kriegshilfseinsatz der Jugend bei der Luftwaffe" bis zu ihrem "Dienstbeginn" im Krieg. Als untauglich gilt nur, "wer auch zu leichtem Bürodienst nicht geeignet ist". Die amtlich als "LwH (HJ)" - also Luftwaffenhelfer - bezeichneten Schüler werden meist klassenweise einberufen und zunächst an ihren Heimatorten oder im Umkreis von 50 Kilometern eingesetzt, später aber auch in besetzte Gebiete abkommandiert. Nach einer von vornherein begrenzten Zeit werden viele Flakhelfer zum Reichsarbeitsdienst und danach zur Wehrmacht eingezogen.
Dienst auch am Abzug der Waffe
Laut der Dienstanweisung Görings soll das jugendliche Hilfspersonal in den Stellungen der Flak unter anderem im "Fernsprechdienst", an Funkmessgeräten, im "Geschäftszimmerdienst" sowie am "Kommandogerät" eingesetzt werden. Das heißt, dass die Schüler zum Beispiel Kurs und Geschwindigkeit der Bomber der Alliierten errechnen. Aber entgegen den detaillierten Durchführungsbestimmungen werden die Flakhelfer an den sogenannten leichten Flakgeschützen mit weniger Reichweite von Beginn an auch an der Waffe selbst eingesetzt, zum Beispiel als Richtkanonier, der mit den Füßen den Abzug des Geschützes betätigt.
Die Jungen sind in einer von Propaganda und Krieg bestimmten Zeit aufgewachsen. Sie sind stolz darauf, wie Erwachsene eingesetzt zu werden und keine Hitler-Jungen mehr zu sein. Sie betrachten sich nun primär als Soldaten. Außerdem empfinden viele es sogar als eine Art Befreiung, selbst schießen zu können: "Man konnte sich wenigstens seiner Haut wehren und musste nicht hilflos auf das warten, was kam, wie es das Los der Menschen im Luftschutzkeller war", so ein Zeitzeuge.
Enorme körperliche und psychische Belastung
Doch die Anforderungen an die Jugendlichen sind enorm. Vor allem während der Nacht und unter Feuerbefehl müssen sie zuverlässig und präzise arbeiten. Schnelligkeit kann über Leben und Tod entscheiden. Tagsüber leisten die Schüler zusätzlichen militärischen Dienst wie Waffenreinigen. Hinzu kommt, zumindest in der ersten Zeit, der Schulunterricht. Doch mit den drei bis vier Stunden täglich kann der Wissensstand der Schüler kaum gehalten werden.
Beanspruchung durch Munitionsschleppen, Laufarbeit innerhalb der Stellung, Frieren in kalten Winternächten und natürlich auch die allgegenwärtige Angst zehren an den Kräften der Flakhelfer. Sie bedienen Geräte und Waffen ungeschützt im Freien. Bei manchen Angriffen fallen die Bomben alle sechs Sekunden. Ein geregelter Schulunterricht ist nicht mehr möglich. Zudem werden die Flakhelfer ab 1944 oft weit entfernt von ihren Heimatorten eingesetzt.
Ein sinnloser Einsatz
Von Februar 1943 bis Kriegsende 1945 werden wahrscheinlich bis zu 200.000 Jungen der Jahrgänge 1926 bis 1928 Luftwaffen- oder Marinehelfer gewesen sein. Doch ihr Einsatz in den 2.300 Flakbatterien (Herbst 1944) wehrt kaum einen Luftangriff ab, und selbst der Abschuss zahlreicher Flugzeuge der Alliierten hat keinen nennenswerten Einfluss auf den Kriegsverlauf. Wie viele Jugendliche im Einsatz als Luftwaffenhelfer gestorben sind, ist nicht bekannt.