Volkstrauertag: Wie eine neue Erinnerungskultur funktionieren kann
Jeden November eine ähnliche Diskussion: Wie lässt sich der Volkstrauertag zeitgemäß würdigen. Ohne Heldenverehrung und Glorifizierung der vergangenen Kriege. Wie also angemessen trauern?
Der erste Volkstrauertag wurde 1925 begangen. Als Tag "Für die im Weltkriege Gefallenen", so hieß es damals offiziell. Um die 100.000 Ehrenmäler sind seitdem in Städten und Dörfern in ganz Deutschland errichtet worden. Darauf wird der gefallenen Soldaten aus dem deutsch-französischen Krieg, bei uns in Schleswig-Holstein auch der Erhebung gegen den dänischen König 1848/50, sowie den Soldaten der beiden Weltkriege gedacht. Allerdings mit einer Anmutung von Heldenverehrung durch Inschriften wie "Sie starben fürs Vaterland" oder "Sie ließen ihr Leben für Deutschlands Einheit und Größe".
Mehr kritische Auseinandersetzung
"Das ist aus heutiger Sicht sehr kritisch zu sehen", meint Stephan Linck, Historiker der Evangelischen Akademie in Hamburg. "Das jahrzehntelange Ausblenden der zivilen Opfer, das Ignorieren der Gewalt und des Unheils, verursacht von deutschen Soldaten, muss immer mitgedacht und deutlich ausgesprochen werden", so der Historiker. Eine Möglichkeit, die in den letzten Jahrzehnten immer öfter als Lösung genutzt wird: Ein kommentierendes Denkmal neben dem Soldatenehrenmal, das auch an die zivilen Opfer der Kriege erinnert.
Warum nicht mal ganz anders gedenken
Im kleinen Dorf Schönwalde am Bungsberg (Kreis Ostholstein) ist man einen anderen Weg gegangen. In der Dorfkirche hingen seit 1957 in der sogenannten Ehrenhalle Gedenktafeln für die gefallenen Soldaten der Gemeinde. So ist die Kirche damals zum zivilgesellschaftlichen Trauerort geworden. Unangemessen schien das dem damaligen Pastor Arndt Heling. In den 2000er Jahren begann Arndt Heling das zu ändern. Die Tafeln wurden abmontiert, ein neuer Ort des Gedenkens sollte eine andere Form der Erinnerung möglich machen. 2018 wurde dazu die ehemalige Leichenhalle, eine Art kleine Kapelle neben der Kirche entwidmet und umgebaut.
Was ist ein angemessener Volkstrauertag?
"Wir möchten angemessen gedenken - aber geht das überhaupt, den Soldaten und den zivilen Opfern am gleichen Tag Aufmerksamkeit schenken?", diese Frage bewegte Pastor Arndt Heling, als er über den neuen Gedenkort nachdachte. "Die alten Ehrendenkmäler sind problematisch, stammen aber aus einer anderen Epoche, in der sie ihren Platz in der damaligen Gesellschaft hatten. Das kann man kritisieren, ist aber für unser heutiges Gedenken, aus meiner Sicht, nicht der Fokus." Und so wurde in Schönwalde am Bungsberg nach einer längeren Ausschreibungsphase und einem Umbau aus der alten Leichenhalle der "Gedenkort für den Frieden für die Opfer von Krieg und Gewalt".
Das Wunder von Schönwalde
Am Volkstrauertag 2019, zur Einweihung des neuen Gedenkortes, passiert dann das, was Arndt Heling "das kleine Wunder von Schönwalde" nennt. Eine Menschenkette aus Dorfbewohnern, Pfadfinderinnen und Pfadfindern, Soldaten, Feuerwehrleuten, Kirchenvertretern zieht sich einmal quer durchs Dorf vom alten Ehrenmal bis zum neuen Gedenkort. "Ein hochemotionaler Tag", erinnert sich der ehemalige Pastor von Schönwalde. Im Gedenkort für den Frieden werden die alten Tafeln der getöteten Soldaten aufbewahrt. Besucher können Kerzen entzünden und in einem Gästebuch ihre Gedanken und Kommentare hinterlassen. Statt Heldenverehrung, ein Gedenken für alle Opfer von Gewalt und Krieg. Und der Appell den Frieden zu verteidigen und zu bewahren.