Mordfall Lübcke: Panne beim Verfassungsschutz
Der Verfassungsschutz hat Erkenntnisse zu rechtsextremen Aktivitäten des mutmaßlichen Mordhelfers im Fall Lübcke nicht weitergeleitet. In der Folge konnte der Neonazi legal Waffen besitzen.
Der Verfassungsschutz hat wichtige Erkenntnisse zum mutmaßlichen Mordhelfer im Fall Lübcke nicht an die Waffenbehörde weitergeleitet. In der Folge konnte Markus H. legal Waffen besitzen. Das haben Recherchen von Panorama ergeben. Im Interview räumt der Präsident des hessischen Verfassungsschutzes ein, dass sein Amt die Informationen nicht übermittelt hat.
Seit knapp einem Jahr sitzt Markus H. in Frankfurt in Untersuchungshaft. Der Rechtsextremist muss sich ab nächster Woche vor dem Oberlandesgericht Frankfurt wegen Beihilfe zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft H. vor, den mutmaßlichen Mörder Lübckes, Stephan E., an Waffen trainiert zu haben. So soll H. mit E. in einem Wald und in zwei Schützenclubs das Schießen geübt haben. Auch durch die "gemeinsamen Waffentrainings" vermittelte H. dem mutmaßlichen Todesschützen "Zuspruch und Sicherheit für dessen Tat", heißt es in der Anklage des Generalbundesanwalts. Auch soll H. für E. ein Gewehr auf seine Waffenbesitzkarte eingetragen und ihm verkauft haben.
Neonazi Markus H. - zuverlässig im Sinn des Waffenrechts
In der Kasseler Neonazi-Szene galt Markus H. als "Waffennarr". Im Jahr 2012 beantragte er bei der Stadt Kassel eine Waffenbesitzkarte. Die zuständige Waffenbehörde verweigerte H. zunächst eine Erlaubnis, Waffen besitzen zu dürfen - unter Hinweis auf seine rechtsextremen Aktivitäten. Doch H. klagte dagegen und gewann: 2015 sprach ihm das Verwaltungsgericht Kassel das Recht zu, eine Waffenbesitzkarte zu bekommen.
Das Gericht sah keine Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit nach dem Waffenrecht. Hintergrund ist eine Regelung, nach der jemand nur dann als "unzuverlässig" gilt, wenn er innerhalb der letzten fünf Jahre verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt hat; im Fall von Markus H. also zwischen 2010 und 2015. Der hessische Verfassungsschutz hatte jedoch nur Belege für rechtsextreme Umtriebe bis 2009 gemeldet. "In den letzten fünf Jahren, in dem maßgeblichen Zeitraum, waren keine Vorfälle zu verzeichnen und es gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich irgendwie in dem rechtsextremen Milieu bewegt hätte", sagt Gerichtssprecherin Christine Lohmann im Interview mit Panorama. H. durfte somit legal Schusswaffen besitzen.
Neue Recherche: Verfassungsschutz gab Erkenntnisse nicht weiter
Dabei fanden sich in der Verfassungsschutz-Akte von Markus H. nach Recherchen von Panorama auch spätere Erkenntnisse, etwa ein Eintrag aus dem Jahr 2011. Damals hatten die Verfassungsschützer einen rechtsextremen YouTube-Kanal analysiert, den sie H. zurechneten. Dort registrierten die Staatsschützer antisemitische Videos, etwa eines mit dem Titel "Was die Zionisten Deutschland antaten". Sie notierten, unter H.s Freunden seien "zahlreiche Profile, die der rechtsextremistischen Szene zugeordnet werden können". Außerdem lag dem hessischen Inlandsgeheimdienst eine sogenannte Quellenmeldung aus dem Sommer 2010 vor. Ein V-Mann hatte über die Neonazi-Szene in Kassel berichtet und dabei auch erwähnt, dass H. gemeinsam mit anderen Rechtsextremisten aus der Region an einem Neonazi-Aufmarsch teilnehmen wollte.
Die nicht weitergegeben Informationen hätten möglicherweise verhindern können, dass H. legal Schusswaffen erwerben und so mutmaßlich auch Stephan E. unterstützen konnte.
Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen, Robert Schäfer, räumt im Interview mit Panorama ein, dass Erkenntnisse zu Markus H. nicht übermittelt wurden. Er habe keine Erklärung dafür. Ob es ein Fehler war, könne er heute nicht beurteilen, sagt Schäfer: "Richtig ist, dass wir das heute anders machen würden." Laut Schäfer würden die Waffenbehörden jetzt umfassender informiert werden: "Wir haben aus heutiger Sicht daraus Schlüsse gezogen."
"Heute würden wir das alles übermitteln"
"Heute würden wir das alles übermitteln", betont Schäfer im Panorama-Interview. "Heute würden wir uns das genauestens anschauen und gucken, was kann man tun. Sonst würden wir unserem Anspruch, Extremisten dürfen keine legalen Waffen haben, nicht gerecht". Der Verfassungsschutz kümmere sich in den letzten Jahren verstärkt um die rechtsextremen Waffenbesitzer. So gebe seine Behörde Erkenntnisse inzwischen sehr detailliert an die Waffenbehörde weiter, erklärt Schäfer. "Für uns ist ganz klar: Extremisten dürfen keine legalen Waffen haben."
Zu der "Quellenmeldung" aus 2010, die sein Amt ebenfalls nicht weitergegeben hatte, sagt Schäfer, dass nur "offene und gerichtsverwertbare" Informationen an die Waffenbehörden übermittelt werden könnten.
Die Stadt Kassel und die Anwälte von H. wollten sich auf Anfrage von Panorama nicht zu den Recherchen äußern.