Panorama - die Reporter

Dienstag, 02. April 2019, 21:15 bis 21:45 Uhr
Donnerstag, 04. April 2019, 02:15 bis 02:45 Uhr

Reporterin Simone Horst wurde als Jugendliche zum Mobbing-Opfer - genau wie etwa jedes sechste Schulkind. Heute fragt sie sich: Wie entsteht Mobbing? Warum wird jemand zum Opfer - was kann man dagegen tun? Sie hat sich auf eine schwierige und manchmal belastende Spurensuche in der Vergangenheit begeben.

Reporterin Simone Horst hält ein Kinderfoto von sich in die Kamera. © NDR Foto: Screenshot
Das alte Ich: Warum wurde Simone Horst als Schülerin zum Mobbing-Opfer?

Alles begann voller Zuversicht. Als ich 1993 in die fünfte Klasse des Gymnasiums kam, war ich ein sehr selbstbewusstes Mädchen. Der Schulwechsel bereitete mir kein Kopfzerbrechen. Ich fand schnell neue Freunde und wurde Teil der "coolen" Clique der Klasse. Doch irgendwann änderte sich etwas. Meine beste Freundin Johanna schnitt mich. Die anderen Mädchen hörten auf zu reden, wenn ich dazu kam. Sie sperrten sich in der Schultoilette ein, um etwas zu besprechen. Sie verzogen das Gesicht, wenn ich dazukam. Ich durfte nicht neben ihnen sitzen.

Ich kannte so ein Verhalten nicht und sprach Johanna mehrfach darauf an. Ich verstand einfach nicht, was das sollte. Ihre Antworten waren schwammig und lieferten keine wirklichen Gründe. Mit der Zeit wurde es immer schlimmer - langsam, aber hartnäckig.

Der Anti-Simone-Club

Mobbing © NDR Foto: Screenshot
Beleidigen, bewerfen, ausgrenzen - Simone Horst erlebte mehrere Facetten des Mobbings.

Jeder Schultag wurde ein neuer Spießrutenlauf. Es fing schon auf dem Weg an. Ich fuhr normalerweise mit einer Freundin gemeinsam mit dem Fahrrad zur Schule. Eines Tages wartete sie nicht mehr auf mich. Wenn ich in den Klassenraum kam, standen Dinge über mich an der Tafel. Ich fand jeden Tag Zettel mit Beleidigungen in der Schultasche und wurde auf dem Schulhof mit Müll beworfen. Ich wurde zu einer Geburtstagsfeier eingeladen, nur um dort vor allen bloß gestellt zu werden. In der Klasse ging ein Zettel herum, auf dem alle unterschreiben sollten - die Mitgliederliste des "Anti-Simone-Club". Das ganze hielt ein Jahr an.

Was tun?

"Warum habt ihr nichts getan?" fragen viele. Wir haben etwas getan. Von Anfang an habe ich meinen Eltern alles erzählt. Meine Mutter sprach mit den befreundeten Eltern eines der Mädchen darüber. Am nächsten Tag war alles noch viel schlimmer. Ich war die Petze. Darum trauten wir uns nicht, auch noch die Lehrerin einzuweihen. Auf einem Elternsprechtag, Jahre später, erzählte meine Lehrerin allerdings, dass sie das durchaus mitbekommen hatte. Sie habe die Mädchen auch angesprochen. Ob das geholfen hat, kann ich nicht beurteilen. Mit mir hat sie nie darüber geredet.

Meine Geschichte als Film

Simone Horst blickt auf ein Gebäude © NDR Foto: Screenshot
Bei Vertretern ihrer ehemaligen Schule stößt die Reporterin mit dem Thema Mobbing auf Widerstand.

Seit ich beim NDR arbeite, will ich einen Film über Mobbing machen. Ich will anderen Opfern zeigen, dass es ein Leben danach gibt. Ich will den Tätern zeigen, dass Mobbing tiefe Spuren hinterlässt, denn noch heute beeinflussen mich die Erfahrungen von damals - besonders im Umgang mit Freunden. Die Redaktion wollte das Thema machen, unter der Voraussetzung, dass ich meine eigene Geschichte erzähle und meine ehemaligen Mobber konfrontiere. Wollte ich wirklich so etwas Privates vor einer Kamera erzählen? Wollte ich die Mädchen von früher wirklich ansprechen? Andererseits, wenn nur ein Jungendlicher, der in der gleichen Situation ist, diesen Film sehen würde und sich dadurch besser fühlt, dann hätte es sich schon gelohnt. Meine Mutter erklärte sich ebenfalls bereit dazu mit mir vor einer Kamera darüber zu reden. Bei meiner damaligen Lehrerin und meiner Schule stieß ich auf Widerstand.

Doch die wichtigste Frage war: Würden meine ehemaligen Mobber mit mir reden? Jede Anfrage bereitete mir schlaflose Nächte und Herzrasen. Am Ende würde ich mit drei Mädchen von damals reden - auch der damaligen Anführerin. Keine wollte vor die Kamera, aber ich durfte mit ihnen telefonieren. Und sie gaben mir einen Einblick in die "andere Seite".

Das Opfer hat niemals Schuld

Simone Horst telefoniert © NDR Foto: Screenshot
Telefonisch spricht Simone Horst mit den Menschen, die zugaben, sie früher gemobbt zu haben.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich aus diesen Telefonaten für mich gezogen habe: Das Mobbing hatte nichts mit mir als Person zu tun. Das "typische Opfer" gibt es nicht. Es kann jeden treffen. Meine ehemaligen Mitschülerinnen erzählen mir, dass alles von der Anführerin der Gruppe ausging. Der Grund? Anscheinend war ich zu selbstbewusst und wurde als Bedrohung angesehen. Aber warum haben alle meine Freundinnen mitgemacht? Warum hat keiner sich dagegen gewehrt? Im Gegenteil, sie haben sogar die "Drecksarbeit" übernommen, mich aus der Gruppe zu mobben. Die Antwort ist einfach: Angst. Sie hatten Angst selbst zum Opfer zu werden. Angst allein zu sein. Es ist frustrierend zu wissen, dass keiner den Mut hatte sich auf meine Seite zu stellen. Aber zu wissen, dass ich nichts falsch gemacht habe, hilft tatsächlich. Ich muss mir nicht mehr die Frage stellen: Was stimmt mit mir nicht? Auch die Tatsache, dass meine Mobber diese Zeit nicht vergessen haben, sondern noch darüber nachdenken, beruhigt mich auf eine seltsame Weise.

Lehrer sind immer noch nicht vorbereitet

"Aber was kann man denn jetzt dagegen tun?" Diese Frage höre ich nun immer wieder. Wir haben uns viel mit Mobbing-Theorien beschäftigt und mit Experten gesprochen. Alle sagen, der Betroffene sollte nicht schweigen. Das "Opfer" sollte sich jemandem anvertrauen und sich Unterstützung holen. Letztendlich muss das Problem von der Schule gelöst werden. Natürlich weitet sich Mobbing heute durch Whatsapp-Gruppen und Social Media auch auf den privaten Bereich aus. Es findet nicht mehr ausschließlich in der Schule statt. Trotzdem ist die Schule immer noch der Ort, an dem Jugendliche zusammengewürfelt werden und miteinander auskommen müssen, ob sie wollen oder nicht.

Und hier liegt leider auch das Problem. Während der Dreharbeiten spreche ich mit vielen Lehrern aus meinem Bekanntenkreis und die meisten wurden nie auf das Thema Mobbing vorbereitet. Sie können nicht erkennen, wann es nur ein Konflikt ist und wann Mobbing? Und falls es mal einen Fall gäbe, sie wüssten nicht was sie tun sollten. Eine Umfrage an deutschen Universitäten bestätigt, dass es in den meisten Lehramtsstudiengängen keine Pflichtveranstaltung gibt, die sich ausschließlich mit Mobbing beschäftigt.

Verarbeiten – was heißt das?

Simone Horst © NDR Foto: Screenshot
Eine Reise in die Vergangenheit: NDR Reporterin Simone Horst setzt sich mit dem Thema Mobbing in ihrer Schulzeit auseinander.

"Konntest du denn jetzt damit abschließen?", wollen alle Zuschauer des Films von mir wissen. Was heißt denn abschließen überhaupt? Ich habe gelernt, dass Mobbing nicht nur Spuren bei den Opfern hinterlässt, sondern auch bei den Tätern. Meine ehemaligen Mobber haben immer noch ein schlechtes Gewissen und wussten auch damals schon, dass sie etwas Falsches tun. Außerdem habe ich gelernt, dass Menschen anderen Menschen wehtun, weil sie selbst Probleme haben oder Angst, sich den Tätern in den Weg zu stellen.

Das hilft mir, die Geschehnisse von damals besser zu verstehen. Aber natürlich kann ich nicht alles einfach vergessen. Unsere Erfahrungen machen uns zu den Menschen, die wir heute sind. Es gibt Dinge, an denen ich arbeiten muss. Wenn sich zwei Freunde von mir treffen, ohne mir davon zu erzählen, sollte ich mich nicht sofort fragen, ob sie mich nicht dabeihaben wollen, ob sie über mich lästern, oder ob sie mich blöd finden. Es wird dauern, bis diese Fragen in meinem Kopf aufhören, aber ich arbeite daran.

Andererseits haben mich meine Erfahrungen auch zu einem empathischeren Menschen gemacht. Und zu jemandem, der nicht einfach anderen hinterherläuft und deren Meinung übernimmt, sondern zu jemandem, der alles hinterfragt. Und daran möchte ich gar nichts ändern.

Weitere Informationen
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Redaktion
Schiffermueller, Dietmar

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