"Einen typischen Mobber gibt es nicht"
Holger Hülsemann ist Schulsozialpädagoge an einem Hamburger Gymnasium. Dort ist er für die Mobbing-Prävention zuständig. Wir haben ihn gefragt, wie sich Mobbing verhindern lässt.
Was ist überhaupt Mobbing?
Holger Hülsemann: Bei Mobbing wird der Betroffene von einer Gruppe zum Beispiel ausgegrenzt, beim Sport nicht gewählt, sein Name wird verunglimpft und manchmal kommt es sogar zu körperlichen Angriffen. Mobbing ist immer ausgehend von einer Gruppe gegen eine einzelne Person gerichtet und geht über einen längeren Zeitraum. Bei einem Tag spricht man von einem Konflikt, der sich leichter lösen lässt. Mobbing dagegen geht über einen längeren Zeitraum und ist viel schwieriger zu beenden.
Gibt es einen typischen Täter beim Mobbing?
Hülsemann: Einen typischen Täter gibt es für mich nicht. Ich kann nicht sagen, ein Sportler, ein Einser-Kandidat, das ist der typische Mobber. Manchmal erfahre ich, dass bestimmte Schüler andere mobben, von denen ich das nie gedacht hätte. Es gibt auf jeden Fall Dynamiken. Das kann mit einem Gerücht anfangen oder dass du im Unterricht einen Fehler gemacht hast. So kann eine Dynamik in der Klassengemeinschaft entstehen. Vielfach spielt dann auch Angst eine Rolle. Du willst dazugehören und hast deshalb Angst, wenn du einem Betroffenen hilfst, dass du dann der Nächste bist.
Wie versuchen Sie Klassen über Mobbing aufzuklären?
Hülsemann: Ich versuche erstmal, die verschiedenen Rollen in einer Klasse zu erklären. Eltern und Schüler gehen eigentlich davon aus, dass es nur zwei gibt: den Betroffenen und den Täter. Das stimmt nicht. Wenn Mobbing in einer Klasse auftritt, gibt es keine Unbeteiligten. Es gibt die, die den Mobber unterstützen. Dann gibt es die, die den Betroffenen unterstützen und sich davorstellen, wenn er angegriffen wird. Darüber hinaus gibt es natürlich auch die, die sich aus allem komplett raushalten, nichts mitbekommen wollen. Wir machen in solchen Unterrichtseinheiten auch Rollenspiele, damit die Schüler sich in die verschiedenen Rollen reinversetzen, auch in den Betroffenen.
Was würden Sie Eltern raten, die an ihrer Schule keinen Schulsozialarbeiter haben, den sie ansprechen können?
Hülsemann: Wenn man als Eltern feststellt, dass das eigene Kind nicht mehr in die Schule will, Bauchschmerzen hat oder vielleicht sogar Depressionen, dann würde ich versuchen, das in der Schule zu besprechen. Das ist der Ort, wo die Schüler acht Stunden am Tag sind. Deshalb muss das Problem auch meistens dort gelöst werden. Eine gute Möglichkeit ist auch, sich über den Elternrat der Klasse an den schulischen Beratungsdienst oder die Abteilungsleitung der Schule zu wenden. Hier erstmal auf den konkreten Fall eingehen und zum Beispiel vorschlagen, dass Lehrer doch eine Fortbildung zum Thema Mobbing/ Cybermobbing besuchen können. Es gibt außerdem die Beratungsstelle Gewaltprävention der BSB in Hamburg oder im Internet die Seite klicksafe.de für mehr Sicherheit im Netz, da können sich Eltern informieren.
Was halten Sie davon, wenn Schüler die Schule wechseln?
Hülsemann: Davon würde ich abraten. Ich spiele das mit den Schülern gerne auch konkret durch. Der betroffene Schüler kommt in seine neue Klasse. In der ersten Pause werden dann die neuen Mitschüler fragen: "Warum bist du hier?" Dann erfindet der Schüler natürlich eine Geschichte, weil er nicht zugeben will, dass er an seiner alten Schule gemobbt wurde. Er will vielleicht stark wirken und sagt: "Ich habe meinem Mathe-Lehrer eine geknallt." Diese Geschichte hält gerade mal zwei Minuten. Dann zücken die ersten ihre Handys und irgendjemand kennt sicher jemanden an der alten Schule des Betroffenen. Dann fliegt die Lüge sehr schnell auf und schon ist der Schüler wieder der Außenseiter.
Schulwechsel kann nur eine Möglichkeit sein, wenn wirklich nichts anderes geholfen hat. Ich würde das auch als eine Niederlage für eine Schule empfinden. Wenn ein Kind aus diesem Grund die Schule verlässt, dann haben alle im System Schule versagt.
Das Interview führte Simone Horst.