"Dariadaria": "Einen Strickpulli muss ich nicht jeden Tag waschen"

Stand: 24.06.2022 17:26 Uhr

Die Unternehmerin Madeleine Alizadeh erklärt sie, was die Probleme von Fast Fashion sind und was man bei der Pflege von Textilien beachten sollte.

Alizadeh ist durch ihren Blog namens "dariadaria" bekannt geworden, den sie bis 2017 betrieb. Im selben Jahr gründete sie ein Label für nachhaltige Mode: "Dariadéh". Bei instagram ist die Unternehmerin und Autorin weiterhin unter "dariadaria" aktiv.

Was sind aus deiner Sicht die schlimmsten Sünden der herkömmlichen Textilindustrie?

Alizadezh: Das Grundproblem sind die Mengen, die produziert werden. Das ist das größte Problem von Fast Fashion. Und das ist der Grund, warum die Textilindustrie ökologisch in der Zwickmühle ist.

Was sind die Kernprobleme, die die herkömmliche Textilindustrie verursacht?

Alizadez: Es sind die Emissionen, die die Textilindustrie verursacht, sowohl bei der Herstellung als auch beim Vertrieb der Textilien und durch den kurzen Zyklus, in dem sie genutzt werden. Teil des Problems sind aber auch die Konsumenten und es spielt auch eine Rolle, was am Ende des Lebens mit einem Kleidungsstück passiert. Denn auch beim Recycling entstehen noch mal Emissionen.

Aus deiner Erfahrung als Produzentin und Unternehmerin: Was ist das schlimmste Kleidungsstück überhaupt?

Alizadeh: Es kommt immer darauf an, aus welcher Richtung man das beleuchtet. Für Verfechter von Tierschutz ist es natürlich ein chemisch bearbeiteter Pelz, der irgendwo in Bangladesch hergestellt wird, wobei sowohl das Tier als auch der Mensch leiden. Aber Pelz macht jetzt natürlich nicht das Gros aus.

Ich glaube, man kann auch gar nicht so sagen, was schlimmer ist, weil die Standpunkte immer andere sind: Chemikalien, Wasser, Emissionen, Tierwohl, Arbeitsbedingungen. Ich glaube, das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, was aus einer sinnvollen Faser hergestellt wurde, die den geringsten Impact [Anm. d. Red.: gemeint sind die Auswirkungen der Produktion] hat.

Was passiert, wenn wir so weiter shoppen wie bisher?

Alizadeh: Wenn man sich die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen anschaut, dann ist ganz klar, dass das Klimaziel einfach nicht erreicht werden kann. Wenn man sich den Impact der Textilindustrie  anschaut, spielt sie ganz vorn mit, gemeinsam mit dem Transportsektor.

Was war der Kipppunkt, der dich bewogen hat, in Richtung Nachhaltigkeit zu steuern?

Alizadeh: Es gab da tatsächlich einen Punkt im Jahr 2013. Da habe ich eine Doku im deutschen Fernsehen gesehen. Es ging um Gerbereien in Bangladesch und was Leder auf der Haut von Konsumenten, vor allem Kindern, macht, aber auch bei den Menschen, die Lederpodukte herstellen. Für mich war Leder ein Qualitätsprodukt. Aber zu sehen, wie belastet der Großteil des Leders ist, war für mich ziemlich schockierend.

Und das war der Punkt, an dem ich gesagt habe, jetzt drehe ich jedes einzelne Label in meinem Kleiderschrank um. Seit neun Jahren setze ich mich jetzt mit diesem Thema auseinander. Und 2017 habe ich mein Unternehmen gegründet.

Ist deine Modelinie wirklich schon komplett nachhaltig oder bist du selbst noch unzufrieden? Wo hakt es noch im täglichen Prozess?

Alizadeh: Also, ich glaube absolute Aussagen kann man nie treffen und es wäre populistisch von mir so etwas zu behaupten. Es gibt ja keine Definition für den Begriff Nachhaltigkeit. Ich glaube nur, dass man nachhaltiger agieren kann. Ich glaube, jeder, der sagt, meine Produktion und Wertschöpfungskette bei Textilien ist hundert Prozent nachhaltig, lügt. Denn was bedeutet hundert Prozent nachhaltig überhaupt?

Ist denn dein Eindruck, dass sich jetzt immer mehr Leute das Label Nachhaltigkeit nutzen?

Alizadeh: Genau. Das ist nicht nur mein Eindruck, sondern es ist auch nachvollziehbar anhand vorhandener Daten. Es gibt jedes Jahr diesen McKinsey-Report "State of Fashion" - den kann ich empfehlen, denn er ist auch für Laien einfach verständlich. Und da wurde ganz klar festgestellt, dass die Nachfrage sehr, sehr groß ist. Also viele Konsumenten wollen nachhaltiger kaufen bei ihren liebsten Brands.

Auch der Marktanteil ist enorm gestiegen. Das ist einfach ein Trend, der sich verzeichnen lässt. Aber es gibt immer noch eine Diskrepanz zwischen dem, was die Kundinnen und Kunden wollen und dem, was sie tun. Das, was sie Umfragen zufolge wollen, ist sehr viel: eben nachhaltige Mode konsumieren. Das tatsächliche Verhalten macht sich dann aber an viel mehr Dingen fest: nämlich wie teuer und verfügbar diese Mode ist. Und diese Diskrepanz, glaube ich, gilt es zu überwinden.

Nachhaltige Mode kann sich nicht jeder leisten. Wirst du häufiger mit dieser Kritik konfrontiert?

Alizadeh: Total und diese Kritik ist auch berechtigt. Es kann nicht sein, dass Nachhaltigkeit Luxus ist. Wieso können sich nur besser Verdienende Biolebensmittel leisten? Man redet immer sehr viel darüber, was die Konsumenten richtig machen sollen. Aber es ist eben auch eine privilegierte Frage. Eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern wird sich jetzt nicht den Bio-Strampler für 50 Euro kaufen.

Auch als Unternehmerin gibt es keinerlei Anreize für mich, das zu tun, was ich tue. Es ist de facto teurer. Ich zahle gleich viele Steuern und ich habe viel mehr Aufwand. Es ist viel, viel anstrengender und mühsamer, das zu tun und zu überwachen und Lösungen zu finden. Und dafür wird mir nichts geschenkt, außer vielleicht Anerkennung.

Hat die breite Masse überhaupt eine echte Chance, schon nachhaltig einzukaufen. Oder ist das derzeit noch unrealistisch?

Alizadeh: Der Anteil an Biobaumwolle liegt weltweit bei einem Prozent. Da stellt sich dann immer die Frage, wieso mehr im Umlauf ist als produziert wird? Gibt es da Dinge, die vielleicht anders gelabelt werden? Also ich glaube, die aktuelle Nachfrage ist nicht zu decken.

Billige Modeprodukte überstehen oft nur zwei Wäschen. Günstige Mode wird so am Ende auch teuer, oder?

Die Unternehmerin und Modedesignerin Madeleine Alizadeh © Maria Noisterning Foto: Maria Noisterning
Madeleine Alizadeh berät ihre Kundschaft auch, wie Kleidungsstücke schonend gewaschen und gebügelt werden.

Alizadeh: Unsere Kleidung ist komplett ohne konventionelle Synthetik, was sehr selten ist. Und wir informieren darüber, wie unsere Kundinnen und Kunden etwas waschen sollen: mit was für einem Waschmittel und mit welcher Schleuderzahl. Wenn ein Kleidungsstück beim Waschen kleiner wird, hilft es, drüber zu bügeln, sodass sich die Faser über die Wärme wieder ein bisschen weitet.

Die Frage ist auch: Wie oft muss man gewisse Dinge überhaupt waschen? Also einen Strickpulli muss ich nicht jeden Tag waschen, den kann ich auch mal auslüften. Ich glaube, das ist ganz wichtig, weil ein großer Teil der Emissionen schon bei der Pflege entsteht.

Wie sieht es in deinem persönlichen Kleiderschrank aus?

Alizadeh: Bei mir denken immer alle, dass ich gegen Konsum bin. Das bin ich nicht. Ich stelle Mode her. Es ist Teil meines Jobs, mir viele Sachen anzuschauen, um sie zu testen. Ich würde nicht sagen, dass mein Kleidungsstil nachhaltig ist; ich habe viel Zeug und ich konsumiere auch viel Zeug, weil ich mich einfach sehr viel erkundige. Das ist wie bei Winzern: Wenn die selbst keinen Wein trinken, dann ist es vielleicht ein bisschen kontraproduktiv für den Beruf, wenn man nicht weiß, was man da eigentlich macht.

Ich habe eine Kooperation mit einem Second-Hand-Laden vor Ort, wo Teile aus meinem Kleiderschrank verkauft werden. Die Hälfte der Erlöse wird gespendet. Mein Kleiderschrank ist relativ durchmischt. Ich habe viele nachhaltige Brands, hauptsächlich Secondhand. Ich habe aber auch Fast-Fashion-Teile.

Zu den Namen "dariadaria" und "Dariadéh": Beide Namen leiten sich aus Madeleine Alizadehs eigenem zweiten Vornamen "Darya" ab. Der Name kommt aus dem Persischen und heißt wörtlich Meer, aber auch "das Gute besitzend" oder auch "die Beschützerin".

Weitere Informationen
Weiße Hemden auf jedem zweiten Bügel an einer Kleiderstange. © photocase Foto: Annebel146

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Dieses Thema im Programm:

NDR Talk Show | 01.07.2022 | 22:00 Uhr

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