In Hamburg getöteter Brasilianer: Neuer Prozess hat begonnen

Stand: 19.01.2023 16:19 Uhr

Drei Jahre nach dem Fund der Leiche eines monatelang vermissten Brasilianers muss das Landgericht Hamburg den Fall erneut verhandeln. Eine frühere Verurteilung des Angeklagten zu lebenslanger Haft hatte der Bundesgerichtshof aufgehoben.

Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft warf dem heute 48-Jährigen zu Beginn des neuen Prozesses am Donnerstag Mord, Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung und weitere Straftaten vor. Sein Mandant werde dazu keine Angaben machen, sagte sein Verteidiger. Der Angeklagte wirkte deutlich gelöster als im vorhergehenden Prozess, bei dem er nur starr auf der Anklagebank gesessen hatte. Denn in dem neuen Prozess hat er nichts mehr zu verlieren, sondern im Gegenteil einige Jahre Freiheit zu gewinnen. Auf Antrag der Verteidigung und des Nebenklagevertreters schloss die Strafkammer die Öffentlichkeit vor der Vernehmung von drei Zeugen aus.

Elke Spanner, NDR 90,3, berichtet über einen Prozess. © NDR
AUDIO: Alter Fall, neuer Prozess (1 Min)

Erstes Urteil wurde aufgehoben

Der gelernte Krankenpfleger war am 22. April 2021 wegen Mordes, schwerer Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung und weiterer Taten zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hob die Verurteilung wegen Mordes im vergangenen aber Jahr auf - und verwies den Fall an eine andere Schwurgerichtskammer am Landgericht Hamburg. Im ersten Verfahren war das Landgericht zu der Überzeugung gekommen, dass der Angeklagte den 28-Jährigen in seiner Wohnung im Stadtteil Neustadt mit Drogen betäubt hatte, ihn zum Sex zwingen wollte und ihn dabei ermordete. Die Leiche des Brasilianers versteckte er unter einer Matratze im Gästezimmer. Sie wurde erst vier Monate nach der Tat von der Polizei gefunden.

BGH: Verurteilung wegen Mordes nicht möglich

Der BGH hatte argumentiert, dass aufgrund der starken Verwesung der Leiche nicht mehr genau geklärt werden konnte, welche Handlung des Täters den Tod des 28-Jährigen herbeigeführt hatte: das Verabreichen der Drogen, die im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung zugefügten Verletzungen oder das Einwirken auf den Mund des Opfers, um dieses am Schreien zu hindern. Eine Verurteilung wegen Mordes setze jedoch voraus, dass der Angeklagte bei allen Handlungen, die für sich allein oder in ihrer Kombination den Tod des Opfers herbeigeführt haben könnten, ein Mordmerkmal hätte erfüllen müssen. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass auch eine Handlung des Täters ohne vorliegendes Mordmerkmal zum Tod des 28-Jährigen geführt haben könnte, scheide eine Verurteilung wegen Mordes aus.

Vorgeschichte der Tat unstrittig

Keine Zweifel hatten die Bundesrichter an den Feststellungen des Landgerichts zur unmittelbaren Vorgeschichte der Tat. Demnach hatten sich der Angeklagte und der junge Brasilianer wenige Tage zuvor in einer Pizzeria kennen gelernt. Am 21. September 2019 besuchten sie gemeinsam eine Geburtstagsfeier. Am frühen Morgen des Folgetags fuhren sie mit einem Taxi zur Wohnung des Angeklagten. Dort mischte der Angeklagte seinem Gast Ecstasy, Amphetamine und Kokain in ein Getränk. Der Angeklagte habe den auf diese Weise wehrlos gemachten Brasilianer vergewaltigen wollen, hieß es. Doch trotz der Drogengabe wehrte sich der 28-Jährige und schrie. Eine Nachbarin sei auf die Schreie aufmerksam geworden. Möglicherweise tötete der Angeklagte den jungen Mann, um zu verhindern, dass die Nachbarin die Polizei alarmierte.

Suche nach Brasilianer mit Plakaten

Der Brasilianer hatte seit 2016 in Deutschland gelebt und bei einem IT-Dienstleister gearbeitet. Mehrere Menschen hatten den Mann Ende September 2019 als vermisst gemeldet und ihn mit Plakaten gesucht. Auch die Polizei hatte Ende 2019 öffentlich mit einem Foto nach dem Vermissten gefahndet.

Verhandlungstermine bis Anfang Mai festgesetzt

Die genauen Umstände seines Todes müssen nun in dem neuen Prozess geklärt werden. Die Strafkammer hat weitere 16 Verhandlungstermine bis Anfang Mai angesetzt.

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 19.01.2023 | 14:00 Uhr

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