Kinderschützer zu Panorama-Recherche: "Ohrfeige für Betroffene"
Kinderschützer und Kinderpsychologen fordern als Konsequenz einer Panorama-Recherche, Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Netz systematisch entfernen zu lassen.
Aufgrund der Recherchen von Panorama und STRG_F sprechen Kinder- und Jugendpsychologen sowie der Kinderschutzbund in einer gemeinsamen Presseerklärung von einer "Ohrfeige für die Betroffenen" sowie einer "Katastrophe für die Prävention seelischer Not". Sie fordern Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt (BKA) nachdrücklich auf, das Löschen von Bildern, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, systematisch durchzuführen. Die Recherchen hatten ergeben, dass diese Aufnahmen oft jahrelang im Netz bleiben, obwohl Ermittlungsbehörden sie entfernen lassen könnten.
"Jeder im Netz gelöschte Inhalt von Kindesmissbrauch ist wichtig für die Kriminalprävention und für die Prävention seelischer Belastungen bei den Betroffenen", heißt es in der Erklärung des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin Baden-Württemberg, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) sowie des Kinderschutzbundes (Bund).
Dateien weiter online abrufbar
Die Recherchen hatten unter anderem gezeigt, dass viele Missbrauchsbilder der Pädokriminellen-Plattform "Boystown", die deutsche Behörden im April 2021 im sogenannten Darknet abgeschaltet hatten, weiterhin online abrufbar sind. Zwar hatten die Ermittlerinnen und Ermittler vier Drahtzieher von "Boystown" festgenommen, die Fotos und Videos der Plattform jedoch nicht bei den entsprechenden Speicherdiensten löschen lassen. Dabei könnten schon mit überschaubarem Aufwand in kurzer Zeit riesige Mengen Missbrauchsaufnahmen in den Darknet-Foren entfernt werden, wie ein Team von Panorama und STRG_F gemeinsam mit Kollegen des Magazins "Der Spiegel" herausfand.
Dies hängt mit der besonderen Online-Architektur von Pädokriminellen-Netzwerken wie "Boystown" zusammen. Zwar nutzen sie zum Betreiben ihrer Plattformen das anonyme Darknet, aber die Datenmengen ihrer Aufnahmen sind zu groß, um dort gespeichert zu werden. Daher wählen die Pädokriminellen stattdessen Speicherdienste im gewöhnlichen Internet, um ihr Material dort verschlüsselt hochzuladen. Im Darknet-Forum teilen sie dann nur einen entsprechenden Download-Link.
In einem Experiment sammelte das Recherche-Team im derzeit größten Forum rund 80.000 Links ein und schickte diese an die jeweiligen Speicherdienste mit dem Hinweis, dass sich dahinter Missbrauchs-Aufnahmen verbergen. Ergebnis: Alle Dienste - ob inländisch oder ausländisch - entfernten die Inhalte binnen Stunden oder maximal zwei Tagen. Insgesamt 13,55 Terabyte wurden so gelöscht, was einem Jahr rund um die Uhr Video in hochauflösender Qualität entspricht.
Lebenslange Folgen
"Das hier vom BKA gewählte Vorgehen entspräche etwa der Praxis, Drogendealer zwar dingfest zu machen, das Rauschgift aber nicht zu beschlagnahmen und zum weiteren Verkauf auf dem Markt zu lassen", heißt es in der Erklärung der Verbände. "Dieser Vergleich mag hinken, doch er unterstreicht den Charakter organisierter Kriminalität, den der Vertrieb von Bildmaterial von Kindesmissbrauch hat." Solche Kriminalität gelte es, auf jeder Ebene zu bekämpfen. Gerade wenn berechtigter Weise die Intensität der Strafverfolgung in diesem Bereich gesteigert worden sei und weiter gesteigert werden müsse, sollten die Behörden auch alles dafür tun, um das entsprechende Material aus dem Netz zu entfernen. Für strafprozessuale Vorgänge könne es ja separat asserviert werden.
Die Kinderschützer und -psychologen betonen, dass Kinder und Jugendliche, die sexuell missbraucht wurden, häufig lebenslang mit den psychischen, sozialen und körperlichen Folgen zu kämpfen haben. "Dass Bilder ihrer schrecklichen Erlebnisse weiter im Internet abrufbar sind, ist extrem belastend und erschwert die Bewältigung des Erlebten. Manche Betroffene sprechen von erneutem Missbrauch, sobald jemand das Bildmaterial ihres Missbrauchs ansieht." Zudem sei aus Tätervernehmungen bekannt, dass dieses Material von Kindesmissbrauch eine anstiftende Wirkung habe. Somit könnten durch systematisches Löschen möglicherweise im Sinne der polizeilichen Kriminalprävention neue Straftaten verhindert werden.