Wie Pädokriminelle private Kinderfotos stehlen

Stand: 22.04.2021 06:00 Uhr

Pädosexuelle bedienen sich massenhaft in sozialen Medien: Sie klauen auf Facebook oder Instagram Kinderfotos von privaten Profilen und laden sie auf sogenannten Kinderpornografie-Seiten hoch.

von Robert Bongen, Benjamin Güldenring, Pia Lenz, Daniel Moßbrucker

Harmlose Alltagsfotos von Kindern, die von Eltern und Kindern in den Sozialen Medien veröffentlicht werden, stehen verstärkt im Fokus von Pädosexuellen. Das hat eine umfangreiche Recherche von Panorama und STRG_F ergeben. Demnach klauen die Täter massenhaft Aufnahmen aus privaten Social Media-Profilen, um sie anschließend in Foren hochzuladen, in denen auch Fotos getauscht werden, die schweren Kindesmissbrauch zeigen. Allein auf einer der größten illegalen Foto-Plattformen für Pädosexuelle stammt mindestens jedes vierte Bild ursprünglich von Facebook oder Instagram. Häufig werden die Aufnahmen obszön kommentiert, manchmal nennen die Täter auch Namen und Alter des Kindes und verlinken sogar die ursprünglichen Social Media-Profile.

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Mehrere Millionen Fotos untersucht

Ermittlungsbehörden und Kinderschutz-Organisationen appellieren deshalb seit Jahren, keine Kinderfotos zu teilen. Doch wie groß das Interesse von Pädosexuellen an solchen  harmlosen Bildern von Mädchen und Jungen etwa beim Sport oder am Strand ist, das war bisher unbekannt. Dem Recherche-Team von Panorama und STRG_F ist es nun erstmals gelungen, die Herkunft von vielen Aufnahmen auf einschlägigen Plattformen zu klären. Dafür hat es automatisiert - und mit rechtlicher Beratung - mehrere Millionen Fotos untersucht. In Hunderttausenden Fällen entdeckte es den Nachweis, dass die Fotos ursprünglich von Facebook- und Instagram-Accounts stammen. Beide Dienste speichern einen eindeutigen Hinweis in jeder Bilddatei - in den sogenannten Metadaten. Dieser Hinweis bleibt bestehen, wenn das Bild an anderer Stelle unverändert hochgeladen wird. In vielen Foren fanden sich auch Anhaltspunkte auf YouTube, TikTok und WhatsApp als Quelle der gestohlenen Bilder.

Begriffserklärung Pädosexualität

Der Begriff "Pädophilie" bezeichnet nur die sexuelle Präferenz, aus der sich Handlungsimpulse ergeben können, aber nicht müssen. Kommt es jedoch zu sexuellen Handlungen - also zu real ausgelebter Sexualität mit Kindern - spricht man nicht mehr von "Pädophilie", sondern von "Pädosexualität". Konkret ausgelebte Pädosexualität bedeutet immer Kindesmissbrauch. Täter, die auf Plattformen Kinderbilder konsumieren und sexualisiert kommentieren, fallen in diese Kategorie.

Ein Beispiel ist die Plattform "Cutie Garden" (deutsch etwa: "Garten der Süßen"), auf der sich auch Pädosexuelle treffen. Auf diesem sogenannten Imageboard können User anonym Fotos von Kindern posten und kommentieren. Das Panorama-Team analysierte 142.381 Fotos und fand bei rund 23,5 Prozent den eindeutigen Hinweis, dass das Foto von Facebook oder Instagram stammt. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen, weil manche User die Hinweise in den Metadaten gezielt verwischen.

Aufnahmen deutscher Kinder stammen von Instagram oder YouTube

Recherche unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen

Im Bereich von sogenannter Kinderpornografie zu recherchieren, ist heikel. Aus ersichtlichen Gründen ist nicht nur der Besitz solcher Aufnahmen strafbar, sondern schon das bloße Ansehen dieser Fotos und Videos. Wer sich in dieser Umgebung aufhält, macht sich schnell strafbar. Gleichwohl hat die Öffentlichkeit ein hohes Interesse daran, über solche Gefahren für das Kindeswohl unabhängig und anschaulich informiert zu werden.
Für journalistische Recherchen kann es daher Ausnahmen geben, wenn sie allein der Erfüllung beruflicher Pflichten dienen. Panorama mietete daher für mehrere Monate einen streng abgeschirmten Raum in der Bundespressekonferenz in Berlin an, zu dem nur ausgewählte Personen Zutritt hatten. Alle Computer und Server waren mehrfach verschlüsselt, um auszuschließen, dass unbefugte Personen in Besitz des Materials kommen. Ziel war es, die scheinbar harmlosen Alltagsfotos von Kindern herunterzuladen, um anschließend ihre Herkunft zu erklären. Illegales Material, insbesondere Missbrauchsfotos und -videos, wurde nicht heruntergeladen.
Datenjournalist Daniel Moßbrucker über die medienrechtlichen Hintergründe der Panorama-Kinderfoto-Recherche.

Auch in einschlägigen Foren für Missbrauchsdarstellungen im so genannten Darknet entdeckte das Recherche-Team zahlreiche Alltagsaufnahmen von Kindern. Dort werden sie in besondere Kategorien wie "Non Nude" ("nicht nackt") hochgeladen. Die Reporterinnen und Reporter konnten gleich mehrere Fälle deutscher Kinder identifizieren, deren Aufnahmen ursprünglich von Instagram oder YouTube stammten. Darunter ein Video, das zwei Jungen beim harmlosen Versteckspiel zeigt. In den Kommentaren fantasierten User über Analverkehr mit den Kindern, einer schrieb: "Und dann mache ich sie zu meinen Sex-Sklaven." Die jeweils betroffenen Eltern, konfrontiert mit den Rechercheergebnissen, zeigten sich erschüttert und löschten teilweise ihre Social Media-Profile.

Nicht nur im Darknet

Den Panorama-Recherchen zufolge helfen Eltern und Jugendliche den Pädosexuellen mit ihren vielen geposteten harmlosen Aufnahmen sogar unfreiwillig dabei, an neue Missbrauchsfotos zu kommen: denn wer als User neue Bilder in den einschlägigen Foren postet, zum Beispiel, nachdem er sie in sozialen Netzwerken geklaut hat, erhält mehr Anerkennung und mehr Bilder von anderen Usern. User zahlen in den Foren nicht mit Geld, sondern mit Fotos und Videos, die sie anderen wiederum zur Verfügung stellen.

Ein besonderer Fall ist die russische Foto-Plattform "imgsrc.ru", die über das gewöhnliche Internet erreichbar ist - und augenscheinlich von Pädosexuellen für ihre Zwecke genutzt wird. Dort identifizierten die Reporterinnen und Reporter in der Kategorie "Kids" über drei Millionen Aufnahmen, die meisten davon offensichtlich geklaut. Den Ergebnissen der Panorama-Analyse nach wurden sie schon über 14 Milliarden mal geklickt, häufiger als die Bilder aller anderen Kategorien - wie etwa Natur-, Auto- und Städtefotos - zusammen. Auffallend viele User kommentieren die Fotos auf Deutsch. So schrieb ein Nutzer unter ein Bild, das von der Seite eines sächsischen Sportvereins gezogen wurde und ein junges Mädchen bei einer Turnübung zeigt: "Diesen Blick hat sie auch, wenn ich ihn ihr bis zum Anschlag reinschieben würde."

Gezielte Suche nach Alltagsbildern

Andreas Link von jugendschutz.net © NDR /ARD Foto: Screenshot
Wenn Eltern und Jugendliche Fotos im Internet posten, dann machten sie es Tätern oft sehr einfach, diese für ihre Zwecke zu nutzen, so Andreas Link von jugendschutz.net.

"Pädosexuelle sind Jäger und Sammler, die gezielt solche Alltagsbilder suchen. Und wenn Eltern und Jugendliche diese Fotos im Internet posten, dann machen sie es den Tätern oft sehr einfach, diese für ihre Zwecke zu nutzen", warnt Andreas Link von jugendschutz.net, dem gemeinsamen Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für Jugendschutz im Internet. "Einmal im Netz sind sie dort für immer verfügbar." Panorama entdeckte einige Fälle, in denen Bilder sogar von Social Media-Profilen kopiert wurden, die gar nicht öffentlich einsehbar sind. Dies könnte bedeuten, dass die Opfer unter ihren Freunden und Followern Personen haben, die die Fotos ohne ihr Wissen kopieren.

Facebook und Instagram verwiesen auf Panorama-Nachfrage auf die angebotenen Privatsphäre-Einstellungen: "Wir unterstützen Eltern dabei zu entscheiden, mit wem sie ihre Alltagsbilder teilen möchten." Das Herunterladen von Userdaten verstoße generell gegen die Richtlinien. Man verfüge darüber hinaus über Technologie, die proaktiv Nacktheit und ausbeuterische Inhalte von Kindern beim Hochladen erkenne. YouTube teilte mit, dass man stark in Technologie investiere, die Kindern und Familien den bestmöglichen Schutz biete.

Am besten gar keine Bilder ins offene Netz stellen

Julia Bussweiler © NDR /ARD Foto: Screenshot
Julia Bussweiler, Staatsanwältin bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität (ZIT).

Den Ermittlungsbehörden ist der Diebstahl von Alltagsfotos von Kindern aus sozialen Medien bekannt: "Es ist erschreckend, wie häufig solche Alltagsbilder missbraucht und gegen den Willen der Abgebildeten verwendet werden", sagt Staatsanwältin Julia Bussweiler von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) im Interview mit Panorama. Dennoch würden die Behörden nur in den seltensten Fällen aktiv, wenn sie Alltagsbilder auf Plattformen entdecken, auf denen auch Darstellungen von sexueller Gewalt gegen Kinder geteilt werden. Denn die Aufnahmen an sich sind nicht strafbar; strafrechtlich relevant sind hingegen die Kommentare, die etwa eine sexuelle Handlung beschreiben. Darüber hinaus könnte jeder Abgebildete das Recht am eigenen Bild geltend machen. "Dafür bräuchte es eine Anzeige der Eltern, aber die wissen zumeist gar nicht, dass ihre Fotos geklaut und in entsprechende Plattformen hochgeladen wurden. Das ist ein Problem", erklärt Bussweiler. Der sicherste Schutz für Kinder und Jugendliche sei es deshalb, gar keine Bilder offen ins Netz zu stellen.

Die jahrelangen und aufwändigen Recherchen begannen bereits vor der Corona-Pandemie. Dies erklärt, warum die Autor*innen bisweilen keine Masken tragen.

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Geklaut: Private Kinderfotos auf Kinderpornografie-Seiten

Der Panorama-Beitrag vom 22. April 2021 als PDF-Dokument zum Download. Download (114 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.04.2021 | 21:45 Uhr

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