Hakenkreuze und Gewaltvideos: Was Kinder posten
Nazi-Symbole, Gewalt und Kinderpornografie: Immer häufiger landen strafrechtlich relevante Inhalte auf den Handys von Kindern und Jugendlichen. Teilen sie diese, begehen sie selbst eine Straftat.
Wieder einmal muss Schulleiterin Silke Müller die Polizei an ihrer Schule begrüßen. Der Grund: Schülerinnen und Schüler haben mehrere brutale Videos über Chat-Gruppen geteilt. Auf einem erscheint der Selbstmord eines Mannes, der sich ein Gewehr unter sein Kinn hält. "Die Kinder haben es umschrieben mit 'dann wird es ziemlich rot'", berichtet die Direktorin dem Ermittler Michael Stirnat von der Polizei Wildeshausen. Auf die Frage des Ermittlers, wie viele Kinder es angesehen haben, antwortet sie: "Die Kinder sagen: alle! Und wenn sie sagen 'alle', dann meinen sie auch alle!" Alle, das heißt Kinder zwischen zehn und 16 Jahren.
Häufig tauchen problematische Inhalte auf
Rund 800 Kinder und Jugendliche besuchen die Waldschule in Hatten, eine sogenannte Digitalschule. Tablets gehören hier zum Unterricht, Handys sind an der Schule verboten. Neben der technischen Ausstattung geht es Schulleiterin Müller aber auch um einen verantwortungsvollen Umgang mit sozialen Netzwerken. Es beschäftigt sie, was in Schülerchats geteilt wird. Denn das Selbstmord-Video ist kein Einzelfall, häufig tauchen problematische Inhalte auf. Nicht immer sind es Gewaltvideos. Auch pornografische, antisemitische oder rechtsextreme Bildchen, sogenannte Sticker, landen in den WhatsApp-Gruppen. Weshalb werden solche Inhalte überhaupt geteilt? "Da macht sich Hilflosigkeit breit", sagt Müller. "Mir fehlen die Antworten auf ganz viele Fragen, wie zum Beispiel: Was ist jetzt richtig? Trotzdem sehe ich die Notwendigkeit einzuschreiten. Ich gebe nicht auf, weil wir die Möglichkeit haben, den Kindern was mitzugeben." Ein Problem, das es so an vielen Schulen gibt, doch offen darüber sprechen will kaum jemand.
Die Schulleiterin geht offen mit dem Thema um. Schon vor Corona durften wir sie an ihrer Schule mit der Kamera begleiten. Auch in dieser Zeit ist sie immer wieder mit brutalen Videos und Bildern konfrontiert. Meist kann Müller sich die Aufnahmen nicht einmal bis zum Ende anschauen, zu grausam findet sie das Gezeigte. Doch was sie und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen schockt, scheint für viele Kinder normal zu sein. Manchen fehlt auch das Wissen darüber, was sie überhaupt teilen dürfen.
Immer wieder teilen Kinder Nazi-Sticker und Pornografie
Das Problem ist allgegenwärtig in Deutschlands Schulen. Die Anwältin Gesa Stückmann aus Rostock klärt seit Jahren darüber auf, was im Netz erlaubt ist - und was nicht. Denn vielen Schülerinnen und Schülern sei nicht klar, dass Hakenkreuz und Hitlergruß strafrechtlich verfolgt werden könnten. Zwar sind in Deutschland Jugendliche erst ab 14 Jahren strafmündig, doch sie will, dass sich die Kinder frühzeitig darüber klar werden, was sie da möglicherweise verschicken: "Es reicht nicht mehr, ihnen mitzugeben, ihr dürft nicht hauen, nicht klauen, nichts kaputtmachen und nicht bei Rot über die Ampel gehen, sondern sie müssen alles wissen, was wir Erwachsenen auch wissen müssen!" Technik, die eigentlich für Erwachsene gedacht sei, liege heute ja auch in Kinderhänden.
Auf ihrem Computer hat Stückmann über die Jahre gesammelt, was alles in Schülergruppen auftaucht. Das Schema der NS-Sticker ist fast immer gleich: Die Verbrechen der Nazis werden ins Lächerliche gezogen und verlieren so scheinbar den Schrecken. "Das ist einfach die Masse, die es macht", gibt Stückmann zu bedenken, "wenn man das immer öfter liest, dann sinkt einfach die Hemmschwelle."
Neuer "Trend": Kinderpornografie auf Schülerhandys
Dass Hemmschwellen sinken, zeigt sich auch an einem anderen "Trend": Die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main beobachtet seit etwa drei Jahren, dass immer häufiger auch kinderpornografische Bilder auf Schülerhandys landen. Das BKA registrierte 2018 rund 1.700 Kinder und Jugendliche unter 21 Jahren, die kinderpornografische Schriften verbreitet, erworben, besessen oder hergestellt hatten. 2019 waren es knapp 4.900 - nahezu eine Verdreifachung der Fälle.
Auch an der Waldschule Hatten gelangte ein solches kinderpornografisches Bild in die Schülerchats. Innerhalb weniger Tage verbreitete es sich auf den Handys Hunderter Schülerinnen und Schüler. Als die Sache aufflog, reagierte Schulleiterin Silke Müller sofort: Sie suspendierte die Schüler und kontaktierte die Polizei.
Warum werden solche Inhalte weitergeleitet?
Warum aber hat sich keines der Kinder an die Schulleitung gewandt? "Als sie es geschickt bekommen haben, war es den meisten egal", erzählt Justin. Der Schüler versucht zu erklären, weshalb es für sie einen Unterschied zwischen der digitalen und der realen Welt gibt. "Man denkt da nicht 24 Stunden drüber nach: Was kann das Bild auslösen?" Und seine Mitschülerin Enya ergänzt, ein Bild sei eben nur ein Bild. Es gebe einen Unterschied, ob man wirklich dabei war oder nicht.
Doch die Verantwortung liegt nicht allein auf Seiten von Schule und Schülern. Was macht eigentlich WhatsApp, um das Senden von problematischen Bildern zu verhindern? Auf Nachfrage erklärt uns das Unternehmen, das Versenden verfassungsfeindlicher und kinderpornografischer Inhalte sei inakzeptabel. Jeden Monat würden daher 250.000 Nutzerkonten gesperrt. Man ermutige seine Nutzer, problematische Inhalte umgehend zu melden.
Eltern mit ins Boot holen
Für Schulleiterin Müller ist klar: Auch die Eltern müssen mit ins Boot. Nur gemeinsam sei es möglich, den Kindern eine digitale Ethik zu vermitteln: "Dieses Kommunizieren in den sozialen Netzwerken ist ein Thema unserer Zeit, wir müssen da ran. Das ist ein Bildungsauftrag und ein Erziehungsauftrag!" Hier in Hatten hätte die ganze Sache auch positive Seiten, sagt Müller. Ihre Schülerinnen und Schüler hätten viel gelernt. Sie seien jetzt weiter als mancher Erwachsener.