Stand: 10.10.2013 20:58 Uhr

"Pik As": 100 Jahre Herberge für Obdachlose

von Fabienne Hurst

Hastig packt der Mann seine Plastiktüten zusammen, damit die Putzfrau durchkommt. Er hockt mit seinen Sachen auf der Flurtreppe des Obdachlosenasyls "Pik As" und wartet. Worauf? Darauf, dass der Tag rumgeht. Hier ist es sauber und warm, er bekommt ein Bett und eine warme Mahlzeit, manchmal ein heißes Bad. 210 Plätze stehen Männern wie ihm zur Verfügung. Sonst würden sie auf der Straße leben.

"Uns geht es darum, diese Menschen von der Straße zu holen", sagt Rembert Vaerst, Geschäftsführer des Trägervereins "fördern und wohnen". Deshalb dürfen manche Männer auch ihre Hunde mitbringen. Alkohol wird zwar nicht gern gesehen, ist aber nicht verboten. "Sonst würden viele einfach nicht kommen", sagt die Sozialarbeiterin Annika Holmer.

Es hat sich viel verändert seit der Eröffnung der Übernachtungsstätte am 11. Oktober 1913. Damals hieß das rote Backsteinhaus in der Hamburger Innenstadt "Polizei-Asyl", abgekürzt: "P. As.", und wurde bald unter dem Spitznamen "Pik As" bekannt. Zwar gab es bereits von der Stadt bezuschusste Herbergen am Hafen, in denen Wanderarbeiter und Obdachlose Unterschlupf fanden, jedoch waren diese Häuser weder bewacht noch beaufsichtigt. Ihre Bewohner mussten Epidemien, Schlägereien und Diebstähle fürchten.

Stadtstreicher, Hafenlöwen und Tippelbrüder

Deshalb ließen Hamburger Asylvereine für insgesamt 700.000 Goldmark das Polizei-Asyl bauen, in dem, so wörtlich, "Stadtstreicher, Hafenlöwen und Tippelbrüder" beherbergt werden sollten. Im ersten Jahr fanden im Durchschnitt 265 Obdachlose pro Tag einen Schlafplatz. Nach dem Ersten Weltkrieg stieg ihre Zahl rapide an: 1922 waren es bereits 600 täglich, durch die Massenarbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise 1929/1930 waren es 1.600.

Am 1. Juli 1937 wurde das "Pik As" nicht mehr der Polizei-, sondern der Sozialbehörde unterstellt. Dennoch agierten die Mitarbeiter weiterhin als "Menschenverwalter", nicht als soziale Helfer. Im Nationalsozialismus wurden Obdachlose als "selbstverschuldete Fürsorgeempfänger" verfolgt und ins KZ Neuengamme deportiert. Viele wurden dort ermordet.

Das "Pik As" in Zahlen

43 Jahre ist das Durchschnittsalter der Bewohner
70 Nationalitäten waren schon zu Gast
60-80 Liter Kaffee werden täglich ausgeschenkt
1.560.000 Euro gibt die Stadt Hamburg im Jahr für das "Pik As" aus
83 Jahre ist bisher der älteste Bewohner
33 Menschen arbeiten hier
17 Hunde wohnen im "Pik As"

Verwalter statt Sozialarbeiter

Nach dem Krieg fanden Familien im "Pik As" Unterschlupf, deren Wohnungen zerbombt worden waren. Auch Studenten und Hafenarbeiter lebten zeitweise in den billigen Zimmern, bis es Ende der Fünfziger klarer als "Nachtasyl für Bedürftige" definiert und tagsüber geschlossen wurde. In den 60er-Jahren schrieb der Journalist Günter Wallraff in seiner Reportage "Asyl ohne Rückfahrkarte": "Eine Woche 'Pik As' reicht in der Regel, um den Mut zu verlieren."

Bis in die Siebziger war im "Pik As" hauptsächlich Verwaltungspersonal tätig. Das waren Aufseher in grauen Kitteln, die in ihren Karteikästen alle Daten sammelten und Hand in Hand mit der Polizei arbeiteten. Heute sind es vorrangig Sozialarbeiter, die sich um die Bewohner kümmern.

Übernachten im Flur

Auch das Profil der Bewohner hat sich über die Jahre verändert: "Von 'Hafenlöwen' ist nicht mehr die Rede. Viele sind psychisch krank oder drogensüchtig, und deshalb auf der Straße gelandet", sagt Sozialarbeiterin Holmer. Im vergangenen Winter kamen auch zahlreiche Flüchtlinge aus Afrika, die über Lampedusa nach Europa geflüchtet waren.

Früher wurden bis zu 80 Menschen in den Schlafsälen untergebracht, heute sind die 65 Zimmer mit zwei bis zwölf Betten belegt. Nur im Winterprogramm nimmt das "Pik As" auch mehr Obdachlose auf, als es Betten gibt. "Das steht der Schutz vor dem Erfrieren an erster Stelle", sagt Vaerst. Dann übernachten ein paar der Obdachlosen auf dem Flur, solange die Notausgänge nicht blockiert werden.

Kein anderer Ausweg

Das negative Bild des Obdachlosen als Sozial-Schmarotzer hielt sich lange. Noch als Wallraff in den 60er-Jahren im "Pik As" recherchierte, sprachen die Leute auf der Straße von "Hamburgs billigstem Hotel". Dagegen wehren sich die Mitarbeiter des "Pik As" bis heute: "Wir sind weder Krankenhaus noch eine Pension", sagt ein Sozialarbeiter. "Die Leute kommen zu uns, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sehen. Die meisten muss man sogar überreden."

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal 18:00 Uhr | 18.10.2013 | 18:00 Uhr

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