Fake-News erkennen: Panorama macht den Schul-Test
Das Bild eines mutierten Gänseblümchens, gepostet auf der Fotoplattform "Imgur" im Internet. Überschrift: "Fukushima Nuclear Flowers". Was denken Menschen, wenn sie dieses Bild sehen?
"Man sieht die Folgeschäden von dem Unfall, der in Fukushima passiert ist", sagt Lukas Bahr, 18 Jahre alt*. "Bisschen genetisch defekt", meint Martina Fättkenhauer, Lehrerin für Weltkunde und Wirtschaftslehre an der JSC Thesdorf bei Hamburg.
Zeigen Bilder, was sie vorgeben zu zeigen?
Doch zeigt das Bild wirklich Blumen aus der Nähe des Atomkraftwerks Fukushima in Japan, die durch die Strahlung verändert wurden? Wir wissen es nicht. Zwar sagt uns der Urheber, ein Japaner, er habe die Aufnahme etwa 120 Kilometer entfernt von Fukushima in Nasushiobara aufgenommen. Er sagt allerdings auch explizit, dass er nicht weiß, ob die Veränderung mit der Strahlung im Zusammenhang steht. Es kann sich also um eine natürliche Mutation halten. Es könnte sogar in Nachbars Garten aufgenommen worden sein. Trotzdem nehmen die meisten Menschen an, dass Überschrift und Foto zusammengehören.
"Die Fotoseite Imgur ist für mich keine seriöse Quelle. Heutzutage kriegt das mit Photoshop eigentlich jeder hin", sagt hingegen Kai Philipp Almsted, 19 Jahre alt. Er würde dem Bild keinen Glauben schenken. Die Quelle macht für ihn den Unterschied.
Informationen erreichen uns ungefiltert - tausendfach
Was kann ich glauben? Wie kann ich Informationen und Bilder überprüfen? Welche Quelle ist vertrauenswürdig? Fähigkeiten, die früher nur Journalisten brauchten, muss heute jeder beherrschen. Push-Nachrichten auf dem Handy, Infoscreens in der U-Bahn, Mails, Tweets, Posts: Heute sortieren nur noch selten Journalisten vor, was uns an Informationen erreicht.
Denn Regierungen, Parteien, Unternehmen oder auch Sportvereine - sie alle betreiben eigene Medien, twittern, senden. Ihre Informationen gehen ungeprüft in die Welt. Seitdem jeder Blogs, Videos und Instagramkanäle bespielen kann, wollen viele Gruppen ihre eigene Sicht auf die Welt lieber direkt unter das Volk bringen. Zeitungen und Rundfunk sind kein Filter mehr. Kritische Journalisten werden so umgangen. Somit gehen Einordnung und Gegenüberstellung von Fakten und Meinungen verloren. Ob die Aussagen im russischen Staatssender stimmen, der Facebook-Kommentar glaubwürdig ist, muss der Nutzer selbst beurteilen. Das ist für ihn jedoch meist unmöglich. Er ist kein Journalist - hat nicht mehrere Stunden am Tag, um andere Sichtweisen zu suchen, zu prüfen, auszuwählen und zu gewichten. Journalisten müssen sich an Regeln und Standards halten, an Gesetze. Sie werden gerügt, korrigiert oder gar verklagt. Anonyme Schreiber sind nicht greifbar und können für falsche Informationen nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Herausforderung Medienkompetenz
Wir haben 34 Schülern zwischen 14 und 20 Jahren aus zwei Gesamtschulen in Hamburg und Schleswig-Holstein verschiedene Aufgaben vorgelegt. Die Beispiele sind aus dem Alltag gegriffen. Die meisten Jugendlichen schauen zwar Youtube und kommunizieren über Snapchat oder Instagram, aber auch klassische Medien wie Tagesschau und "Spiegel Online" nutzen sie - meist durch Lehrer und Lehrerinnen oder Eltern motiviert. Auch Lehrende beantworten unsere Aufgaben. Sie sind diejenigen, die Schülern Quellenkritik beibringen müssen; ihnen erklären, dass Journalisten Informationen prüfen und in einer Demokratie eine Kontrollfunktion innehaben.
"Man muss mit den Geräten umgehen und dann noch sehen: Ist das eine seriöse Quelle, ist es keine? Wer hat das gepostet? Man hat keine Zeit, es richtig zu machen, also macht man es automatisch schnell. Gleichzeitig fehlt einem oft das Wissen, um Sachen richtig einschätzen zu können", bestätigt Anette Fiedler, Lehrerin für Französisch und Erdkunde an der JSC Thesdorf. Sie empfindet es als Gefahr und Einfallstor für populistische Politik, wenn Mediennutzer auf dubiose Quellen hereinfallen.
Fokus liegt bisher auf Technik
Das Problem sehen Lehrer wie Schüler. Auch Schulleiter sehen die Digitalisierung laut Schulleitungsmonitor als Herausforderung an. 80 Prozent von ihnen meinen, dass Lehrkräfte zu wenig Medienkompetenz besäßen. Jeder zweite Schulleiter empfindet es zudem als große Herausforderung, dass Lehrer Vorbehalte gegenüber digitalen Medien hätten.
Doch beim Thema Digitalisierung geht es der Politik meist um Wlan, komplizierte Technik und das Handy im Klassenzimmer. Wie beim zuletzt viel diskutierten Digitalpakt. Auch die Strategie der Kultusministerkonferenz "Bildung in der digitalen Welt" streift nur am Rande, dass Schüler lernen sollten, Informationen einzuordnen. Studien zu dem Thema fehlen - nur eine Untersuchung der Stanford University legt nahe, dass es Jugendlichen schwer fällt, sich in der Medienwelt zu Recht zu finden. Deswegen machen wir diesen nicht repräsentativen Test mit Schülern der 9. Und 10. Klasse in der Stadtteilschule Blankenese in Hamburg sowie Jugendlichen des 11. Und 13. Jahrgangs der JSC Thesdorf in Pinneberg.
Handwerkszeug fehlt
Alle Teilnehmer empfinden es als wichtig, erkennen zu können, ob ein Text oder Video unabhängig und professionell gestaltet ist, oder ob es sich um Meinung oder gar Werbung handelt. Sie wollen nicht auf Falschmeldungen hereinfallen oder von Bildern getäuscht werden. "Ich glaube, es ist sehr wichtig, solche Kompetenzen zu haben. Denn es ist sehr einfach, falsche Informationen zu verbreiten. Dadurch kann schnell Meinung entstehen, die gefährlich ist, weil sie nicht auf Fakten basiert", sagt der angehende Abiturient Luca Seyfert.
Doch vielen fehlen die Kniffe, im Alltag unbekannte Quellen zu überprüfen. Und auch einigen Lehrerinnen und Lehrern fehlt das Problembewusstsein dafür, wie wichtig es ist, richtig und falsch, Fakt und Täuschung auseinanderhalten zu können.
*Altersangaben beziehen sich auf den Zeitpunkt der Dreharbeiten.