Kindesmissbrauch: Polizei löscht strafbare Bilder nicht
Polizeibehörden lassen strafbare Aufnahmen in pädokriminellen Foren nicht löschen. Für Betroffene hört das Gefühl des Missbrauchs dadurch nie auf.
Statistisch betrachtet sitzen in jeder deutschen Schulklasse ein bis zwei Kinder, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Eine Zahl, die greifbar macht, wie verbreitet Pädokriminalität immer noch in Deutschland ist - aber nichts darüber aussagt, was die Betroffenen Kinder und Jugendlichen ertragen müssen.
"Es gab bei mir ein ganz normales Leben in der Familie, mit Kindergarten, Schule, Vereinsleben", erzählt Eva Winter (Name geändert), "und gleichzeitig gab es das Leben an Wochenenden, in Ferienzeiten, an schulfreien Tagen mit Übergriffen." Alles, was man sich unter sexualisierter Gewalt vorstellen könne, "ist da auch passiert", sagt Winter.
"Kindlicher Wunsch, es möge endlich vorbei sein"
Als sie fast erwachsen ist, gelingt es Eva Winter, zu fliehen. Der körperliche Missbrauch endet, aber die Täter haben weiterhin ein Druckmittel gegen sie in der Hand: Sie haben ihre Taten auch auf Foto und Video dokumentiert. Das Material wurde getauscht und mutmaßlich auch im Internet hochgeladen. "Das ist eigentlich ein ständiger, subtiler Schmerz, den ich gar nicht richtig lokalisiert kriege", sagt Eva Winter. "Also es tut mir permanent am Herzen weh, wenn ich darüber nachdenke. Ich habe immer noch diesen kindlichen Wunsch, es möge einfach vorbei sein."
Niemand wird Eva Winter irgendwann die Garantie geben können, dass Aufnahmen von ihr als Missbrauchsopfer gar nicht mehr im Netz zirkulieren. Aber deutsche Polizeibehörden tun auch wenig dafür, dass den Täterinnen und Tätern die Verbreitung erschwert wird. Recherchen von Panorama und STRG_F zeigen, dass in den größten Tauschbörsen des Internets, pädokriminellen Darknet-Foren, weiterhin nicht strukturell gegen die Inhalte vorgegangen wird.
Innenpolitiker versprachen Besserung
Die Recherche-Ergebnisse stehen im Widerspruch zu politischen Versprechungen der vergangenen Jahre. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte den Kampf gegen Kindesmissbrauch zu einem Schwerpunkt ihrer Amtszeit machen wollen. Dazu zählte auch, die Aufnahmen der Taten aus dem Netz löschen zu lassen. Auch die Innenministerkonferenz hatte 2022 beschlossen, dass konsequentes Löschen in den Darknet-Foren "eine geeignete Möglichkeit bietet, die Verfügbarkeit von Missbrauchsabbildungen zu reduzieren."
Auslöser der Debatte waren Recherchen von Panorama, STRG_F und des "Spiegel", die 2021 gezeigt hatten, dass sich durch die Analyse der Darknetforen massenhaft Fotos und Videos aus dem Netz löschen ließen. Faeser hatte daraufhin versichert, entsprechende Löschprozesse im Bundeskriminalamt seien "umgestellt" worden.
Noch im Dezember 2024 bekräftigte Faeser im Interview mit Panorama und STRG_F: "Aus meiner Sicht ist es besser geworden. Wir haben jedenfalls unsere Bemühungen verstärkt." Sie halte das Löschen "für eine der wichtigsten Arten der Kriminalitätsbekämpfung", auch weil die Betroffenen sonst immer wieder an diese furchtbaren Straftaten erinnert würden, so Faeser.
Exklusive Datenrecherche belegt: Polizei löscht weiterhin nicht
Eine weltweit einmalige Datenanalyse, die Panorama und STRG_F über Monate in den größten pädokriminellen Darknet-Foren durchgeführt haben, beweist nun jedoch: Noch immer lassen Strafverfolgungsbehörden massenhaft Aufnahmen über Jahre online, obwohl sie sich schnell entfernen ließen: In einem Pilotprojekt gelang es einem NDR-Reporter und einem IT-Spezialisten, zu zweit eine Datenmenge von 21,6 Terabyte löschen zu lassen, nachdem die Inhalte zuvor über 23 Millionen Mal von Pädokriminellen heruntergeladen worden waren.
Zwei Darknet-Foren, in denen systematisch gelöscht wurde, stellten ihren Betrieb gar komplett ein, darunter das zweitgrößte der Welt. Ein weiteres wurde von den Betreibern nicht mehr gepflegt und von Nutzern als "totes Forum" bezeichnet. Einige Pädokriminelle, die über Jahre illegale Aufnahmen verbreitet hatten, gaben in Chats an, wegen der konsequenten Löschung damit aufzuhören.
Vertraulicher Bericht zeigt: Behörden löschen strafbare Bilder nicht
Auch ein vertraulicher Bericht der Innenministerkonferenz zeichnet ein Bild, das nicht zu den Versprechungen Faesers passt. In dem Papier, das den Reportern von Panorama und STRG_F vorliegt, heißt es, dass technisch mögliche Löschungen der strafbaren Aufnahmen nicht stattfänden, selbst wenn diese "im Sinne des Opferschutzes und der öffentlichen Erwartungshaltung ein wirkungsvoller Beitrag" wären. Die Behörden verweisen auf die hohe Arbeitsbelastung und offene Rechtsfragen, die politisch geklärt werden müssten.
Nancy Faeser, das Bundesinnenministerium und das Bundeskriminalamt blieben trotzdem bei ihrer Linie, dass sich die Situation verbessert habe. Wie genau, ließen sie offen. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zeigte sich im Interview mit Panorama und STRG_F hingegen selbstkritisch und räumte ein: "Es wird nicht gelöscht. Zumindest nicht so, wie ich es mir vorstelle." Bisher habe Priorität, die Täter zu verhaften und die Opfer aus der Gefahrenzone zu bringen: "Das heißt aber nicht, dass das andere nicht gemacht werden muss."
Reul kündigt Löschen "so schnell wie möglich" an
Für Betroffene wie Eva Winter sind die Enthüllungen ein Schlag. Sie hatten Hoffnungen in die Ankündigungen gesetzt, dass Strafverfolgungsbehörden gegen die Verbreitung ihrer Aufnahmen konsequenter vorgehen würden. Als Winter davon im Interview mit Panorama und STRG_F erfuhr, sagte sie: "Ich finde es gerade ziemlich hart, weil jedes Posting Menschen beinhaltet. Ich wünschte mir, dass ich jemanden vor mir hätte, der es einfach beenden würde. Der es löschen könnte."
Gefragt, wann das Löschen beginne, sagte Reul: "So schnell wie möglich." Er kündigte an, das Thema wieder auf der Innenministerkonferenz einzubringen. Die nächste findet im Juni 2025 in Bremerhaven statt.