Stand: 08.05.2018 18:18 Uhr

Bettina Röhl: Die 68er und das Missverständnis

von Bettina Röhl

Die Erinnerungen und die Assoziationen zu den 68ern gehen in alle möglichen Richtungen und polarisieren bis heute. Wir haben Künstler, Schriftsteller, Zeitgenossen aufgerufen, uns ihre Gedanken aufzuschreiben. Die Journalistin Bettina Röhl hat gerade ein Buch geschrieben: "Die RAF hat euch lieb: die Bundesrepublik im Rausch von 68 - Eine Familie im Zentrum der Bewegung".

Bettina Röhl stützt den Kopf auf die Hand © imago/müller-stauffenberg
Die Journalistin Bettina Röhl mit ihrem Blick auf die 68er.

1968 - Das war die Blütezeit der besten Republik, die es auf deutschem Boden je gab. Die Menschen hatten ihre persönlichen Träume von noch mehr Wohlstand, noch mehr Freizeit, aber auch von Bildung für jedermann: Die Abiturientenzahlen stiegen Jahr für Jahr. Aufstieg, Karriere und die touristische Eroberung der Welt beschäftigten die Menschen. BIP und Wachstum stimmten. Die jungen Leute, vor allem die akademische Jugend, fanden damals in der Bundesrepublik paradiesische Verhältnisse vor, inklusive bester Aussichten auf einen gelungenen Einstieg in das Berufsleben, und sei es in Gestalt eines langen Marsches durch die Institutionen.

Vollbeschäftigung, Vollbeschäftigung, Vollbeschäftigung - das war das entscheidende Momentum dafür, wie Wohlstand und Wohlstandsverteilung eine Gesellschaft, die diesen Zustand für selbstverständlich hält, in einen euphorischen und allemal wünschenswerten Zustand versetzt.

Ein ganz anderer Blick

Die 68er selber sehen ihr Land, die Bundesrepublik Deutschland, jedoch ganz anders. Sie sehen nicht das von allen Historikern erkannte, wirtschaftlich gesehen, goldene Zeitalter von 1950 bis 1973 inklusive des kleinen wirtschaftlichen Knicks 1966, sie sehen nicht die Liberalisierung, den Beginn der Reformen in Bildung, Kindererziehung, Frauenemanzipation, die alle schon vor der großen Revolte von 68 in Gang gekommen waren.

Der Grundtenor aller 50 Jahre alten, in Echtzeit historisierenden 68er-Beschreibungen und -Bewertungen, wie auch ganz aktueller Einordnungen, lautet fast stereotyp, dass die Bundesrepublik in den Fünfziger- und Sechzigerjahren dumpf, schwarz, braun, restaurativ, post- und neofaschistisch, verstaubt, verklemmt, schrecklich, unmenschlich, autoritär, obrigkeitsstaatlich gewesen wäre. Und diese historische Bewertung ist stets der Auftakt zu den Konglomeraten aus Berichten und Analysen, die dann folgen: Die 68er-Bewegung war notwendig, sie war der große Befreiungsschlag, sie war die Neugeburt der Bundesrepublik, die eigentliche Staatsgründung, die 1949 nur abstrakt im Gesetz gestanden hätte.

Das Licht der 68er

Die Geschichtsschreibung zum Thema 68er Bewegung liegt seit 50 Jahren fest in der Hand der inzwischen ebenfalls 50 Jahre älter gewordenen 68er aller Couleur und diese Geschichtsschreibung beginnt stets mit demselben Märchen: Es war einmal ein schrecklich’ Land namens Bundesrepublik. Es herrschte zwar Vollbeschäftigung, und den Menschen ging es so gut wie nie zuvor, aber das war nebensächlich, es brachte niemandem Glück. Die Menschen lebten trotzdem wie aufgezogen, wie »gleichgeschaltet« (Marcuse) in einer kalten furchtbaren Konsumwelt, »Konsumterror«, die sie vollkommen von sich selbst und allem entfremdete, und die Idee, jeden Tag arbeiten gehen zu müssen, war für sie wie Folter. Ein ganzes Leben lang nur arbeiten, womöglich eine Familie haben. Nie wieder wollten sie in einer solchen falschen bösen Idylle leben. Stattdessen wollten sie frei sein und high sein, forever young.

Und dann kamen die Erlöser aus dem Studentenmilieu, die sagten, dass alles ganz anders werden müsse, dass alles besser, freier, heller werden müsse, dass man sich von der Familie, den Eltern, den Autoritäten, dem Chef, der Regierung, von dem Zwang zu arbeiten, von dem Zwang, kleine Kinder zu haben, und von dem Zwang der Ehe, der Zweierbeziehung, befreien müsse und dass man das ab jetzt in die Welt hinausschreien und Aktionen machen müsse, um alle Alten und Jungen und die Regierenden darauf aufmerksam zu machen, dass ab sofort ein neuer Typus Mensch komme, und natürlich wolle man den Rasen mit dem Betreten-verboten-Schild endlich genüsslich zertrampeln, das sei jetzt politisch. Und dann kam Licht über uns, und das Licht hieß 68.

Weitere Informationen
Zwei Frauen auf dem Monterey Pop Festival am 17. Juni 1967 © picture alliance / AP Photo

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch unterwegs | 09.05.2018 | 19:00 Uhr

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