Hohe Risiken bei Rezepten über das Internet
Ärztlicher Rat über das Internet samt passender Medizin - das klingt verlockend. Doch dahinter verbirgt sich die Gefahr, dass verschreibungspflichtige Medikamente ohne Beratung verabreicht werden.
Unter dem Begriff Fernbehandlung verstand man lange die ärztliche Versorgung von Erkrankten durch den behandelnden Arzt per Telefon oder Video-Chat. Doch inzwischen mehren sich Angebote im Internet, bei denen Patientinnen und Patienten nur einen Fragebogen ausfüllen müssen, um anschließend ein Rezept zu erhalten. Die Unternehmen, die diese Portale betreiben, berufen sich auf Rechtsgrundlagen, die eine solche Behandlung durch Ärzte aus dem Ausland ermöglichen.
Kein Identitätsnachweis für Patienten
Die Redaktion Markt hat die Fragebogen-Behandlungen von fünf solcher Anbietern getestet. Die Fragebögen sind jeweils ähnlich aufgebaut. Sie beinhalten Fragen zum Gesundheitszustand, zu Symptomen und Beschwerden und geben die Antwortmöglichkeiten vor. Allerdings: Es findet kein Identitätsnachweis statt. Den Anbietern ist es also nicht möglich, die Angaben auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Zwar wird der Patient über mögliche Risiken aufgeklärt, doch es gibt kaum Hürden um verschreibungspflichtige Medikamente zu erhalten. So war es der Markt-Reporterin möglich, ein Medikament gegen Potenzstörungen zu erhalten, zwei Antibiotika ohne krank zu sein und ein Abnehmmittel ohne unter Übergewicht zu leiden. Sogar ein Opiat gegen Schmerzen wurde verschrieben. All diese Medikamente unterliegen der Rezeptpflicht, weil sie einer Beratung bedürfen.
Risiko-Nutzen-Abwägung fehlt
Für den Präsidenten der deutschen Allgemeinmediziner Professor Martin Scherer ist die Fragebogen-Methode keine geeignete Form der Behandlung. "Man zäumt das Pferd von hinten auf und fängt mit der Verschreibung an. Es gibt keine Risiko-Nutzen-Abwägung", kritisiert er. Besonders bei Opiaten, die abhängig machen können, sei Vorsicht geboten: "Wenn ich so leicht an das Medikament drankomme ohne klaren Identitätsnachweis, dann sind Dealereien Tor und Tür geöffnet."
Fernbehandlung durch Ärzte aus dem Ausland
Eine Fernbehandlung ohne vorigen persönlicher Kontakt zum Arzt ist "im Einzelfall" und wenn es die Sorgfaltspflicht des Arztes zulässt erlaubt. Auf dem Ärztetag 2018 hat die Ärzteschaft ihre Berufsordnung entsprechend geändert. Wieland Dietrich von der Freien Ärzteschaft hält die Entscheidung für falsch: "Damit hat man die Büchse der Pandora geöffnet", meint er. Die Folgen der Liberalisierung der Berufsordnung kritisiert auch Christian Karle, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz mit Schwerpunkt Medizinrecht. "Das hat mit Sicherheit dazu geführt, dass sich Unternehmen aus dem europäischen Ausland verstärkt an deutsche Patienten richten, zum Teil mit dem Ziel, die Grenzen dieser Regelungen weitestmöglich auszutesten", so der Anwalt. Für deutsche Ärzte sei die Behandlung per Fragebogen nicht zulässig, da sich der Arzt nicht von der Identität des Patienten überzeugen könne. Doch im im EU-Ausland gelte das Gesetz des jeweiligen Landes.
Apotheker warnen vor gefährlichem Missbrauch
Viele Anbieter von Online-Arzt-Portalen arbeiten mit Online-Apotheken zusammen. Beim Test von Markt kamen die Medikamente aus Holland und Portugal, aber auch deutsche Apotheken waren dabei. Die Bundesapothekerkammer beobachtet diese Form der Zusammenarbeit schon länger. Zu den Risiken teilt die Kammer mit: "Vor allem dann, wenn Patienten wissentlich oder unwissentlich und für den Anbieter nicht überprüfbar falsche Angaben machen, kann die Gewährung der entsprechenden Medikation gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Manche der Angebote scheinen sich bewusst, auf möglichst hohe Präparatabsätze zu fokussieren. Das leistet einem Über-und Fehlgebrauch Vorschub."
Werbung für Fernbehandlungen auf Seiten von Online-Apotheken ist in Deutschland nur erlaubt, wenn sie den "fachlichen Standards" entspricht. Dass dies bei Fragebogenbehandlungen der Fall sei, bezweifelt die Wettbewerbszentrale. Sie führt momentan eine Musterklage, über die Anfang Oktober vor dem Bundesgerichtshof entschieden wird.
Doppeltes Risiko für Patienten
Die Fernbehandlung im Internet birgt auch für Patienten große Gefahren, die in den Fragebögen wahrheitsgemäße Angaben machen. Durch die fehlende Risiko-Nutzen-Abwägung könnten zu viele oder die falschen Präparate eingenommen werden. Gerade bei verschreibungspflichtigen Medikamenten riskieren die Patienten zudem schwere Neben- und Wechselwirkungen. Zudem haben Patienten bei einer Falschbehandlung keine Rechtssicherheit, warnt Rechtsanwalt Christian Karle: "Ein Gerichtsverfahren wäre voraussichtlich sehr langwierig, sehr kostenintensiv und mit einem ungewissen Ausgang versehen, da die Unternehmen oder die Ärzte im Ausland sitzen."