Irdische Engel und ehrenhafte Tittentaster
"Sage mir wo Du wohnst und ich sage Dir, wer Du bist." - "Keineswegs!" (oder besser: "Keines Wegs"), mag mancher Norddeutscher diese Binsenweisheit abwehren, wenn er sich das Schild an seiner Straße anschaut. Zumindest, wenn darauf so etwas steht wie Bräsigweg oder Stinkbüdelsgang, das von Trägheit oder üblem Geruch zu künden scheint. Beide Straßen sind in Hamburg zu finden. Doch auch anderswo im Norden sind kuriose Straßennamen zuhauf vertreten. NDR.de stellt einige vor und erklärt die Herkunft der Namen.
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"Zum Slip" oder "Beamtenlaufbahn" - woher kommen die Straßennamen?
Tittentastergang und Tittentasterstraße
Anzüglich mutet der Tittentastergang in Lübeck an - dabei ist er ein Hinweis auf eine alte, aber äußerst ehrenwerte Tätigkeit. Lange Zeit übergaben reiche Leute ihre Säuglinge Ammen zur Pflege, da das Stillen in feinen Kreisen verpönt war. Bevor die Frauen angestellt wurden, wurde im Tittentastergang überprüft, ob sie über genügend Milch verfügten. Hingegen war die Tittentasterstraße in Wismar der Legende nach so eng, dass zwei Menschen nur aneinander vorbeikamen, wenn sie sich berührten beziehungsweise "betasteten".
Zum Slip
Ebenfalls weitaus weniger anstößig als er klingt, ist der Ursprung des Straßennamens Zum Slip in Nordenham. Statt auf heiße Höschen bezieht sich der Name auf eine sogenannte Slipanlage. Diese bezeichnet eine Schräge, über die Boote vom Land ins Wasser gelassen werden können.
Glatter Aal
Von Natur aus schlüpfrig ist hingegen Glatter Aal - der Schlangenfisch kommt als Straßenname sowohl in Rostock wie auch in Wismar vor. Der Volksmund sagt, dass an dieser Stelle im Mittelalter bei Volksfesten versucht wurde, Aale mit der Hand aus Wasserbottichen zu fangen. Eine andere Hypothese lautet, dass sich dort ein gleichnamiges Wirtshaus befand.
Rutschbahn
Wörtlich zu nehmen ist auch die Straße Rutschbahn in Hamburg. Der Gastwirt des Lokals "Zur Rutschbahn" ließ tatsächlich in seinem Garten eine solche bauen, über die seine Gäste vor oder nach dem Genuss geistreicher Getränke schlittern konnten.
Reeperbahn
Auch über die bekannte Reeperbahn taumelt heute so mancher - und hängt nach durchzechter Nacht bisweilen in den Seilen. Diese sprichwörtliche Verknüpfung ist wohl auch das einzige, das noch an die ursprüngliche Bedeutung des Namens erinnert. Denn dieser entstammt der Berufsbezeichnung des Seilmachers, mittelniederdeutsch: Reeper. Zur Herstellung ihrer Taue benötigten diese Handwerker lange Bahnen, auf denen sie ihre Seile drehen konnten.
Caffamacherreihe, Kattunbleiche und Knochenhauertwiete
Ebenfalls einem heute ausgestorbenen Berufsstand hat die Hamburger Caffamacherreihe ihren Namen zu verdanken. Als Caffamacher bezeichnete man im norddeutschen Raum lange Zeit Weber, die einen geblümten Samtstoff, Caffa genannt, herstellten. Ebenfalls auf die Zeit, in der in Hamburg edle Stoffe gefertigt wurden, verweist die Kattunbleiche in Wandsbek. Dort wurde die Kattun genannte Baumwolle vor dem Färben zunächst intensiv gereinigt. Blutig ging es hingegen in der Hamburger Knochenhauertwiete zu. Dort hatten sich damals die Metzger angesiedelt.
Beamtenlaufbahn
Eine Beamtenlaufbahn, wie sie in Norderstedt zu finden ist, schlägt heute durchaus noch mancher ein. In der schleswig-holsteinischen Stadt handelt es sich allerdings um eine Sackgasse. Auch in Kiel gibt es eine Straße namens Beamtenlaufbahn. Das "Kieler Straßenlexikon" von Hans-G. Hilscher erklärt die Benennung damit, es handele sich um die volkstümliche Bezeichnung für die kürzeste Verbindung zwischen Polizeipräsidium und Rathaus, die 1961 zum amtlichen Namen erhoben wurde.
Ewigkeit, Sargmacherstraße und Leichenweg
Zahlreichen Namen auf den norddeutschen Straßenkarten ist auch ein Hinweis aufs Jenseits eingeschrieben. In Oldenburg verweist der Straßenname Ewigkeit auf den Standort einer einstigen Hinrichtungsstätte. Auf den heute ausgestorbenen Berufsstand der Sargmacher verweist die Sargmacherstraße in Wismar, die seit dem 14. Jahrhundert diesen Namen trägt. Der Leichenweg in Hamburg führte einst vom Dammtor aus zum St. Petri-Friedhof und diente offenbar für die Leichenbegängnisse besonders wohlhabender Hamburger Familien.
Himmelreich und Hölle
Und wie geht es weiter, wenn das letzte Stündlein geschlagen hat? In Heide (Dithmarschen) zumindest liegen Himmelreich und Hölle eng beieinander. Die Stadtgeschichte berichtet, dass es zuerst die Straße Himmelreich gegeben habe. Ein Maurer namens Blunck soll dann in der nächsten Straße zwei Häuser gebaut und mit dem Schild "Hölle" versehen haben - da er der Ansicht war, jeder Himmel brauche auch seine Hölle.
Engelsgrube
Die Engelsgrube in Lübeck hat unterdessen rein gar nichts mit geflügelten Himmelswesen zu tun, sondern vielmehr mit irdischen Gütern. Das verdeutlicht ein Blick in die Geschichte: Unter dem lateinischen Namen Fossa Angelica (England-Grube) beziehungsweise Platea Angelica (England-Straße) wurde die Straße bereits 1259 erstmals urkundlich erwähnt. Der Name bezieht sich auf einen Teil des Hafens, in dem vor allem englische Schiffe anlegten und englische Kaufleute Handel betrieben. Erst bei der offiziellen Festlegung des hochdeutschen Straßennamens im Jahr 1852 deuteten die zuständigen Beamten den Namen missverständlich in Engelsgrube um.
Henning-Mörder-Straße
In Stralsund findet man die Henning-Mörder-Straße. Die hat nicht etwa mit Mord zu tun, sondern bezieht sich auf das Adelsgeschlecht "Mörder". Dieses gehörte um das Jahr 1500 zu den Ratsmitgliedern der Stadt. Ursprünglich hieß die Straße nur "Mörderstraße". Nachdem das Adelsgeschlecht jedoch ausgestorben war, fand man den Namen anstößig. 1934 wurde er deshalb zur "Henning-Mörder-Straße" erweitert. Er war um 1500 der Bürgermeister Stralsunds.
Unnütze Straße
Ebenfalls befindet sich in Stralsund die Unnütze Straße. Sie erhielt ihren Namen durch eine gewollte Falschschreibung. Im Mittelalter waren hier die Prostituierten ansässig. Daraus resultierte der Name "Nüttze Strate". Nachdem das Gewerbe von dort vertrieben wurde, bennante man die Straße um, damit die Anwohner nicht einem schlechten Ruf ausgesetzt werden.
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