Streit über die Stolpersteine in Hamburg
Die kleinen Messingplatten gelten eigentlich als Erfolgsgeschichte. Die Stolpersteine erinnern vor Hauseingängen an Nazi-Opfer, die dort gewohnt haben. Doch jetzt gibt es Kritik an dem Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Daniel Killy hält nichts von den Stolpersteinen. "Für mich sind sie zu einer moralischen Stolperfalle geworden", sagt er. Sein Kommentar in der "Jüdischen Allgemeinen" sorgt für Aufruhr. Denn Killy ist Sprecher der Jüdischen Gemeinde in Hamburg. Das steht auch unter seinem Text.
Kritik an einem "Millionengeschäft"
Killy beklagt, dass die Stolpersteine ein Millionengeschäft geworden seien. Der Künstler Gunter Demnig habe sich damit einen "politisch korrekt ummantelten Businessplan" geschaffen: "Millionenumsätze mit den Opfern des millionenfachen Mordens", spitzt Killy zu. Und im Interview mit NDR 90,3 legt er noch einmal nach: "Das Erinnern sollte nicht von Leuten, die nur ihr eigenes Süppchen kochen, monopolisiert werden."
"Sie armseliger Wicht!"
Die Reaktionen auf Killys Text sind heftig. Die Aktivistin Lea Rosh antwortet als Vorsitzende des Förderkreises "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" in einer Mail, die NDR 90,3 vorliegt. Dass Killy dem Künstler Gunter Demnig unterstelle, Geld zu scheffeln, sei infam: "Sie sind ein armseliger Wicht. Sie können einem nur leidtun", schreibt Rosh.
"Mit Stolpersteinen kann man nicht reich werden"
Auch Peter Hess ist schockiert. Er hat die Stolpersteine vor zwölf Jahren nach Hamburg gebracht. Heute erinnern in der Hansestadt schon 4.755 Steine an deportierte und ermordete Hamburger. Die Botschaft: Die Opfer waren unsere Nachbarn. Ein individuell beschrifteter Stein kostet 120 Euro.
Reich werde man davon bestimmt nicht, sagt Hess. "Demnig lebt bescheiden in einem kleinen Kölner Atelier, fährt mit einem alten Transporter durch Europa und verrichtet schwere körperliche Arbeit." Die Kritik könne er nicht verstehen, sagt Hess: "Dumme Äußerungen wie die von Killy hat man bislang nur von der rechten Seite gehört. Ich frage ihn: Wovon soll der Künstler denn leben?"
Prominente Stolperstein-Gegnerin: Charlotte Knobloch
Auch Killys Vorwurf, die Stolpersteine führten dazu, dass man zwangsläufig auf den Namen der Opfer herumtrampele, lässt Hess nicht gelten. "Es sind ja keine Grabsteine, unter denen Körper liegen. Deshalb kann ich diesem Argument nicht folgen." Doch wegen genau dieses Arguments gibt es in München bis heute keine Stolpersteine. Charlotte Knobloch, die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden und Münchner Gemeindepräsidentin, ist vor allem aus diesem Grund gegen Stolpersteine und hat sogar zwei bereits verlegte Steine wieder ausgraben lassen. Knobloch fürchtet, dass Neonazis mit Springerstiefeln auf ihnen herumtrampeln könnten.
Der neue Streit um die Stolpersteine hat die Jüdische Gemeinde in Hamburg dennoch überrascht. Der Vorsitzende Bernhard Effertz distanziert sich im Gespräch mit NDR 90,3 von dem Artikel seines Sprechers. Es sei dessen persönliche Meinung. "Der Artikel spiegelt nicht den Standpunkt der jüdischen Gemeinde wieder", sagt er kurz und knapp, "der Vorstand und die jüdische Gemeinde unterstützen die Aktion mit den Stolpersteinen schon seit Jahr und Tag."
Nazi-Terminologie auf Stolpersteinen
Zuletzt hatte es auch Verwirrung über die Beschriftung einiger Stolpersteine gegeben. Sie waren der Auslöser für Killys Kommentar. Zum Beispiel war auf einem Stein in der Hamburger Armgartstraße im Stadteil Uhlenhorst der Nazi-Ausdruck "Gewohnheitsverbrecher" unter dem Opfernamen zu lesen. Geschichtsvergessen sei das, wettert Killy. Peter Hess widerspricht: "Der Künstler wollte darauf hinweisen, wie perfide die Nazis ihre Opfer kategorisiert haben."
Nachdem sich aber eine Angehörige über die Beschriftung des Steines beklagt hatte, ließ Hess den Stein auswechseln. Lea Rosh begrüßt in ihrer Mail diese Korrektur. Sie wirft Killy allerdings vor, dass es ihm mit seiner Kritik nur um "eine infame Diskreditierung der ganzen Sache" gehe.
Konflikte mit Hausbesitzern
Immer wieder kommt es aber auch heute noch vor, dass Hausbesitzer Stolpersteine, für die sich Hausbewohner engagieren, am liebsten verhindern würden. "Das sind dann Eigentümer aus einem eher bürgerlichen Umfeld, deren Vater oder Großvater das Haus günstig von Juden übernommen hat. Die fühlen sich angeklagt, wenn da plötzlich ein Stolperstein vor der Tür auftaucht." Hess kann sich an sieben derartige Konflikte in den vergangenen Jahren erinnern. Er hat aber - auch gegen den Willen der Hausbesitzer- in allen Fällen mit Genehmigung der Stadt auf öffentlichen Gehwegen Steine verlegt. "Solange Angehörige uns um Stolpersteine bitten und Menschen bereit sind, Patenschaften zu übernehmen, so lange geht die Aktion weiter", verspricht er.