Das Konterfei des getöteten Walter Lübcke ist hinter einem Bundeswehrsoldaten am Sarg bei einem Trauergottesdienst in Kassel zu sehen.

Lübcke-Mord: Bundesanwaltschaft verschweigt Vernehmung von Andreas Temme

Stand: 25.06.2020 16:11 Uhr

Der ehemalige Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, Andreas Temme, wurde nach Informationen von Panorama Ende 2019 im Rahmen der Ermittlungen zum Mordfall Walter Lübcke vernommen.

von Julian Feldmann und Nino Seidel

Andreas T. © NDR
Der ehemalige hessische Verfassungsschützer Andreas Temme im Interview mit Panorama.

Die Bundesanwaltschaft hat gegenüber dem Bundestag die Vernehmung von Andreas Temme verschwiegen. Der ehemalige Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes wurde nach Informationen von Panorama Ende 2019 im Rahmen der Ermittlungen zum Mordfall Walter Lübcke vernommen. Im Innenausschuss des Bundestages bestritt im Januar eine Vertreterin des Generalbundesanwalts auf Nachfrage, dass Temme als Zeuge befragt wurde.

Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft wollte sich auf Panorama-Anfrage nicht dazu äußern, wieso den Parlamentariern die Vernehmung von Temme verschwiegen worden war. Falls von der Bundesanwaltschaft Äußerungen in der Sitzung gemacht wurden, so der Sprecher allgemein, "entsprechen diese dem damaligen Erkenntnisstand der Bundesanwaltschaft". Ob es sich also um gezieltes Verschweigen oder bloß einen Irrtum handelte, ist bisher nicht zu klären.

Temme konnte sich nicht an Stephan E. erinnern

Markus H. (l.) und Stephan E. © ARD/NDR Foto: Exif Recherche
Markus H. (l.) wird vorgeworfen, den mutmaßlichen Mörder Lübckes, Stephan E. (r.), an Waffen trainiert zu haben.

Die Ermittler gehen davon aus, dass Temme nichts mit der Tat zu tun hat. Der mutmaßliche Mörder Stephan E. sagt gegenüber "Panorama", er habe Temme nicht gekannt. In seiner Aussage aus dem November 2019, die "Panorama" vorliegt, gab Andreas Temme an, sich an den Namen Stephan E. nicht erinnern zu können. Bekannt ist, dass Temme mehrfach dienstlich mit E. befasst war. Dies ist nicht verwunderlich, da zu Temmes Aufgabenbereich die Beobachtung der rechtsextremen Szene in Nordhessen gehörte.

Auf Nachfrage der Mordermittler gab der Ex-Verfassungsschützer an, dass er tatsächlich keine Erinnerung mehr an den Rechtsextremisten E. habe. Auch an Markus H., der wegen Beihilfe zum Mord an Lübcke angeklagt ist, konnte er sich nicht erinnern. Den Regierungspräsidenten Lübcke habe er persönlich gekannt, habe hin und wieder mit ihm dienstlich zu tun gehabt, so Temme in der Vernehmung. Temme arbeitet heute als Sachbearbeiter im Regierungspräsidium Kassel.

Bundesanwältin bestritt Vernehmung

Bisher war nicht bekannt, dass Temme von den Ermittlern zu dem Mordfall Lübcke befragt wurde. Laut dem Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses am 15. Januar bestritt die Vertreterin der Bundesanwaltschaft, dass Temme im Rahmen der Mordermittlungen vernommen wurde. Die Bundesanwältin sagte demnach: "In dem Ermittlungsverfahren zum Nachteil Dr. Lübcke wurde er nicht vernommen, was nicht heißt, dass wir nicht an ihm interessiert sind oder dass er uns nicht interessiert."

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen Irene Mihalic wundert sich über die falsche Information. Sie spricht auf Panorama-Anfrage von einem "Affront gegenüber dem Parlament". "Warum wird uns eine solche Information vorenthalten?", fragt die Abgeordnete. Sie erwarte eine Erklärung von dem Generalbundesanwalt. Auch Martina Renner (Linke), ebenfalls Mitglied des Innenausschusses, sieht sich getäuscht. Sie hatte die Vertreterin der Bundesanwaltschaft konkret nach der Vernehmung Temmes befragt. So eine Falschinformation verhindere, dass der Ausschuss seiner Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle nachkommen könne.

Untersuchungsausschuss soll Temmes Rolle klären

Der Hessische Landtag hat am Donnerstag, den 25. Juni einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der auch explizit die Rolle des ehemaligen Verfassungsschützers Temme In den Blick nehmen soll. Der Ausschuss soll mögliche Fehler der Sicherheitsbehörden im Vorfeld des Mordes aufklären.

Weitere Informationen
Stephan E., Tatverdächtiger im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke. © dpa picture alliance Foto: Uli Deck

Lübcke-Mord: Tatverdächtiger unterstützte AfD-Wahlkampf

Stephan E. hängte AfD-Plakate auf und besuchte Parteitreffen: Nach NDR Informationen unterstützte der Verdächtige im Mordfall Lübcke die Partei tatkräftiger als bisher bekannt. mehr

Markus H. bei einer Schießübung © ARD/NDR Foto: Screenshot

Mordfall Lübcke: Panne beim Verfassungsschutz

Der Verfassungsschutz hat Erkenntnisse zu rechtsextremen Aktivitäten des mutmaßlichen Mordhelfers im Fall Lübcke nicht weitergeleitet. In der Folge konnte der Neonazi legal Waffen besitzen. mehr

Stephan E., Tatverdächtiger im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke. © dpa picture alliance Foto: Uli Deck

Lübcke Mord: Tatverdächtiger spricht von zweitem Täter

Der Verdächtige im Mordfall Lübcke hat ein neues Geständnis abgelegt. Wie sein Verteidiger bekannt gab, sagte Stephan E. aus, es habe neben ihm einen zweiten Täter gegeben. mehr

Stephan E., Tatverdächtiger im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke. © dpa picture alliance Foto: Uli Deck

Lübcke-Mord: Verdächtiger kündigt neues Geständnis an

Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke will ein neues Geständnis ablegen. Der in Untersuchungshaft sitzende Stephan E. beantwortet nun Panorama erstmals Fragen zum Fall. mehr

Lübckes Wohnhaus

Lübcke-Mord: Mutmaßlicher Helfer als Neonazi bekannt

Zwei mutmaßliche Helfer des geständigen, mutmaßlichen Lübcke-Mörders Stephan E. sind festgenommen worden. Einer der Männer gehörte seit Jahren zur Kasseler Neonazi-Szene. mehr

Mann mit Kapuze, Reporter im Hintergrund © NDR Foto: Screenshot

Mutmaßlicher Lübcke-Mörder: Wer ist Stephan E.?

Der mutmaßliche Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke sitzt seit über einer Woche in Untersuchungshaft. Wer ist Stephan E. und in welchem Umfeld bewegte er sich? mehr

Symbolbild: "Combat 18" gilt in der Neonazi-Szene als Code für besonders hohe Gewaltbereitschaft. © NDR Foto: Julian Feldmann

Stephan E.: Zweifel an Geheim-Treffen mit "Combat 18"

Panorama berichtete über "Combat 18" - eine Gruppe von Rechtsextremisten. Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke war möglicherweise doch nicht mit "C 18"-Mitgliedern bei einer Veranstaltung. mehr

Ein Internet-Café in Kassel, in dem einer der NSU-Morde verübt wurde. © NDR

Nazi-Morde: Hessischer Verfassungschützer beteuert Unschuld

Der frühere hessische Verfassungsschützer Andreas T., der am Tag eines NSU-Mordes an einem Kasseler Internet-Cafe-Besitzer dort zu Besuch war, wehrt sich gegen die Vorwürfe, die immer wieder gegen ihn erhoben werden. mehr

Ein Internet-Café in Kassel, in dem einer der NSU-Morde verübt wurde. © NDR

Verfassungsschützer und NSU-Mord: Doch Zufall?

Ein Geheimdienstler rein zufällig am Tatort? Andreas Temmes Anwesenheit am Tatort eines NSU-Mordes befeuert Verschwörungstheorien. Doch das Gericht glaubt dem Ex-Verfassungsschützer. mehr

Ein Internet-Café in Kassel, in dem einer der NSU-Morde verübt wurde. © NDR

Nazi-Morde: Hessischer Verfassungschützer beteuert Unschuld

Der frühere hessische Verfassungsschützer Andreas T., der am Tag eines NSU-Mordes an einem Kasseler Internet-Cafe-Besitzer dort zu Besuch war, wehrt sich gegen die Vorwürfe, die immer wieder gegen ihn erhoben werden. mehr

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.06.2020 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Terrorismus

Rechtsextremismus

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Das Panorama-Archiv

Alle Panorama-Beiträge seit 1961: Stöbern im Archiv nach Jahreszahlen oder mit der Suchfunktion. mehr

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr