Der FC St. Pauli und das schwere Erbe von Timo Schultz

Stand: 07.12.2022 15:20 Uhr

Nach dem Rauswurf von Timo Schultz herrscht beim Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli eine angespannte Stimmung. Fans fordern per Petition die Rücknahme der Kündigung des beliebten Trainers und kritisieren Sportchef Andreas Bornemann. Ein neuer Coach wird es emotional wie sportlich schwer haben.

von Johannes Freytag

Die Kiezkicker haben fraglos ein schlechtes sportliches Kalenderjahr hinter sich - und vermutlich hätte es in jedem anderen Fuballstadion angesichts der Ergebnisse längst laute "Trainer raus"-Rufe von den Tribünen gegeben. Davon war beim FC St. Pauli allerdings trotz des Absturzes von der Tabellenspitze im Januar bis auf aktuell Rang 15 wenig bis nichts zu hören.

Im Gegenteil: Die Anhänger waren völlig überrumpelt vom Schultz-Aus und reagierten entsetzt. Kaum hatte der Zweitligist am Montag die Trennung vom Publikumsliebling bekannt gegeben, da glühten die Handys und wurde in den sozialen Netzwerken heiß diskutiert. Wobei sich die Fans der Braun-Weißen weitestgehend einig waren: Mit dem Trainer ist der falsche Mann zum Sündenbock gemacht worden.

Tausende Unterstützer für "Schulle muss bleiben"

Auf der Internetplattform "change.org" fordern Fans nun sogar, "die Kündigung von Timo Schultz und seinem Team" zurückzunehmen. "Der überwiegende Teil der Fans des FC St. Pauli sieht das als Fehler an! Wer den FC St. Pauli lebt, würde niemals, zu diesem Zeitpunkt, eine Identitätsfigur, wie Timo Schulz (Schulle), vor die Tür setzten", heißt es in der Petition "Schulle muss bleiben". Bis Mittwochnachmittag hatten mehr als 2.000 User den Antrag unterstützt.

"Jetzt, wo dem Verantwortlichen bewusst wird, dass die Kaderplanung fehlerhaft war, wird nun Schulle geopfert. Eine indiskutable Vorgehensweise. Hier hat ein anderer Verantwortlicher in erster Linie den Hut zu nehmen", schrieb ein Unterzeichner. Ein anderer meinte: "Die Entscheidung ist fachlich, menschlich, moralisch falsch und widerspricht unseren Werten... und die ist die endgültige Enttäuschung über dieses Präsidium."

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Die zum Teil sehr harsche Kritik richtete sich gegen Präsident Oke Göttlich und vor allem gegen Sportchef Bornemann, dem es nicht gelungen ist, den großen Qualitätsverlust durch Abgänge wie Guido Burgstaller oder Daniel-Kofi Kyereh zu kompensieren. Fakt ist allerdings auch, dass St. Paulis Kader trotzdem deutlich besser performen müsste, laut Datencheck sogar das Zeug zum Tabellenführer hätte.

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Montage (v.l.): Hansa-Torhüter Markus Kolke, die Spieler die FC St. Pauli und HSV-Stürmer Robert Glatzel © IMAGO / Witters Foto: Christian Schroedter / Leonie Horky / Tim Groothuis

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Schultz hat es also offenbar nicht geschafft, das vorhandene Potenzial bei seinen Spielern abzurufen. Insofern ist die Kritik am Coach - von fehlenden Ansätzen zur Problemlösung war unter anderem die Rede - seitens des Clubs nachvollziehbar. Wenngleich auch in ihrer Deutlichkeit ungewöhnlich bei einer Trainer-Entlassung.

Dass sich Schultz, der seit über 17 Jahren in verschiedenen Funktionen am Millerntor tätig war, nach seiner langen Ära im Verein bislang nicht geäußert hat, ist ebenso bezeichnend und spricht für ein zumindest angespanntes Verhältnis zur sportlichen Leitung.

Trainingsstart am Freitag mit Hürzeler

Bleibt die Frage, ob ein neuer Mann an der Seitenlinie den Turnaround schaffen kann. Den Trainingsauftakt am Freitag übernimmt in Fabian Hürzeler einer der bisherigen beiden Co-Trainer. Assistent Loïc Favé musste ebenso wie Schultz seinen Hut nehmen. Ob der 29-jährige Hürzeler dauerhaft Cheftrainer wird, soll sich bis spätestens 2. Januar klären, wenn es ins Trainingslager im spanischen Benidorm geht.

Kandidaten-Quartett um Kohfeldt

Wahrscheinlich ist das nicht, es werden bereits unterschiedliche Kandidaten für den Posten gehandelt. Laut "Hamburger Abendblatt" hat sich Bornemann schon mit dem früheren Werder- und Wolfsburg-Coach Florian Kohfeldt getroffen. In den Medien wird zudem über Michael Wimmer spekuliert. Der 42-Jährige war zuletzt Interimscoach beim Bundesligisten VfB Stuttgart, ehe dort Bruno Labbadia übernahm.

Auch zwei aktuelle Drittliga-Trainer könnten Anwärter sein: der 39 Jahre alte Thomas Stamm vom SC Freiburg II und der 53-jährige Horst Steffen, der mit Aufsteiger und Tabellenführer SV Elversberg derzeit für Furore sorgt. Doch wer auch immer Timo Schultz beim FC St. Pauli beerbt - er wird es schwer haben, sportlich wie emotional.

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 06.12.2022 | 19:30 Uhr

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