Mit 80 Mark Startkapital zum Edel-Uhrenmacher
Der Hamburger Uhrenhändler Herbert Wempe hatte einen Traum: die Produktion einer eigenen Uhrenlinie im sächsischen Glashütte, einem traditionsreichen Uhren-Standort. Enkelin Kim-Eva Wempe hat ihn verwirklicht. "Ich fand diese alte Ruine - und da wussten wir, wir bauen Uhren, wir bauen sie hier, wir bauen sie auf dem Ochsenkopf." Für zwei Millionen Euro ließ sie im Jahr 2006 die verwaiste Sternwarte in Glashütte zu einer Betriebsstätte umbauen. Nun stellt Wempe dort eigene mechanische Uhren her: sekundengenaue Armbandchronometer, die unter den Namen "Zeitmeister" und "Chronometerwerke" im Handel sind.
80 Mark Startkapital in Elsfleth
Das Familienunternehmen Wempe ist seit mehr als 140 Jahren mit hochwertigen Uhren und Schmuck im Geschäft. Der damals 21-jährige Gerhard Diedrich Wempe, der Urgroßvater von Kim-Eva Wempe, gründet am 5. Mai 1878 in Elsfleth an der Unterweser mit 80 Mark Startkapital das Unternehmen Wempe. "Mein Großvater fing mit ein bisschen Uhren an. Überwiegend waren sie aus Doublé-Gold und hatten nicht mehr als acht Karat. Er hieß in Elsfleth sehr schnell 'Gülden Gerd'", erzählt Hellmut Wempe, Kim-Evas Vater, im Jahr 2009.
Sprung nach Hamburg: Straßenuhr lockt Kunden an
1894 wechselt der gelernte Uhrmacher Gerhard Diedrich nach Oldenburg. 1907 wagt er den Sprung in die Metropole Hamburg. Das Geschäft am Schulterblatt 141 lockt die Kunden in Scharen an, denn Wempe hat eine eiserne Straßenuhr mit drei Ziffernblättern und einem Schlagwerk an der Fassade anbringen lassen. Und der Unternehmer hat noch mehr Marketing-Ideen: Um seine Uhren dekorativ zu präsentieren, legt er sie nicht einfach auf den Tisch, sondern auf mit Samt bezogene Unterlagen. Um die Werbewirksamkeit zu erhöhen, baut er gläserne Schaukästen.
In sieben Jahren kommen vier weitere Geschäfte hinzu. Verkaufsrenner für Verliebte und Heiratswillige sind 25 verschiedene Arten von Trauringen ab acht Mark. Auch das Geschäft mit der preisgünstigen "Wempe Möwen Uhr", exklusiv für das deutsche Unternehmen in der Nähe von Genf hergestellt, läuft bestens.
Verkauf und Reparatur im "Haus Gülden Gerd"
1921 stirbt der Firmengründer und Sohn Herbert übernimmt das Geschäft. Seine Geschäftsidee ist, nicht nur hochwertige Uhren zu verkaufen, sondern die Kunstwerke aus Rädchen, Schräubchen und winzigen Federn auch zu warten und zu reparieren. "Für seine Kunden wollte er die beste Qualität, die größte Auswahl und die kulanteste Behandlung", so Hellmut Wempe. 1923 kauft Herbert Wempe ein Haus in der Steinstraße, das als "Haus Gülden Gerd" Stammsitz der Firma wird. Dort befindet sich heute die größte Uhrmacherwerkstatt der Welt, in der auch komplexe Zeitanlagen für die Schifffahrt entwickelt und hergestellt werden.
Schmuck-Rückkauf nach Überfall
Berühmt und zur Roman- und Filmvorlage wird der Juwelier Herbert Wempe 1929. Räuber erbeuten Schmuck und Uhren im Wert von 30.000 Reichsmark. Statt die Polizei ermitteln zu lassen, greift Herbert Wempe zur Selbsthilfe und bietet den Dieben per Zeitungsannonce an, den erbeuteten Schmuck zurückzukaufen. Die geheime Übergabe im Stadtpark gelingt. Dieser Deal wird 1938 Vorlage für die Novelle von Hans Fallada "Wer einmal aus dem Blechnapf frisst" und für den französischen Krimi-Klassiker "Rififi" (1955) von Jules Dassin. Die Wempe-Räuber werden später geschnappt, obwohl Herbert Wempe sein Versprechen hält und sie nicht an die Polizei verrät.
Aus der Weltwirtschaftskrise zum "Musterbetrieb" der Nazis
Die Weltwirtschaftskrise trifft das Unternehmen Anfang der 30er-Jahre empfindlich: Wempe steht vor dem Bankrott und muss vielen Mitarbeitern kündigen. Seine Hoffnungen liegen 1933 auf der neuen Regierung unter Hitler. Als Teil der Deutschen Arbeitsfront (DAF) wird das Unternehmen 1937 als "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" ausgezeichnet.
1938 übernimmt Herbert Wempe die Chronometerwerke von einer Hamburger Reedergemeinschaft. Dort werden Marinechronometer und einfache Schiffsuhren gefertigt - unterstellt werden die Geschäfte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs dem Marine- und Luftfahrtministerium. Die Belegschaft wächst von 20 auf 200 Mitarbeiter - ab 1942 sind auch sowjetische Kriegsgefangene darunter. Als im Jahr 2000 mit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ) der Fonds zur Entschädigung von Zwangsarbeitern eingerichtet wird, zahlt die Familie darin ein.
Nach Kriegsende muss sich Firmenchef Wempe einem Entnazifizierungsprozess unterziehen und darf den Betrieb vorübergehen nicht leiten. Die Geschäftsführung wird 1945 für drei Jahre an einen Treuhänder übergeben. Danach gilt Wempe als entlastet.
60er-Jahre: Wempe wird international
Weil sein erstgeborener Sohn Herbert junior aus dem Krieg nicht zurückkehrt, tritt 1951 dessen Bruder Hellmut, geboren 1932, offiziell ins Unternehmen ein. Bereits seit er 13 Jahre alt ist, hilft er dort mit. Nach dem Tode seines Vaters übernimmt Hellmut Wempe 1963 die Geschäftsführung. Mit ihm beginnt bei Wempe die Neuzeit. Er macht die kleine Hamburger Firma zu einem international ausgerichteten Schmuckunternehmen. Aus einem halben Dutzend Niederlassungen wird ein Unternehmen mit zwei Dutzend Geschäften, davon 19 in Deutschland und fünf in den Metropolen New York, Paris, London, Madrid und Wien sowie eine Boutique auf dem Kreuzfahrtschiff "MS Europa".
Mai 2003: Kim-Eva Wempe übernimmt die Geschäfte
Zum 125. Firmenjubiläum im Mai 2003 überlässt Hellmut Wempe sein Lebenswerk offiziell seiner einzigen Tochter Kim-Eva, bleibt aber Mitgesellschafter. Die 40-Jährige arbeitet zu diesem Zeitpunkt bereits rund 20 Jahre im Unternehmen und ist seit 1994 auch persönlich haftende Gesellschafterin. Eigentlich hat die zweifache Mutter Ballett-Tänzerin werden wollen, aber ein schwerer Autounfall beendete die beruflichen Träume. Sie absolvierte eine Fremdsprachenschule, machte Praktika bei Schmuckfabrikanten und Uhrenmanufakturen in der Schweiz, Italien, in den USA und in Asien. 1984 begann sie ein Betriebswirtschaftsstudium an der Hamburger Wirtschaftsakademie. Im heimischen Unternehmen übernimmt sie zunächst die Gebiete Einkauf, Disposition, Personal und Marketing. Sie baut den Schmuckbereich aus und entwickelt eine eigene Marke. Der Schmuck wird in einem Atelier in Schwäbisch Gmünd gefertigt. Ziel der "Unternehmerin des Jahres 2007" ist es, das Unternehmen gesund in die fünfte Generation zu führen. Ob ihre beiden Kinder das Geschäft später übernehmen wollen, wird sich zeigen.
Auf und Ab in China
Obwohl sich die Uhrenbranche seit vielen Jahren schwer tut, laufen die Geschäfte bei Wempe weiter gut. Wohlhabende Chinesen und Russen geben gern viel Geld für Prestige-Objekte aus. So expandiert das Unternehmen 2012 nach China, eröffnet in Peking eine eigene Boutique. Doch die Rechnung geht nicht auf. Hohe Importzölle in China bremsen den Absatz. Schon nach wenigen Jahren zieht sich Wempe wieder zurück.
Cyber-Angriff 2019: Wempe zahlt Millionen-Lösegeld
Im Juni 2019 wird Wempe erneut Opfer von Kriminellen: Erpresser blockieren das Computersystem und leiten eine Nachricht mit Lösegeldforderung auf die Server des Unternehmens. Um wieder Kontrolle über das Computersystem zu bekommen, zahlt Wempe eine hohe Summe Lösegeld an die Erpresser - Medienberichten zufolge mehr als eine Million Euro in der Krypto-Währung Bitcoin.
Trotz der Fallstricke, die die Digitalisierung mit sich bringt, ist sich auch das Traditionsunternehmen der Bedeutung des Internets bewusst und implementiert 2019 auf seiner Unternehmens-Website einen Online-Shop, der die weltweit 34 Niederlassungen mit rund 750 Mitarbeitern ergänzt.