Stand: 06.07.2015 15:19 Uhr

Kinderpornografie: Kampf gegen Windmühlen

von Mareike Fuchs, Lena Gürtler und Jan Liebold

An schlechten Tagen kann Mena Koller einfach nicht anders. Sie sucht im Internet nach Bildern von sich. Bilder, die ihren Missbrauch dokumentieren. Mehr als zehn Jahre ist es her, dass ein Mann, den sie gut kannte und dem sie vertraute, sie missbraucht hat.

Sie war damals noch so jung, dass sie gar nicht auf die Idee kam, auch Nein sagen zu können, zu diesem "Geheimnis" zwischen ihr und diesem Mann. Ein "Geheimnis", dass er mit Tausenden im Internet teilte. 15.000 Bilder seien es, sagt Mena Koller, die im Internet standen, zum Verkauf oder frei: "Das kann man nicht mehr rückgängig machen, das Internet ist unendlich."

"Die Opfer werden immer jünger"

Oberstaatsanwalt Andreas May © NDR
Oberstaatsanwalt Andreas May arbeitet bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität. Er berichtet von einer Flut neuer Dateien.

Genau diese unendlichen Weiten des Internets sind es, die auch die Ermittler vor große Probleme stellen. "Der Kampf gegen Kinderpornografie ist schon deshalb schwierig, weil wir davon ausgehen, dass unglaublich viele neue Dateien den Markt überschwemmen", sagt Oberstaatsanwalt Andreas May. Er arbeitet in der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität in Gießen. Hier laufen die deutschlandweiten Ermittlungen wegen Kinderpornografie zusammen. "Die Opfer werden immer jünger", sagt May.

Hier finden Betroffene Hilfe

Selbst Missbrauchsvideos mit Babys tauchen inzwischen auf. Dann wenden sie sich auch mal an sämtliche Hebammen und Kinderärzte in Deutschland zu einem Fall. Denn während die Kinder und ihr Missbrauch zur Schau gestellt werden, bleiben die Täter im Verborgenen. Sie verschlüsseln ihre Dateien, verstecken sich hinter IP-Adressen, deren Ursprung die Ermittler nicht zurückverfolgen können.

Opfer identifizieren

Darum müssen sie manchmal erst die Opfer identifizieren, um überhaupt an einen der Täter zu gelangen. Das versucht Oberstaatsanwalt May gerade mit einer Schulfahndung. Die gibt es erst seit drei Jahren in Deutschland. Bundesweit lässt er Fotos von Kindern an die Schulen verschicken. Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Kinderpornografie: Kampf gegen Windmühlen © NDR
Auch an der Gesamtschule Melle in Niedersachsen wird über die Schulfahndung nach Opfern gesucht.

Die E-Mail mit den Kinderfotos ist auch an der Gesamtschule Melle in Niedersachsen angekommen. Ein paar Lehrer haben sich um den Bildschirm versammelt. Kennen sie die Kinder? Die Bilder sind bearbeitet, der Missbrauch nicht zu sehen. Trotzdem schlucken einige Lehrer. "Man fragt sich, welche Geschichte dahinter steht", sagt einer. Fast erleichtert stellen sie fest, dass keiner die Kinder kennt. Direktorin Marlies Brüggemann bleibt dennoch nachdenklich: "Es sensibilisiert natürlich, vielleicht auch in diese Richtung zu denken, wenn ein Kind sich plötzlich auffallend anders verhält als sonst."

Jedes Detail kann Hinweise bringen

Eine andere Lehrerin in Niedersachsen meint, eines der Kinder erkannt zu haben. Felix Piechota vom Landeskriminalamt in Hannover hat gerade den Anruf des Kollegen bekommen, bei dem sich die Lehrerin gemeldet hat. Seit Jahren ermittelt Piechota in Sachen Kinderpornografie. Für ihn ist eines der größten Hindernisse bei den Ermittlungen die Datenflut, die er auswerten muss. Während die Polizei bei Hausdurchsuchungen vor ein paar Jahren noch ein oder zwei Computer mitnahm, würde sie heute ganze Serverlandschaften beschlagnahmen. So wie die Speicherkapazitäten wachsen, wächst auch die Zahl der Bilder und Videos.  

Felix Piechota vom Landeskriminalamt in Hannover © NDR
Seit Jahren ermittelt Felix Piechota in Sachen Kinderpornografie. Die Schulfahndung kann bei der Tätersuche helfen.

Und auch wenn inzwischen schon Software das Material vorsortieren kann, der Blick eines Polizisten auf jedes einzelne Bild bleibt für Piechota unverzichtbar. Jedes Detail wie Bücher im Regal, ein bestimmtes Fernsehgerät oder das Sofa könnte Hinweise bringen, die die Ermittler weiterführen.

Eines der gesuchten Kinder stammt aus Niedersachsen

Jetzt hat für Piechota allerdings die Schulfahndung Priorität. Er will sich bei der Lehrerin melden, die den Hinweis gegeben hat. Tatsächlich stellt sich am Ende heraus: Eines der gesuchten Kinder stammt aus Niedersachsen. Jetzt werden Polizisten zu ihm fahren. Doch damit ist der Täter längst nicht gefunden. Viele Kinder schweigen weiter. Denn häufig findet der Missbrauch in der Familie statt. Staatsanwalt May hat es mehrfach erlebt, dass sich Kinder bei seiner Verhaftung weinend an den Täter klammern.

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Autorin Lena Gürtler © Ulla Brauer/NDR Foto: Ulla Brauer

Lena Gürtler

Lena Gürtler beschäftigt sich bei Panorama 3 mit der Innenpolitik. Wissen sie von interessanten Themen? Schreiben Sie ihr! mehr

Verfahren stapeln sich

Auf Staatsanwalt Mays Schreibtisch stapeln sich schon die nächsten Verfahren. Noch hat er nicht alle Kinder aus der Schulfahndung gefunden, ist aber nicht hoffnungslos. Bis jetzt waren sie immer erfolgreich, wenn sie mit den Bildern an die Schule gegangen sind. Er arbeitet weiter, ohne sich Illusionen zu machen. Die Verbreitung von Kinderpornografie können sie nicht eindämmen, sagt er: "Wir müssen davon ausgehen, dass wir nur die Spitze des Eisbergs sehen."

Obwohl Mena Koller Jahre der Therapie hinter sich hat, kann sie es manchmal nicht lassen, nach ihren Bildern zu suchen. Zwar werden kinderpornografische Fotos immer wieder vom BKA gelöscht. Doch sie tauchen auch immer wieder neu auf, auf einer anderen Webseite, von einem anderen Server aus. "Das muss ich akzeptieren", sagt Koller. Auf die Frage, ob sie das denn wirklich schafft, antwortet sie: "Manchmal."

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 07.07.2015 | 21:15 Uhr

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