Klimawandel: Kann man Rindfleisch mit gutem Gewissen essen?

Stand: 22.06.2022 16:19 Uhr

Das Steak brutzelt verführerisch auf dem Grill, da meldet sich das schlechte Gewissen. "Klimawandel, Massentierhaltung, Regenwälder", flüstert es. Besonders Rindfleisch steht in der Kritik. Sind die Zweifel berechtigt?

von Antonia Aust, NDR.de

Jeder Deutsche isst durchschnittlich etwa 60 Kilo Fleisch im Jahr, zehn davon stammen vom Rind. Deutschland ist nach Frankreich der größte Rindfleisch-Produzent in der EU, rund 1,1 Millionen Tonnen werden jedes Jahr produziert. Viele Verbraucher wollen gar nicht so genau wissen, woher das Fleisch stammt und einige Großschlachtereien tun alles, um kritische Blicke zu verhindern. Vermeintliche Abhilfe schaffen beruhigende Verpackungsbeschriftungen wie "naturnah" oder "nachhaltig" und Haltungsform-Bewertungen auf freiwilliger Basis, die oft schwer verständlich sind. Ein verbindliches staatliches Tierwohl-Kennzeichen steht allerdings kurz vor dem Start.

Rindermast in Deutschland: Wie steht es um das Tierwohl?

Bei der Produktion von deutschem Rindfleisch gibt es verschiedene Haltungsformen. Der Großteil kommt aus konventioneller Landwirtschaft. Zwar ist bio in aller Munde, tatsächlich wirtschaften aber nur etwa 13 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland nach Öko-Richtlinien.

Etwa die Hälfte des deutschen Rindfleischs kommt von Jungbullen, die andere Hälfte setzt sich aus ehemaligen Milchkühen, Jungrindern und Kälbern zusammen. Die meisten Jungbullen werden in Intensiv-Mastanlagen auf Spaltboden gehalten und erreichen schon im Alter von 18 Monaten ihr Schlachtgewicht von 550-650 Kilo. Damit die Tiere so schnell zunehmen, werden sie von Anfang an auch mit energiereichem Kraftfutter gefüttert.

Rindermast, rotbunte Jungbullen fressen Maissilage © fotolia.com Foto: Countrypixel
Die meisten Rinder werden in Ställen gehalten und bekommen Kraftfutter.

Die andere häufige Produktionsform ist die Wirtschaftsmast. Sie strebt zwar auch eine schnelle Gewichtszunahme an, räumt dafür aber etwas mehr Zeit ein. Hier wird mehr günstiges Grundfutter wie Silage zur Mast eingesetzt, oft aus dem eigenen Betrieb. Die Landwirte müssen weniger Kraftfutter dazukaufen.

Die Weidemast ist in Deutschland seltener. Dabei werden die Tiere ganzjährig oder saisonal auf der Weide gehalten und bekommen nur in der Endphase der Mast Kraftfutter. Diese Haltung ist für die Landwirte relativ aufwendig und lohnt sich bei den niedrigen Milch- und Fleischpreisen kaum noch. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Weidehaltung dagegen in ökologischen Mastbetrieben. Laut EU-Öko-Verordnung müssen die Tiere mindestens im Sommer auf der Weide gehalten werden und dürfen nur die letzten drei Monate vor der Schlachtung ausschließlich im Stall gemästet werden.

Nur alle 17 Jahre eine Kontrolle

An die Tierschutzverordnung müssen sich alle halten, sie gilt für Bio- und konventionelle Betriebe gleichermaßen. Kontrolliert wird das allerdings selten. Die offiziellen Angaben der Bundesregierung sind ernüchternd. Durchschnittlich wird ein konventioneller Betrieb in Deutschland nur alle 17 Jahre vom Veterinäramt kontrolliert. Tierhalter in Schleswig-Holstein wurden statistisch nur alle 37,3 Jahre vom Amtstierarzt besucht, in Bayern alle 48 Jahre.

Strengere Kontrollen gibt es bei EU-Öko-Betrieben, denn sie müssen die Einhaltung der Ökoauflagen jährlich kontrollieren lassen. Allerdings ist der Zustand der Tiere selbst nicht ausdrücklich Kontrollgegenstand. Hier haben die Bio-Anbauverbände Bioland, Gäa, Biokreis, Demeter und Naturland eigene Auflagen festgelegt, die im Rahmen der regelmäßigen Kontrollen zusätzlich überprüft werden. Konventionelle Betriebe, die freiwillig an einer Initiative für mehr Tierwohl teilnehmen (zum Beispiel Neuland, Für mehr Tierschutz, Initiative Tierwohl oder Vier Pfoten) werden ebenfalls jährlich kontrolliert. Die genauen Tierwohl-Kriterien der einzelnen Verbände und Initiativen listet das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft auf.

Tiertransporte - Rinder auf Reisen

Wenn Tiere zu Großschlachtereien oder ins Ausland gebracht werden, müssen sie oft weite Strecken zurücklegen. Der Tierschutz wird unterwegs, gerade im Ausland, kaum noch kontrolliert. Für Mastrinder beträgt die erlaubte Transportzeit 29 Stunden am Stück. Das gilt für konventionell gehaltene Rinder ebenso wie für Rinder aus EU-Öko-Betrieben. Die Bio-Anbauverbände und einige Tierschutz-Initiativen haben strengere Richtlinien. Sie begrenzen die maximale Transportzeit auf vier Stunden beziehungsweise 200 Kilometer und ersparen den Tieren gerade bei hohen Temperaturen oder Minusgraden damit einige Strapazen.

Wem Tierwohl wichtig ist, sollte das beim Einkauf berücksichtigen. Aber Vorsicht vor Mogelpackungen! Für vage Begriffe wie "natürlich", "naturnah" oder "artgerecht" gibt es keine klaren Kriterien oder gesetzlichen Bestimmungen. Jeder, der die gesetzlichen Mindeststandards erfüllt, kann diese Bezeichnungen verwenden und sich so tierfreundlicher darstellen als er ist. Die Begriffe "bio" und "öko" hingegen sind gesetzlich geregelt und die Einhaltung der Bestimmungen werden regelmäßig kontrolliert.

Das große Fressen - Was Rinder mit dem Regenwald zu tun haben

Werden Rinder im Stall gemästet, bekommen sie in der Regel auch Kraftfutter. Einen Teil dieses eiweißreichen Futters müssen Landwirte dazukaufen, oft Soja aus Brasilien oder den USA. In Südamerika gefährdet der Anbau von Soja die Regenwälder und andere artenreiche Ökosysteme wie die Cerrados und das Pantanal. Die Böden sind nach wenigen Erntezyklen ausgelaugt und die Bauern holzen neue Flächen ab. Ein Teufelskreis.

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Geerntete Sojabohnen werden in einen großen Container gefüllt. © Imago/Fotoarena

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Hinzu kommt der Einsatz von Dünger und Pestiziden. Während der Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland und der EU in den vergangenen Jahrzehnten immer strenger reguliert worden ist, sind im außereuropäischen Ausland oft noch Mittel im Einsatz, die bei uns wegen gesundheitlicher oder umweltbedingter Bedenken längst verboten oder wenigstens stark reglementiert wurden. Die Pflanzenschutzmittel gefährden nicht nur die Gesundheit von Mensch und Natur vor Ort, sondern landen über Umwege auch im Futtertrog europäischer Rinder. Damit die Nutzpflanzen beim Einsatz von Pestiziden wie Glyphosat nicht zu Schaden kommen, werden in Brasilien und den USA fast ausschließlich genmanipulierte Sojapflanzen angebaut. In Deutschland selbst ist der Anbau genetisch veränderter Arten nicht erlaubt. Die Kennzeichnung von Tierprodukten, die durch Fütterung genmanipulierter Futtermittel entstanden sind, erfolgt allerdings nur auf freiwilliger Basis.

Regenwald schützen - informiert einkaufen

Wer Umweltschäden durch den Anbau von Tierfutter reduzieren möchte, muss entsprechend einkaufen. So ist in der ökologischen Tierhaltung geregelt, dass das Futter der Tiere ebenfalls aus biologischem Anbau stammen soll, 60 Prozent aus eigenem Anbau oder von einem Öko-Betrieb aus der Region. Der Rest des Futters darf auch aus dem Ausland zugekauft werden. In Notfällen dürfen bis zu 5 Prozent aus konventionellem Anbau stammen. Ähnliches gilt bei den Bio-Anbauverbänden. Hier wird darauf geachtet, dass das Futter ebenfalls von Betrieben der Anbauverbände kommt. Die gute Nachricht für den brasilianischen Regenwald ist dabei, dass die Bio-Anbauverbände den Einsatz von genverändertem Futter grundsätzlich ablehnen, was brasilianische Soja-Importe weitgehend ausschließt.

Heimische Weidehaltung – gut fürs Tierwohl und den Klimaschutz

Mit Blick auf Umweltzerstörung, Pestizide und Tierwohl ist Rindfleisch aus Weidehaltung in Deutschland sicherlich die beste Wahl. Bei der "adaptiven Mehrweide-Haltung" stehen die Tiere nicht dauerhaft auf derselben Weide, sondern wechseln zwischen mehreren Flächen. Das entspricht am ehesten der natürlichen Bewegung von Weidetieren - eine Art der Koexistenz, die sich seit Jahrmillionen bewährt hat. Auch für das Klima ein Vorteil. "Es ist tatsächlich so, dass die Begrasung in einem vernünftigen Rahmen auch die CO2-Speicherung im Boden verstärken würde", sagt Professor Hans-Otto Pförtner, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut und Mitglied des Weltklimarats. Diese Haltung würde auch Überweidung und Überdüngung verhindern und anderen Tieren und Pflanzen entgegenkommen, die auf weniger intensiv bewirtschaftete Flächen angewiesen sind und damit dem Verlust der Vogel- und Insektenpopulationen entgegenwirken. Diese Art der Tierhaltung braucht allerdings große Flächen und ist bei der hohen Nachfrage nach billigem Fleisch kaum möglich. Grundsätzlich ist es keineswegs eine "Klimasünde" Rindfleisch zu essen, es kommt eben auf die Umstände an.

Genuss mit gutem Gewissen: Darauf kommt es an

Wer ohne schlechtes Gewissen Rindfleisch essen möchte, findet Möglichkeiten, muss aber tiefer in die Tasche greifen, denn Tierwohl und Umweltschutz sind nicht kostenlos. Bei allen guten Vorsätzen in Bezug auf den Fleischkonsum sollte man nicht vergessen, dass Rinder in Deutschland auch für Milch und Milchprodukte gehalten werden. Für sie gelten die gleichen Prinzipien wie fürs Fleisch. Wer sich vor Greenwashing, cleverem Marketing und verwirrenden Labeln fernhalten möchte, kauft am besten direkt im Hofladen um die Ecke, davon profitieren auch die Höfe.

Weniger Fleisch essen und andere Teile vom Rind verwerten

Ansonsten gilt: weniger Fleisch und Milchprodukte essen (Stichwort Sonntagsbraten) und weniger wegwerfen. Das geht auch, indem man nicht nur das Filetstück kauft, sondern das Tier ganzheitlicher verwertet. Das sorgt für mehr Abwechslung und Kreativität beim Essen. Wer dann noch auf heimische Weidehaltung achtet, hat den Tieren, der Umwelt und letztendlich auch seinem eigenen Gefühl einen Gefallen getan. So kann man den Grillabend genießen und muss weder beim Geschmack noch beim Gewissen Kompromisse machen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Talk Show | 01.07.2022 | 22:00 Uhr

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