Wie eine Jeans-Marke die Mode-Industrie revolutionieren will
Die Modewelt hat großen Nachholbedarf beim Thema Klimaschutz: Die weltweite Textil-Industrie ist für mehr Treibhausgas-Emissionen verantwortlich als der internationale Flugverkehr und die Seeschifffahrt zusammen. Eine niederländische Jeans-Marke geht nun neue Wege.
Die Firma MUD Jeans aus der Nähe von Amsterdam ist kein großer Name in der Modewelt. Aber immerhin hat sie im vergangenen Jahr rund 100.000 Jeans in Umlauf gebracht. Das hört sich nach viel an. Aber weltweit werden pro Jahr etwa 2 Milliarden Jeans verkauft. Allein 100 Millionen davon in Deutschland. Nun ist es so: Für MUD Jeans geht es gar nicht darum, möglichst viele Hosen zu verkaufen oder möglichst viel Geld zu verdienen. Sie wollen vielmehr die Mode-Industrie dazu bringen, umweltschonender zu produzieren - und mit gutem Beispiel vorangehen.
Schon so manchen Nachhaltigkeits-Preis erhalten
"Wir wollen der Industrie zeigen, wie man die Dinge anders machen kann, was man gegen die Verschwendung tun kann", sagt Dion Vijgeboom. Er ist der Co-Chef von MUD Jeans und will, dass andere Marken sich etwas bei ihnen abschauen - zum Wohle der Umwelt und des Klimas. Das Projekt sorgt für einiges Aufsehen: Die Firma ist bereits mit etlichen Nachhaltigkeits-Preisen ausgezeichnet worden.
Produziert wird die Ware in einer Fabrik in Tunesien. Bis zu 120 Euro kostet eine Hose von MUD Jeans. Sie sind auch in gut einem Dutzend norddeutscher Modegeschäfte zu finden - zum Beispiel in Hannover, Hamburg, Kiel und auf Föhr.
Ein Problem: 8.000 Liter Wasser für ein neues Paar Jeans
Die Geschichte von MUD Jeans beginnt im Jahr 2012. Ihr Gründer hatte 30 Jahre Erfahrung in der Modebranche hinter sich. Ihn störten die extrem schlechten Arbeitsbedingungen in den Fabriken - und die Gier nach immer neuer Kleidung und immer mehr Materialien. Kurzum: eine Produktion, die die Umwelt zerstört. "Ich würde sagen, dass 95 Prozent der Weltbevölkerung mindestens eine Jeans besitzen", sagt Dion Vijgeboom in der neuen Folge des NDR Info Podcasts "Mission Klima - Lösungen für die Krise". Allein der Anbau der gigantischen Mengen an Baumwolle schädige die Umwelt. So werden für die Herstellung einer einzigen Jeans normalerweise bis zu 8.000 Liter Wasser verbraucht, zudem kommen viele umweltschädigende Chemikalien zum Einsatz - etwa fürs Färben und Bleichen der Jeans.
Drei Viertel weniger CO2 als bei einem normalen Paar Jeans
Auch der CO2-Fußabdruck sieht nicht glänzend aus: 30 Kilogramm CO2 pro Jeans. Das entspricht in etwa einer 100 Kilometer langen Fahrt mit einem Auto, das mit Benzin betankt wird. MUD Jeans ist es nun nach eigenen Angaben gelungen, den CO2-Ausstoß pro Jeans um 74 Prozent CO2 zu senken - im Vergleich zum Industrie-Standard. Wie haben sie das geschafft? Die Transportwege sind bewusst kurz gewählt. Und auch den energie- und wasserintensiven Färbeprozess der Jeans konnte die Firma optimieren: Normalerweise durchläuft der Stoff bis zu zehn Wasserbäder mit Farbe - bei MUD braucht es nur ein einziges Bad.
Nichts soll im Müll landen
Die Jeans-Firma setzt zudem auf Kreislaufwirtschaft. Das heißt: Ziel ist es, Produkte und Rohstoffe so lange wie möglich zu nutzen. Nichts soll im Müll landen, sondern geteilt, geliehen, repariert und recycelt werden. MUD Jeans verwendet die Baumwolle aus den Jeans, die schon im Umlauf sind, noch einmal. Das bedeutet aber auch: Sie müssen irgendwie rankommen an die aufgetragenen Jeans ihrer Kundinnen und Kunden.
MUD Jeans gibt es auch im Leasing
Und deshalb gibt es bei MUD Jeans neue Hosen zum Leasen. Das funktioniert so: Wer sich für das Jeans-Leasing entscheidet, zahlt bis zu einem Jahr lang 9,95 Euro im Monat. Nach diesen 12 Monaten ist die Hose abbezahlt und die Kundinnen und Kunden können die Hose weitertragen oder sie jederzeit per Post an MUD Jeans zurückgeben, damit sie recycelt wird. Die Idee kommt offenbar gut an. Knapp die Hälfte der Kundschaft least lieber eine neue MUD Jeans, statt sie zu kaufen. Aber das Ganze hat auch seine Tücken. "Es ist kompliziert, was wir da machen", räumt Co-Chef Dion Vijgeboom ein. "Das Jeans-Leasing-System klingt brillant, aber es bringt viel Extra-Arbeit für uns mit sich." Auch weil nicht immer alle Kundinnen und Kunden ihre monatliche Leasing-Gebühr pünktlich zahlen.
In Spanien werden aus alten Hosen neue Jeans
MUD Jeans sammelt nach eigenen Angaben im Jahr etwa 9.000 getragene Jeans ein. Ein Teil davon kommt aus dem Leasing per Post zurück. Viele gebrauchte Hosen werden aber auch an Sammelstationen in den Geschäften abgegeben, in denen die Jeans verkauft werden. Von den eingesammelten Jeans gelangt nur ein kleiner Teil als Second-Hand-Ware wieder in den Umlauf. Die meisten Jeans sind in einem so schlechten Zustand, dass sich eine Reparatur nicht lohnt. Die niederländische Firma bringt diese Ware in eine Recycling-Anlage in Spanien, die mit 100 Prozent erneuerbarer Energie läuft. Dort wird der Jeans-Stoff grob zerschnitten und dann geschreddert und gewalzt. Neues Garn wird gesponnen und zu guter Letzt wird daraus der neue Stoff gewebt, aus dem ein neues Paar Jeans genäht werden kann.
Das erste Paar Jeans mit 100 Prozent Recycling-Material
Aber für eine neue Jeans wird bislang auch immer frische Baumwolle verwendet, damit die Qualität stimmt. MUD Jeans gibt den maximalen Recycling-Anteil bei ihren Hosen mit 40 Prozent an. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, innerhalb eines Jahres auf eine Quote von 100 Prozent zu kommen - sprich: Jeans herzustellen, die komplett aus wiederverwendetem Material bestehen. Unter Labor-Bedingungen ist dies der Firma soeben gelungen. "Dieser Prototyp sieht etwas anders aus und fühlt sich auch anders an", sagt Miteigentümer Dion Vijgeboom. "Aber eigentlich sieht die Jeans gut aus, auch wenn die Farbe noch nicht der Knaller ist."
Eine Lösung für die Unmengen an Textilabfall in der Mode-Industrie
Wenn alles glatt läuft, könnten die komplett recycelten Jeans schon im kommenden Jahr in den Läden zu kaufen sein. "Für uns ist das eines der ambitioniertesten, aber auch wichtigsten Projekte", sagt Nachhaltigkeitsmanagerin Lea Landsberg. "Weil es eine Lösung für diese Unmengen an Textilabfall in der Modeindustrie ist. Für uns wäre es ein Traum, nur alte Stoffe zu benutzen, um eine neue Jeans herzustellen."
Lea Landsberg stammt aus Düsseldorf und hat während ihres Studiums der Nachhaltigkeits-Wissenschaften die niederländische Jeans-Firma kennen gelernt. Nun treibt sie dort das Projekt Nachhaltigkeit weiter voran. "Wir sagen immer: Das Nachhaltigste, was man machen kann, ist nichts Neues zu kaufen. Und danach erst kommt nachhaltige Mode. Der erste Schritt sollte sein, das, was man hat, möglichst lange zu tragen und die Kleidung zu reparieren, wenn es reparierbar ist." So ließe sich eine Jeans noch ein oder zwei Jahre länger tragen.
Reparatur-Dienst bald für alle Kunden in den Niederlanden?
Deshalb bietet MUD Jeans seinen Leasing-Kunden auch einen Reparatur-Service an. Dabei werden die Jeans in einer Näherei aufgehübscht - mit einem neuen Knopf oder einer verstärkten Naht beispielsweise. Das klappt bei etwa 150 Jeans im Jahr.
Aber MUD Jeans denkt auch hier schön größer: Sie wollen allen Kundinnen und Kunden in den Niederlanden solch einen Reparatur-Dienst anbieten. Für dieses Pilotprojekt wollen sie mit einem Fahrradkurier-Dienst zusammenarbeiten und ausprobieren, wie sie in Zukunft flächendeckend im ganzen Land mit dem Fahrrad kaputte Jeans einsammeln können. Diese Hosen würden dann zu Vertragsnähereien gebracht werden, die alle wichtigen Materialen, wie die Knöpfe oder das richtige Garn von MUD Jeans vorrätig haben. Die reparierten Jeans sollen schließlich mit dem Rad abgeholt und zurück zur Trägerin oder zum Träger gebracht werden. Für diesen Plan hofft MUD Jeans auf Geld aus einem staatlichen Fördertopf.
Expertin: Fast Fashion und Nachhaltigkeit passen nicht zusammen
Das Modell der Kreislaufwirtschaft gilt bei vielen Experten als ein richtiger Ansatz für die Modeindustrie. Aber es sei gerade bei Billig-Kleidung im Moment noch schwer umsetzbar, sagt Monika Eigenstetter von der Hochschule Niederrhein. Die Professorin beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Textilindustrie. Sie befürchtet, dass die Recycling-Verfahren am Ende nur den großen Modemarken dazu dienen, ihr zweifelhaftes Geschäftsmodell der Billig-Produktion zu retten. "Die Unternehmen wollen so ihr Fast-Fashion-System weiter betreiben und wie bislang jede zweite Woche eine neue Kollektion auf den Markt bringen", sagt Eigenstetter. Im Sinne der Umwelt sollte es aber vielmehr darum gehen, von der massenhaften Billig-Produktion abzurücken.
Für einen großen Gewinn reicht es noch nicht
Für MUD Jeans zahlt sich ihr Engagement für die Umwelt noch nicht aus. Zumindest nicht in den Bilanzen. Nur im Jahr 2018 hatten sie einmal ein kleines Plus erwirtschaftet. Natürlich möchte auch Co-Chef Dion Vijgeboom irgendwann dauerhaft Geld mit dem Unternehmen verdienen, aber vor allem geht es ihm darum, die Mode-Industrie zu revolutionieren. "Damit die gute Produktion die schlechte Produktion verdrängt", sagt Vijgeboom.