"Zeigen, dass die Opfer nicht hilflos sind"
Staatsanwältin Güde saß den "Boystown"-Hintermänner im Gerichtssaal monatelang gegenüber. Sie ist spezialisiert auf Ermittlungen im Bereich der Pädokriminalität. Was treibt sie an? Und wie geht sie mit der psychologischen Belastung um?
Es ist ein Thema, mit dem sich kaum einer intensiv befassen möchte, weil es so schwer zu ertragen ist: sexualisierte Gewalt an Kindern und die Verbreitung solcher Darstellungen im Internet. Andrea Güde, Staatsanwältin bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, beschäftigt sich damit täglich. Bei der dortigen Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) verantwortet sie Ermittlungen im Bereich der Pädokriminalität.
"Mir ist es ein persönliches Anliegen, solche Taten einer Aufklärung zuzuführen und auch damit zu zeigen, dass die Opfer nicht hilflos sind, dass sie eine Stimme bekommen und solche Taten nicht immer unentdeckt bleiben können", sagt Güde im Interview mit Panorama. "Das gibt mir die Motivation, meine Tätigkeit langfristig durchführen zu können."
"Boystown": Wichtiger Schlag gegen die Szene
Im sogenannten Darknet gibt es große Tauschforen, welche die Vorstellungskraft vieler Menschen übersteigen. Allein die Plattform "Boystown" hatte rund 400.000 Nutzerkonten. Dennoch gilt "Boystown" unter Ermittlern als Beispiel dafür, dass die teils jahrelangen Ermittlungen ihren Sinn haben. 2021 wurde die Plattform abgeschaltet. Vorangegangen waren intensive Ermittlungen des Bundeskriminalamtes und der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main.
Andrea Güde saß den "Boystown"-Hintermänner monatelang im Gerichtssaal gegenüber, war die Sitzungsvertreterin der Generalstaatsanwaltschaft im Prozess. Das Landgericht Frankfurt am Main verhängte Ende 2022 hohe Haftstrafen. "Das war für uns ein großer Erfolg, ein wichtiger Schlag gegen die pädosexuelle Szene. Es ist ganz wichtig zu zeigen, dass es auch im Darknet keinen rechtsfreien Raum gibt", sagt sie. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, alle vier Angeklagten haben Revison eingelegt. Deshalb kann sich Güde auch noch nicht zu den Details des Verfahrens äußern.
Hohe mentale Belastung
Ende 2022 zerschlugen die Ermittler der ZIT den "Boystown"-Nachfolger "Boy Vids 6". Ein weiterer großer Erfolg, der aber auch zeigt, dass die Abschaltung eines Forums den Großteil der pädokriminellen Szene kaum hindert, sofort ein neues Forum im Darknet aufzusetzen. "Das ist ein Phänomen, was natürlich aus Strafverfolgungssicht unglücklich ist", so Güde. "Gleichwohl sind die Strafverfolgungsbehörden weltweit hinterher, der Lage Herr zu werden, dem Einhalt zu gebieten."
Das dafür nötige Lesen von Forenbeiträgen, die juristische Bewertung geteilter Bilder und die detaillierte Rekonstruktionen sexueller Übergriffe von Kinder machen Güdes Arbeit mental sehr belastend. "Man muss sich Ausgleich schaffen. Es ist wie in jedem Bereich: Wenn man anfängt, die Fälle abends im Kopf mit nach Hause zu nehmen, dann wird man es nicht langfristig gesund machen können", betont Güde. "Man hat ein Privatleben, man hat seine Freizeit, was einem auch wieder zeigt, dass nicht alles nur aus kriminellen Handlungen besteht. Das, was wir hier bearbeiten, ist natürlich ein Teil der Gesellschaft, aber nicht der bestimmende Teil."
Wird es immer pädokriminelle Foren geben?
Die Staatsanwältin glaubt nicht, dass wir uns als Gesellschaft damit abfinden sollten, dass es Foren wie "Boystown" immer gibt. "Wie sich die Tatverdächtigen weltweit vernetzen, vernetzen sich auch weltweit die Strafverfolgungsbehörden. Es muss das große Ziel sein, es so unattraktiv für die Tatverdächtigen zu machen, solche Boards zu begründen oder sich diesen anzuschließen, weil damit zu rechnen ist, dass zeitnah ein Schlag durch die Ermittlungsbehörden erfolgt."
Das Interview führte Robert Bongen.