Pädokriminelle Foren: Abgeordnete fühlen sich belogen
Abgeordnete und Kinderschützer haben mit Entsetzen auf Panorama-Recherchen reagiert, wonach deutsche Behörden pädokriminelle Inhalte weiterhin nicht systematisch löschen. IT-Experten kritisieren zudem, dass Behörden neue Befugnisse wie die Chatkontrolle fordern, vorhandene Möglichkeiten aber nicht ausnutzen.
Deutsche Strafverfolger lassen Darstellungen von Kindesmissbrauch bewusst im Netz, wie Panorama und STRG_F recherchiert haben. Abgeordnete in Bund und Ländern fühlen sich von den Behörden getäuscht - und fordern Aufklärung. Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (Linke) hatte in den vergangenen Jahren immer wieder parlamentarische Anfragen dazu gestellt, ob Polizeibehörden im pädokriminellen Darknet Aufnahmen löschen ließen. Zuletzt vermittelte das zuständige Bundesinnenministerium noch im Dezember 2024 den Eindruck, dass dies geschehe. "Wenn das in der Praxis in so vielen Fällen gar nicht passiert, fühle ich mich als Abgeordnete belogen", sagte Domscheit-Berg.
Ähnlich äußerte sich der niedersächsische Landtagsabgeordnete und CDU-Fraktionsvorsitzende Sebastian Lechner. "Diese Berichte haben mich überrascht, weil bisher alle Behörden uns mitgeteilt haben, dass sie dabei sind, diese Daten zu löschen. Das ist ein desaströses Versagen unserer Behörden." Julia von Weiler von der Kinderschutzorganisation Innocence in Danger nannte die Recherche-Ergebnisse auf NDR Info "erschütternd" und fügte hinzu: "Man sorgt selber dafür, dass man weiterhin gegen Windmühlen kämpft."
Politische Versprechungen nicht umgesetzt
Hintergrund der Diskussion sind Ermittlungen deutscher Polizeibehörden in Bund und Ländern, bei denen sie Fotos und Videos von Kindesmissbrauch nicht löschen lassen, obwohl dies technisch einfach und mit wenig Personalaufwand möglich wäre. In einem mehrmonatigen Pilotprojekt hatten Reporter von Panorama und STRG_F dies demonstriert. Sie analysierten alle großen pädokriminellen Darknet-Foren und meldeten dort über Download-Links verbreitete Missbrauchsdarstellungen bei den zuständigen Speicherdiensten. Im Ergebnis löschten die Unternehmen 21,6 Terabyte an Daten, was umgerechnet etwa 1,5 Jahren an Videomaterial entspricht.
Dass deutsche Polizeibehörden nicht ähnlich vorgehen, obwohl sie in diesen Foren ermitteln, sorgte schon 2021 für Kritik. Damals hatte die Innenministerkonferenz eine Arbeitsgruppe gebildet, um zu prüfen, ob entsprechende Prozesse bei der Polizei umgestellt werden könnten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte in der Folge immer wieder bekräftigt, entsprechende Prozesse beim Bundeskriminalamt seien "umgestellt" worden. Ein vertraulicher Bericht der Arbeitsgruppe, der Panorama vorliegt, zeigt jedoch, dass sich Behördenvertreter im Ergebnis gegen das Löschen aussprachen - und die Innenminister dies in einem geheim gehaltenen Beschluss akzeptierten.
"Innenminister sind gefordert"
Domscheit-Berg forderte nun eine "Aufklärung, also eine Veröffentlichung des 'Geheimreports' und eine nachvollziehbare Erklärung, warum man die Löschung so vernachlässigt hat". Sie verlangte von Bundesinnenministerin Faeser, sich bei den Betroffenen von sexualisierter Gewalt zu entschuldigen. In Deutschland gilt das BKA als führend bei Ermittlungen im pädokriminellen Darknet, wofür Faeser als zuständige Ministerin politisch verantwortlich ist. Das BKA ist allerdings nur eine sogenannte Zentralstelle und kann nur auf Anweisung einer Staatsanwaltschaft tätig werden.
Auch jedes Landeskriminalamt könnte Ermittlungen im pädokriminellen Darknet starten und einen entsprechenden Löschprozess aufsetzen. Polizeiarbeit fällt im Grundsatz in die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer. "Wir müssen das dringend abstellen, die Innenminister sind hier gefordert, zu handeln", sagte daher der Landtagsabgeordnete Lechner und ergänzte: "Es kann doch nicht sein, dass wir kinderpornografisches Material im Internet lassen, nur weil unsere Behörden nicht modern aufgestellt sind." NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte im Panorama-Interview auf die Frage, wann das Löschen beginne, bereits angekündigt: "So schnell wie möglich." Er wolle das Thema auf der nächsten Innenministerkonferenz, die im Juni in Bremerhaven stattfinden wird, erneut einbringen.
Einfluss auf Debatte um "Chatkontrolle"?
Der Kampf gegen die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen war bundespolitisch in den vergangenen Jahren insbesondere bezüglich der sogenannten Chatkontrolle diskutiert worden. Anlass gaben Pläne der EU, wonach Betreiber sozialer Netzwerke und Messenger aktiv nach diesen Aufnahmen suchen müssten. Die Pläne sind umstritten, weil private Kommunikation unschuldiger Personen anlasslos überwacht würde und Verschlüsselung absichtlich geschwächt werden müsste, womit IT-Sicherheitsgefahren einhergingen. Das Gesetzesvorhaben findet daher seit Jahren innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten keine Mehrheit, auch die Bundesregierung hatte sich wegen Differenzen in der Ampel-Koalition enthalten. Faeser und das Bundesinnenministerium hatten sich aber koalitionsintern dafür ausgesprochen.
Linus Neumann, einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs, wurde bei netzpolitik.org so zitiert: "In diesen kriminellen Foren sind alle Inhalte strafbar, und es ist ein Leichtes, sie zu löschen. Trotzdem steht die Polizei untätig daneben und fordert stattdessen mit Vorratsdatenspeicherung und Chatkontrolle die Massenüberwachung der unbescholtenen Bevölkerung." Auch Domscheit-Berg kritisierte diese jüngste Verengung der Debatte auf die "Chatkontrolle", weshalb es keinen Grund gebe, das Löschen in den pädokriminellen Darknet-Foren nicht sofort mit ausreichenden Ressourcen anzugehen.